Название: Marie Grubbe
Автор: Jens Peter Jacobsen
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Große verfilmte Geschichten
isbn: 9783955012120
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Marie zuckte die Achseln und wollte sich mit einem halb verdrießlichen Lächeln wieder nach dem Fenster umwenden, aber Lucie sprang vom Tisch herunter, faßte sie um die Taille und zwang sie, sich auf einen kleinen Strohstuhl zu setzen, der daneben stand.
»Höre Sie, Jungfer!« sagte sie, »weiß Sie was?«
»Nun?«
»Sie vergißt, Ihre Briefschaften zu schreiben, und um halb zwei kommen die Gäste, so daß Sie nur knapp vier Stunden hat. Weiß Sie, was die haben sollen? Güldensuppe, Flundern und so einen andern breiten Fisch, gebratene Hühner mit Trisanet und Mansfelder Kuchen mit süßem Pflaumenmus. Fein ist es, aber fett ist es gerade nicht. Der Jungfer Bräutigam kommt ja auch.«
»Ach was, Unsinn!« rief Marie ärgerlich aus.
»Gott Vater bewahr uns! ist doch weder Aufgebot noch Verlöbnis, weil ich das sage. – Ich kann wirklich nicht begreifen, Jungfer, daß Sie sich nicht mehr aus Ihrem Vetter macht! Er ist das herrlichste, lustigste Mannsbild, das ich kenne. Was für Füße er hat! – Und königlich Blut ist in ihm; das kann man schon allein an seinen Händen sehen, so winzig klein wie die sind! – ach, und dabei so, als wären sie gegossen – bloß seine Nägel, die sind nicht größer als halbe Sechslinge und so rot und rund. – Was für ein Paar Beine hat er aufzuweisen! Wie Stahlfedern, wenn er dahergegangen kommt – hu hei! Und seine Augen, die blitzen und funkeln...«
Sie schlang die Arme um Marie und küßte sie so heftig und saugend stark auf den Hals, daß das Kind errötete und sich ihrer Umarmung entwand.
Lucie warf sich auf das Bett und lachte wie eine Besessene.
»Wie du dich heute anstellst!« rief Marie aus, »wenn du so fortfährst, dann gehe ich hinunter.«
»Aber was in aller Welt! Man darf doch wohl einmal etwas lustig sein. Es gibt wahrhaftig Trübseligkeit genug hier in der Welt. Ich habe wenigstens mehr davon, als ich mit mir herumschleppen kann. Ist nicht mein Bräutigam in Krieg gezogen und muß alles mögliche Böse und Schlimme ausstehen? Es ist der reine Jammer, wenn man daran denkt. Wenn sie ihn nun tot oder zum Krüppel geschossen haben! Gott sei mir armen Mädchen gnädig, ich würde ja nie wieder ein Mensch werden.«
Sie verbarg ihr Gesicht in den Kissen des Bettes und schluchzte: »Ach, nein, nein, nein, mein teurer, teurer Lorenz – ich will dir so treu, so treu sein, wenn der liebe Gott dich mir nur heil heimkehren läßt – ach, Jungfer, Jungfer! dies ist wirklich nicht zum Aushalten!«
Marie suchte sie mit Worten und mit Liebkosungen zu beruhigen. Endlich brachte sie es dahin, daß Lucie sich aufrichtete und die Augen trocknete.
»Ja, Jungfer,« sagte sie, »niemand weiß, wie ich mit mir selbst zu kämpfen habe. Man kann ja unmöglich immer so sein, wie man sollte. Und es nützt nichts, daß ich mir vornehme, mich nicht an alle die jungen Burschen zu kehren; kommen sie mit Lustigkeit und Komplimenten, und wenn es sich auch um mein Leben handelte, ich könnte sie nicht wegbeißen und mich ihnen entziehen; es juckt mir auf der Zunge, ihnen wieder zu antworten, und dann wird ja gar leicht mehr Geschäker daraus, als ich, strenge genommen, vor Lorenzen verantworten kann. Aber wenn ich dann daran denke, welchen Gefahren er ausgesetzt ist, ach! da reut es mich mehr, als irgendeine Menschenseele es sich auszudenken vermag. Denn ich liebe ihn, Jungfer, und keinen andern als ihn, das kann Sie mir glauben. Ach! wenn ich ins Bett kommen bin und der Mond da so hell auf den Estrich scheint, dann werde ich ein ganz anderer Mensch; es wird mir so traurig ums Herz, und da wein ich und weine, und es drückt hier oben im Halse, als sollt ich ersticken – ach, es ist eine Qual; ich liege und wälze mich im Bett und bete zu dem lieben Gott, und weiß knapp, um was ich bete, und zuweilen bin ich ganz von Sinnen, und dann setze ich mich aufrecht im Bett hin und halte meinen Kopf fest, und mir wird so schrecklich bange, daß ich vor Sehnsucht noch den Verstand verliere. – Aber, Herrgott, Jungfer! Sie weint ja; Sie geht doch nicht herum und sehnt sich heimlich nach jemand, so jung sie ist?«
Marie errötete und lächelte leise; es lag etwas Schmeichelhaftes für sie in dem Gedanken, daß sie verliebt sein und sich sehnen könne.
»Nein, nein,« sagte sie, »aber es ist so traurig, was du da sagst; es ist, als wäre alles nichts als Kummer und Verdruß!«
»Ei bewahre! es gibt zuweilen auch was anderes,« sagte Lucie und erhob sich, als man unten nach ihr rief, und dann ging sie, indem sie Marie schelmisch zunickte.
Marie seufzte, trat an das Fenster und sah hinaus, hinunter auf den grünen, kühlen St. Nikolaj-Kirchhof, auf die roten Mauern der Kirche, hinüber nach dem Schloß mit dem patinagrünen Kupferdach, hinweg über den Holm und die Reiferbahn, herum nach dem Ostertor mit dem spitzen Turm und nach Hallendaas mit seinen Gärten und Holzschuppen und mit dem bläulichen Sund da draußen, der mit dem blauen Himmel verschwamm, unter dem weiße, weichgeformte Wolken langsam dahintrieben, hinüber nach der Küste von Schoonen.
Seit drei Monaten war sie nun in Kopenhagen. Damals, als sie von Hause abreiste, hatte sie geglaubt, in der Residenzstadt zu leben, sei etwas ganz Verschiedenes von dem, was es, wie sie jetzt wußte, war. Es war ihr niemals eingefallen, daß es dort noch einsamer sein könne als auf dem Tjeler Edelhofe, wo sie doch einsam genug gelebt hatte.
An ihrem Vater hatte sie keine Gesellschaft gehabt, er war allzeit so ganz er selbst, daß er nie etwas für andere sein konnte; er wurde nicht vierzehn Jahre alt, wenn er mit einer Vierzehnjährigen sprach, und er wurde kein weibliches Wesen, weil er mit einem kleinen Mädchen plauderte; er war immer jenseits der Fünfzig, und er war immer Erik Grubbe.
Die Buhlerin des Vaters, die herrschte, als sei sie Frau im Hause, konnte Marie nicht ansehen, ohne daß nicht alles, was an Stolz und Bitterkeit in ihr war, gleich wachgerufen ward. Dies grobe, herrschsüchtige Bauerweib hatte sie so oft verletzt und gequält, daß Marie nicht einmal den Schall ihrer Schritte hören konnte, ohne sich gleich und fast unbewußt hart zu machen, trotzig und gehässig zu werden. Ihre Halbschwester, die kleine Ane, war kränklich und verhätschelt, Umstände, die sie keineswegs umgänglich machten, und nun kam noch dazu, daß die Mutter, Erik Grubbe gegenüber, Marien immer durch sie zu schaden suchte.
Was für Gesellschaft hatte sie da?
Ja, sie kannte jeden Weg und Steg im Bigumer Walde, jede Kuh, die auf der Wiese weidete, jeden Vogel auf dem Hühnerhof. Und der freundliche Gruß des Gesindes und der Bauern, wenn sie an ihnen vorüberging, sagte: die Jungfer leidet Unglimpf, und wir sehen es, wir sind betrübt darüber, und wir haben dieselbe Gesinnung gegen das Weibsbild droben wie Ihr.
Aber in Kopenhagen?
Hier hatte sie Lucie, und sie hielt große Stücke auf Lucie, aber sie war ja doch nur eine Dienerin; sie besaß Luciens ganzes Vertrauen und war froh darüber und dankbar dafür; aber Lucie besaß ihr Vertrauen nicht. Sie konnte ihren Klagen ihr gegenüber nicht Luft machen; sie wollte nicht, daß man zu ihr sagte, es sei traurig, so wie sie gestellt sei; und sie konnte durchaus nicht zugeben, daß eine dienende Person über ihre unglücklichen Familienverhältnisse sprach; nicht einmal über die Muhme wollte sie ein Wort hören. Und doch liebte sie die Muhme gar nicht, hatte auch keinen Grund dazu.
Rigitze Grubbe hatte die sehr strengen Anschauungen der Zeit über das Heilsame einer harten und wenig glimpflichen Erziehung, und sie nahm sich vor, Marie demgemäß zu erziehen. Sie hatte keine Kinder, hatte auch niemals welche gehabt, sie war daher eine äußerst ungeduldige Pflegemutter, dazu sehr unbeholfen, da die Mutterliebe sie niemals die kleinen und äußerst nützlichen Kunstgriffe СКАЧАТЬ