Название: Marie Grubbe
Автор: Jens Peter Jacobsen
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Große verfilmte Geschichten
isbn: 9783955012120
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»Aber sie besuchen doch Sonntags die Kirche, weiß ich, und haben Pfarrer und Küster so wie wir.«
»Jawohl! könnt Ihr mir das bloß weismachen! Die Kirche besucht das Teufelspack wohl desselbigengleichen wie die Hexen zum Vespergottesdienst fahren, wenn der Böse Johannismette auf dem Blocksberg hält. Nein, und sie sind verhext und kugelfest; bei ihnen beißt nicht Kugel noch Blei, und sie haben einen bösen Blick, die Hälfte von ihnen; oder für was, glaubet Ihr, haben die Pocken jedesmal grassiert, sobald die Höllenkumpane ihre vermaledeiten Füße hier in das Land gesetzt haben? Antwortet mir auf das, Meister Färber! antwortet mir auf das, wenn Ihr könnt!«
Der Färber wollte just antworten, als Erik Lauritzen, der eine Weile dagestanden und sich unruhig umgesehen hatte, ausrief: »Still, still, Gert Pyper, was ist das wohl für eine Person, die dort so wie predigend redet und so dicht von den Leuten umdränget wird?«
Sie eilten zu dem Schwarm hin, und währenddes berichtete Färber Gert, daß es ihn bedünke, es sei ein gewisser Jesper Kiim, der die Predigt in der Heiligengeistkirche gehalten habe, der aber, wie er gelahrte Leute haben sagen hören, nicht so ganz richtig in seinem Glauben sei, wie es seiner Seligkeit und geistlichen Karriere dienlich wäre.
Es war ein doggenähnlicher, kleiner Mann von etwa dreißig Jahren mit langem, glattem und schwarzem Haar, breitem Gesicht, dicker, kleiner Nase, lebhaften, braunen Augen und roten Lippen. Er stand oben auf einer Haustürtreppe, gestikulierte stark und sprach schnell und feurig, aber ziemlich rauh und lispelnd.
... »Im sechsundzwanzigsten Kapitel«, sagte er, »schreibt der Evangelist Matthäus 51–54 also: ›Und siehe, einer von denen, die mit Jesu waren, reckte die Hand aus und zog sein Schwert und schlug des Hohenpriesters Knecht und hieb ihm ein Ohr ab. Da sprach Jesus zu ihm: ›Stecke das Schwert an seinen Ort; denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen. Oder meinest du, daß ich nicht könnte meinen Vater bitten, daß er mir zuschickte mehr denn zwölf Legionen Engel? Wie würde aber die Schrift erfüllet? Es muß also gehen.‹
»Ja, lieben Landsleute! es muß also gehen. – Nun lieget vor den niedrigen Wällen und der schwachen Befestigung dieser Stadt ein allmächtiger Haufe von wohlgerüsteten Kriegsleuten, und ihr König und Kriegsoberster hat seinen Mund aufgetan und Order und Befehl an sie ergehen lassen, daß sie mit Feuer und Schwert, mit Brennen und Belagerung sich diese Stadt und alles, so darinnen ist, Untertan und gänzlich zu eigen machen.
»Und die, so in der Stadt sind und sehen ihre Wohlfahrt bedräuet und ihren Ruin unmenschlich beschlossen, die legen Waffen an, die bringen Feuermörser und anderes schädliches Kriegsgerät auf die Wälle, und sie reden sich selber zu und sagen: Geziemet es uns nicht, mit brennender Lohe und blankem Schwert den Friedensstörern aufs Fell zu rücken, so uns platterdings wollen zugrunde richten? Wozu hat wohl Gott im Himmel Kuraschigkeit und Furchtlosigkeit in des Menschen Brust erwecket, wenn nicht, um solch einem Feind zu widerstehen und ihn zu verderben? Und wie der Apostel Petrus ziehen sie ihr Schlachtschwert und wollen plötzlich Malcho sein Ohr abhauen. Aber Jesus sagt: ›Stecke das Schwert an seinen Ort; denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen.‹ Wohl mag das für die Unvernunft der Zornigen wie eine wunderliche Rede klingen und scheinen wie eine Torheit für die unsehende Blindheit des Haßerfüllten. Aber das Wort ist nicht wie der Schall einer Trompete, bloß zu hören; – gleichwie ein Schiffsraum, der mit vielen nützlichen Dingen beladen ist, also ist das Wort geladen mit Vernünftigkeit und Bedenken, denn das Wort ist ein Sinn zum Auffassen und Verstehen. Derohalben lasset uns das Wort erforschen und sukzessive herausfinden, wie es richtig ausgeleget werden muß. – Aus welcher Ursache soll das Schwert an seinem Orte verbleiben und der, so das Schwert ziehet, durchs Schwert umkommen? Solches haben wir in dreien Stücken zu betrachten:
»Dieses ist nun das erste Stück, daß der Mensch ist ein weiser und über alle Maßen herrlich eingerichteter Mikrokosmus oder wie man es deuten kann: eine kleine Erde, eine Welt von Gutem als auch von Schlechtem; denn ist, wie der Apostel Jakobus sagt, schon die Zunge eine Welt von Unrecht, um wieviel mehr ist da der ganze Körper eine Welt! sowohl die begehrlichen Augen als auch die hastigen Füße und die greifenden Hände; sowohl der unersättliche Bauch wie die betenden Knie und die wachsamen Ohren? Und ist der Körper eine Welt, um wieviel mehr ist da nicht unsere kostbare und unsterbliche Seele eine Welt, ja, wie ein Garten voll süßer und bitterer Kräuter, voll gefräßiger Raubtiere der bösen Lüste und weißer Lämmer der Tugenden? Und ist nun der, so da eine solche Welt zerstöret, für besser zu achten als Brandstifter oder ein Gewalttäter oder ein Marktdieb? und ihr wisset, was für eine Strafe einem solchen zu erleiden und zu erdulden geziemet.«
Es war jetzt ganz dunkel geworden, und der Volkshaufe um den Prädikanten erschien nur wie eine große, schwarze, leise bewegte, beständig wechselnde Masse.
»Das zweite Stück ist dieses, daß der Mensch ein Mikrotheos ist, das heißt: eine Abspiegelung oder ein Gleichnis von Gott dem Allmächtigsten. Und ist der, so sich an Gottes Ebenbild vergreifet, nicht für schlimmer zu achten als der, der die heiligen Gefäße oder Gewänder der Kirche stiehlet oder Gewalt wider ein Gotteshaus verübet? und ihr wisset, welche Strafe einem solchen zu erleiden und auszustehen gebühret.
»Das letzte und dritte Stück ist dieses, daß der Mensch erst Pflichten habet gegen seinen Gott und ist schuldig, für ihn ohn Unterlaß zu kämpfen und zu streiten, angetan mit der schimmernd blanken Rüstung eines reinen Lebens und umgürtet mit dem schneidenden Schwerte der Wahrheit. Also gerüstet, zieme es ihm zu streiten, ein Streiter des Herrn, der den Rachen der Hölle zerreißet und den Bauch der Hölle zertritt. Derohalben gebühret es uns, das leiblich Schwert an seinem Ort bleiben zu lassen, denn wahrlich, wir haben genug, uns mit dem geistigen zu mühen!«
Von beiden Enden der Straße sah man hin und wieder Leute kommen, die sich mit kleinen Handlaternen nach Hause leuchteten. Allmählich, wie sie auf die Versammlung stießen, stellten sie sich unter den äußersten auf, so daß sich bald ein gewundener Halbkreis von blinkenden kleinen Lichtern bildete, die verloschen und aufleuchteten, je nachdem sich die Leute bewegten; und dann und wann wurde auch eine Laterne emporgehoben und ließ ihren Schein suchend auf den weißgetünchten Mauern und dunklen Fensterscheiben der Häuser herumflackern, bis er auf dem ernsten Antlitz des Prädikanten Ruhe fand.
»Aber wie! sprechet ihr in euren Herzen und saget: sollen wir uns denn selber, an Händen und Füßen gebunden, unserm Feind überantworten, zur bitteren Trübsal und der Knechtschaft und Erniedrigung? – O, meine Geliebten, sprechet nicht also! denn da seid ihr zu rechnen gleich denen, so da meinen, daß Jesus seinen Vater nicht bitten könne, daß er ihm zwölf Legionen Engel und noch mehr zusende. O, fallet nicht in Verzweiflung, murret nicht in euren Herzen wider des Herrn Ratschlag und machet eure Leber nicht schwarz wider seinen Willen! Denn der, den der Herr niederschlagen will, der wird zermalmet; der, den der Herr aufrichten will, der lebet in Sicherheit. Und er ist der, so viele Wege hat, uns aus den Wüsten und Wildnissen der Fährlichkeit zu führen; oder vermag er nicht das Herz des Feindes zu wenden, oder ließ er nicht den Todesengel durch Sancheribs Lager schreiten, oder habet ihr vergessen die verschlingenden Wasser des Roten Meeres oder König Pharaos hastigen Untergang? ...«
Hier ward Jesper Kiim unterbrochen.
Die Menge hatte ihn ziemlich ruhig angehört; nur draußen aus den äußersten Reihen war hin und wieder ein gedämpftes, drohendes Murmeln erklungen. Da war es, daß Mette Senfkökerins scharfe Stimme ihm gellend zuschrie: »Hu, du Höllengast! Willst du schweigen, schwarzer Hund, der du bist! – höret nicht auf ihn, es ist schwedisches Geld, das aus seinem Munde spricht!«
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