Jesus war kein Europäer. Kenneth E. Bailey
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Название: Jesus war kein Europäer

Автор: Kenneth E. Bailey

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783417228694

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      4

      Herodes’ Gräueltaten, Simeon und Hanna

      MATTHÄUS 2,13-18; LUKAS 2,22-38

      Manche Geschichten sollte man besser nicht im Fernsehen zeigen. Der Kindermord von Bethlehem gehört für mich dazu (Mt 2,16-18). Die Szene ist einfach zu brutal für den Zuschauer – auch heute noch. Aus der Geschichte ergeben sich zwei Fragen: Warum kam es überhaupt zu diesem Ereignis, und warum hat Matthäus eine so unsäglich abstoßende Geschichte in sein Evangelium aufgenommen?

      Herodes war eine außerordentlich komplexe Persönlichkeit. In ethnischer Hinsicht war er Araber. Sein Vater stammte aus einem arabischen Stamm im südlichen Teil des Heiligen Landes, aus einer Gegend namens Idumäa. Seine Mutter stammte aus Petra, der Hauptstadt des Nabatäerreichs – ein arabisches Königreich, das im ersten Jahrhundert den nördlichen Teil Arabiens bewohnte. Zu Herodes’ Geschwistern gehörten Phasael, Joseph und Pheroras sowie seine Schwester Salome. Das einzige Kind in der Familie, das einen griechischen Namen trug, war Herodes selbst.60

      Herodes gehörte der jüdischen Religion an. Im zweiten Jahrhundert v. Chr. hatte der jüdische Herrscher Johannes Hyrkan I. die Idumäer unterworfen und unter Androhung der Todesstrafe zum Judentum zwangsbekehrt. Herodes’ Vater Antipater war 47 v. Chr. zum Statthalter der Provinz Judäa ernannt worden. Das machte Herodes zu einem „Juden“. Kulturell betrachtet war Herodes jedoch Grieche. Zu jener Zeit hatte sich die griechische Kultur in Palästina weithin ausgebreitet und Griechisch war internationale Verkehrssprache. Herodes, dessen Muttersprache Griechisch war, unternahm mehrere Versuche, Jerusalem zu einer griechischen Stadt umzuformen.61

      Politisch betrachtet war Herodes Römer. In allen großen Konflikten während seiner Regierungszeit stellte er sich auf die Seite Roms. Von der Herkunft Araber, religiös Jude, kulturell Grieche und politisch ein Römer – Herodes war eine vielschichtige Persönlichkeit. In seinen jüngeren Jahren wurde er als gut aussehend und von kräftigem Körperbau beschrieben. In zehn verschiedenen Kriegen führte er seine Armee persönlich auf das Schlachtfeld. Zu den Höhepunkten seiner Regierungszeit gehört, dass er sich im Machtkampf um das Römische Reich gegen Octavian auf die Seite von Marcus Antonius und Kleopatra stellte. Nachdem er Antonius vernichtend geschlagen hatte, reiste Octavian (der spätere Kaiser Augustus) nach Rhodos, um seinen nächsten Schachzug zu planen. Herodes eilte ebenfalls dorthin, um dem neuen römischen Sieger zu begegnen, und Octavian gewährte ihm eine Audienz.

      Die meiste Zeit seines Lebens war Herodes ein persönlicher Freund von Marcus Antonius gewesen und hatte ihn gegen Octavian unterstützt. Wie würde er nun mit dem neuen Kaiser zurechtkommen? Herodes erschien ohne Krone vor Octavian und bekannte mutig, wie er den Feind des Kaisers unterstützt hatte. Er gab außerdem zu, selbst in der Niederlage Antonius noch treu geblieben zu sein. Herodes krönte seine Ausführungen mit den Worten: „Was ich von dir erbitte, ist zu bedenken nicht wessen Freund, sondern welch ein guter Freund ich war.“62 Der Kaiser entschied, dass er Herodes vertrauen konnte, und wies ihn an, seine Krone wieder aufzusetzen. Bei seiner Rückkehr nach Palästina war Herodes’ Thron sicherer als zuvor.

      Doch mit den Jahren zerfiel Herodes’ Persönlichkeit zusehends. Insgesamt heiratete er zehn Frauen. Söhne waren in seinen Augen häufig politische Rivalen, und zwei seiner Lieblingssöhne wurden auf seinen Befehl hin in einer Festung in Samaria erdrosselt. Später bekam er Zweifel an der politischen Loyalität seiner Lieblingsfrau Mariamne und ließ sie umbringen. Danach sah man ihn oft durch den Palast laufen und ihren Namen rufen, und häufig schickte er Diener los, um sie zu holen. Als sie nicht auftauchte, ließ er die Diener verprügeln.

      Herodes war brillant und brutal. Gegen Ende seines Lebens litt er an mehreren schweren, schmerzhaften Krankheiten. In seinen allerletzten Tagen ließ er den Kronprinzen verhaften und warf ihn in den Kerker seines Palastes. Als alter Mann wurde er von Schmerzen geplagt und versuchte, seinem eigenen Leben ein Ende zu setzen, woran er aber von einem Wachposten gehindert wurde. Kurzzeitig machte sich Verwirrung breit. Im Palast kursierte die Nachricht, der König sei tot. Als der Kronprinz davon erfuhr, forderte er seine Freilassung, um die Macht zu ergreifen. Herodes überlebte den Selbstmordversuch und ordnete den Tod des besagten Kronprinzen an. Fünf Tage später starb Herodes selbst. Sein letzter Befehl an seine Truppen lautete, Tausende namhafte Menschen überall im Land zu verhaften und sie im Stadion von Jericho gefangen zu halten. Bei Herodes’ Tod sollten sie hingerichtet werden, damit man auch im Land trauerte, wenn der König starb. Herodes wusste nur allzu gut, dass niemand um ihn weinen würde. Glücklicherweise wurde der Befehl nicht ausgeführt. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass Herodes als alter Mann den Kindermord von Bethlehem anordnen konnte. Es war eine brutale Welt, in die Jesus hineingeboren wurde, und Herodes war durch und durch ein Mann seiner Zeit.63

      Wenn man sich an Jesu Geburt erinnert, erzählt man ihre Geschichte oft in weichen Farben und mit schöner Hintergrundmusik. Der Mord an den Unschuldigen findet nie einen Platz im Krippenspiel, ganz gleich in welcher Kirche. Ich kann mich nicht erinnern, dass diese Geschichte je in einem Weihnachtsgottesdienst vorgelesen wurde. Die Christen erwarten – und bekommen – in der Regel eine Geschichte, die sich auf fröhliche Engel, aufgeregte Hirten und großzügige Weise beschränkt. Die verlesenen Texte sind voller Friedensverheißungen, durchsetzt mit Bildern eines hübschen Kindes, einer heiligen Mutter, eines mutigen Vaters und einiger harmloser Tiere. Es scheint eine Verschwörung des Schweigens zu geben, die sich weigert, das Massaker zu erwähnen. Warum nahm Matthäus es überhaupt in sein Evangelium auf?

      Matthäus habe Jesus als neuen Mose darstellen wollen, wird häufig als Erklärung angeführt. Mose wurde mitten in einem „Mord an Unschuldigen“ geboren, nämlich zu der Zeit, als der Pharao die Tötung aller männlichen hebräischen Säuglinge angeordnet hatte (2Mo 1,8-22). In gleicher Weise erzählte Matthäus eine parallele Geschichte über Jesus.64 Doch möglicherweise gab es noch einen weiteren wichtigen Grund.

      Die Menschen, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Nahen Osten lebten (der Autor dieses Buches eingeschlossen), erlebten dort häufig Kriegssituationen. Im Libanon beispielsweise gab es über einen Zeitraum von fünfunddreißig Jahren sieben Kriege. Einer davon dauerte siebzehn Jahre. Andere waren kurz, aber brutal. Menschen sahen, wie Freunde und Verwandte von Kugeln und Sprengkörpern getötet wurden, und erlebten das Grauen moderner Kriege.

      Wie behalten Menschen unter solchen Umständen ihren Glauben? Eine Antwort ist, dass sie sich sowohl an das erste Weihnachten als auch an den ersten Karfreitag erinnerten. Im Zusammenhang mit Jesu Geburt fand ein sinnloses, blutiges Massaker statt. Wer diese Geschichte liest, wird nicht mehr unvorbereitet sein, wenn sich die menschliche Fähigkeit zu Gräueltaten ihr hässliches Gesicht wieder am Kreuz zeigt. Am Anfang und am Ende seines Evangeliums zeigt Matthäus die Abgründe des Bösen auf, das Jesus durch sein Kommen aus der Welt schaffen sollte. Diese Geschichte stärkt beim Leser das Bewusstsein für Gottes Bereitschaft, sich in der Menschwerdung völlig verletzlich zu machen. Wenn das Evangelium sich in einer Welt ausbreiten kann, die ein Massaker an Unschuldigen hervorbringt, kann es sich überall ausbreiten. Aus diesem Bewusstsein können Leser der Evangelien zu allen Zeiten Mut schöpfen.

      Es gibt noch eine andere Facette der Geschichte, die oft übersehen wird. Als Säugling wurde Jesus im Tempel Simeon vorgestellt (Lk 2,25-32). Die Aussage des ehrwürdigen Simeons über Jesus ist überwältigend: Dieses Kind sei gekommen, um Israel und die nicht jüdischen Völker zu retten. СКАЧАТЬ