Jesus war kein Europäer. Kenneth E. Bailey
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Название: Jesus war kein Europäer

Автор: Kenneth E. Bailey

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783417228694

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СКАЧАТЬ Jesus, dass die Sanftmütigen das Land (Israel) erben werden, nicht die Mächtigen. Rom und die Zeloten sollten bald in einen uneingeschränkten Krieg um politische und militärische Kontrolle in diesem Land verwickelt werden. Allerdings besaß Jesus eine andere Vorstellung davon, wer ein Recht auf das Land habe. Es ging nicht darum, ethnisch von einem bestimmten Patriarchen abzustammen. Sich auf die Seite von Herodes’ Anhängern zu schlagen, die zu faulen Kompromissen bereit waren, nur um an der Macht zu bleiben, war keine Option. Sich den Zeloten anzuschließen war ebenso wenig empfehlenswert. Was für eine seltsame Behauptung: Über die Sanftmütigen heißt es, sie hätten bereits den ersten Platz in der Erbfolge des Landes, das Abraham verheißen war.

      Natürlich wurden diese grundlegenden Aussagen von Jesus über die Grenzen der ursprünglichen Zuhörerschaft hinaus weitererzählt, und im Zuge dessen erweiterte sich ihre Bedeutung. Als Juden und Nichtjuden Jahrzehnte später das Matthäusevangelium auf Griechisch lasen, betrachteten sie „das Land“ als „die Erde“ und dachten an die gesamte erschaffene Welt. Paulus denkt in die gleiche Richtung, wenn er über der Verheißung des Landes an Abraham spricht, und weitet diese Verheißung universell auf die ganze Erde aus. Er redet von der „Verheißung …, dass er der Welt Erbe sein sollte“ (Röm 4,13). Später im gleichen Brief erklärt er, „dass die ganze Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt“ und darauf wartet, „dass wir mit der Erlösung unseres Leibes als Söhne offenbar werden“ (Römer 8,22-23; EÜ). In beiden Texten ist davon die Rede, dass die ganze Natur zum Erbe von Gottes Familie wird.

      Jesu ursprüngliche Zuhörerschaft hörte ihn über „das Land“ sprechen und darüber, wer es als Erbe beanspruchen durfte: „die Sanftmütigen“ und nicht „die ethnischen Nachfahren eines bestimmten Menschen“ oder „gewalttätige Menschen“. Wir können davon ausgehen, dass Matthäus’ Leser den gleichen Text so verstanden, dass die ganze Erde als kostbares Erbe für die Kinder Gottes vorgesehen ist, die für sie sorgen und im Einklang mit ihr leben werden. Doch in beiden Fällen ist es wichtig zu fragen: Wer sind die Sanftmütigen?

      Das hebräische bzw. aramäische Wort, das Jesus wahrscheinlich verwendete, und das griechische Wort, das im Neuen Testament erscheint, haben jeweils einen unterschiedlichen Schwerpunkt – eine Nuance, die das Textverständnis bereichert.

      Das hebräische Wort ‘ānî (arm/bescheiden) beschreibt die Eigenschaft, Gottes Führung gehorsam anzunehmen. Der griechische Begriff praÿs meint dagegen nicht die Beziehung des Menschen zu Gott, sondern zu seinen Mitmenschen. In seiner Nikomachischen Ethik (4. Jh. v. Chr.) definiert Aristoteles praÿs als Tugend, die einen Mittelweg zwischen Leichtsinn und Feigheit findet. Für Aristoteles war der Weg der Tugend immer die „goldene Mitte“ zwischen zwei Extremen. Wer wahrhaft praÿs (sanftmütig) ist, wird aus den richtigen Gründen auf die richtige Person, auf die richtige Art und Weise, im richtigen Augenblick und für die richtige Zeitspanne wütend.75 Das dem Text zugrunde liegende hebräische Wort fordert uns dazu auf, Gottes Führung anzunehmen und gehorsam seinem Willen zu folgen. Das griechische Wort rät uns, Probleme, Dispute und Meinungsverschiedenheiten mit Augenmaß zu lösen und Extreme zu vermeiden. Beide Bedeutungsnuancen sind kleine Schätze in diesem Text.

      Im Talmud diskutieren die frühen Rabbinen über die Gründe für die Zerstörung der beiden Tempel. Rabbi Johanan sagte: „Weswegen wurde der erste Tempel zerstört? – wegen dreier Sünden, die da begangen wurden: Götzendienst, Hurerei und Blutvergießen […]. Weswegen aber wurde der zweite Tempel zerstört […]? – Weil dann grundlose Feindschaft geherrscht hatte.“ Weiter erklärt er, dass „grundlose Feindschaft die drei Sünden, Götzendienst, Hurerei und Blutvergießen, aufwiegt“.76 Solche grundlose Wut ist das genaue Gegenteil der Sanftmütigkeit, um die es in unserem Text geht. Doch was ist mit gerechtem Zorn?

      Der Prophet Habakuk beschreibt die schreckliche Macht der Chaldäer. Inmitten seiner Schilderung heißt es: „Von ihr selbst [d. h.: von dieser Nation] gehen ihr Recht und ihre Hoheit aus“ (Hab 1,7). Die Chaldäer schufen ihre eigene Definition von Gerechtigkeit. Für den Propheten war das schrecklich. Gott definiert Gerechtigkeit und verleiht ihr einen objektiven Wert. Begegnet den Gläubigen, was nach Gottes Maßstab Unrecht ist, ist Zorn sicher angebracht. Wer die Messlatte göttlicher Gerechtigkeit anlegt, gehört zu den Sanftmütigen (vor Gott) und setzt sich für Gottes Gerechtigkeit ein. Sie werden das Land bzw. die Erde erben.

      Im Nachdenken über solche Dinge fühlt man sich ein wenig wie Paulus, der versuchte, Gottes Weisheit zu durchdringen, und schließlich ausrief: „Welche Tiefe des Reichtums, sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes! Wie unerforschlich sind seine Gerichte und unaufspürbar seine Wege!“ (Röm 11,33). Eine vorsichtige erste Zusammenfassung könnte folgendermaßen aussehen:

       1. Lukas zählt vier Paare von Seligpreisungen und Weherufen auf. Bei Matthäus sind es neun Seligpreisungen. In beiden Texten ist Verfolgung ein zentrales Thema.

       2. Glückselig zu sein, bezeichnet einen geistlichen Zustand, der von Gott geschenkter Freude geprägt ist. Er ist bereits Wirklichkeit und keine Voraussetzung, die erfüllt werden muss, um eine Belohnung zu erhalten.

       3. Im Licht des Begriffs bei Jesaja sind die „Armen im Geist“ die Demütigen und Frommen, die Gott suchen. Das Königreich Gottes gehört ihnen.

       4. Gott wird diejenigen trösten, die in Trauer sind.

       5. Es ist weder richtig, Leiden zu leugnen, noch es auf düstere Art und Weise unterhaltsam zu finden.

       6. Ein Weg des Leidens kann zu tiefer Weisheit führen.

       7. Das Haus der Trauer kann das Herz froh machen.

       8. Die Gerechten trauern über Ungerechtigkeit und werden nicht müde, Mitleid zu zeigen.

       9. Die Gerechten trauern über ihre eigene Sünde und werden getröstet.

      10. Unter dem Begriff „das Land“ verstand Jesus das Land Israel. Hier besitzen nur die Sanftmütigen Erbrecht – nicht die Gewalttäter oder die Mitglieder einer bedeutenden Sippe. In der späteren Kirche wurde der Text auf die gesamte Erde gedeutet.

      11. Die Sanftmütigen sind diejenigen, die demütig Gott suchen. Sie sind weder zu kühn noch zu ängstlich.

      12. Sanftmütig zu sein, ist durchaus mit Zorn über anderen zugefügtes Ungerecht zu vereinbaren.

      6

      Die Seligpreisungen – Teil II

      MATTHÄUS 5,6-12

      In diesem Kapitel wollen wir über die vierte bis achte Seligpreisung nachdenken.

      Glückselig, die nach der Gerechtigkeit hungern und dürsten,

      denn sie werden gesättigt werden.

      Als guter Orientale gebraucht Jesus auch hier sehr scharfsinnig die dort übliche Bildsprache. Mit der Formulierung „nach der Gerechtigkeit hungern und dürsten“ wird in Worten, die eigentlich für körperliche Bedürfnisse stehen, eine geistliche Wirklichkeit beschrieben. Die überwiegende Mehrheit der Menschen in höher entwickelten Ländern besitzt mehr Lebensmittel und Wasser, als sie benötigt; doch arme Menschen wissen noch, was Hunger ist. СКАЧАТЬ