Название: Lebensbilder
Автор: Оноре де Бальзак
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783955014735
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So vortrefflich die Tendenz und der satirische Ton des Verfassers ist, so wenig kann sein Vortrag befriedigen. Wieder macht sich der Hang Schiffs, Binnenerzählungen einzuschieben, unliebsam bemerkbar. Dabei ist er so skrupellos, von ihm bereits veröffentlichte jüdische Geschichten einzuflechten, wie zum Beispiel aus »Hundert und ein Sabbath« das Märchen vom »Rabbi Chanina« (allerdings in etwas veränderter Form). Von der größten Bedeutung ist die Vorrede des Romans, in der Schiff seine Absichten genau darlegt. Er schreibt an seinen Verleger:
»In der deutschen Literatur gibt es noch wenig komische Romane und in dieser Art vielleicht noch keinen; er ist kein satirisch-, kein fantastisch-, kein sentimental-, kein humoristisch-komischer Roman, sondern ganz einfach ein komischer Roman. Dieses Buch entspringt aus dem einzigen Spaß, der alle Situationen herbeiführt. Daß eine jüdische Rabbinerstochter als Mutter Gottes auf einem Hochaltar einer Kathedrale gemalt ist, bringt Katholiken und Juden in Harnisch.
Die Gegenwart hat mir den Stoff nahegebracht. Wir haben jetzt einen Neu-Katholizismus, einen Neu-Protestantismus. einen Neu-Israelitismus. Jeder hadert mit seiner Religion und die Gegenwart mit allen Religionen insgesamt. Ein Dichter lernt von seiner Zeit. Ursprünglich liebt er alle Religionen, jede hat ihre Merkwürdigkeiten, sinnreichen Mythen, und der Dichter kann sich keinen würdigeren Stoff wünschen als diesen. Aber zwei Religionen sind etwas anderes als eine, und zwei Religionen auf einmal anzunehmen, ist unmöglich. Zwei Religionen sind zwei Auguren, die sich nicht ansehen können, ohne sich auszulachen. Und deshalb kann ein Dichter aus zwei Religionen einen komischen Roman machen. Ernst läßt sich dieses Thema nicht behandeln. Wenn sich bei Calderon zwei Religionen begegnen, ergreift er für eine Partei. Lessing macht aus drei Religionen eine. Denn er ist Kosmopolit und will aufklären. Allerdings kann diese Versöhnung Lessings nur dauern, bis der Vorhang fällt. Diese eine Familie wird nie einen Hausstand bilden können – eine polnische Wirtschaft ist unausbleiblich. Nach meiner Ansicht schwindet sofort alles Würdige und Edle, wenn sich zwei Religionen im Geiste des schaffenden Dichters begegnen.« Schiff entwirft dann eine fiktive Charakteristik seines schriftstellerischen Lebens. Als Sohn blutarmer Leute mußte er Bittbriefe schreiben, man ließ ihn studieren, aber nirgends fand sich für ihn ein Amt, und deshalb wurde er Schriftsteller. Er will aber nur die «Sympathien und Antipathien der niederen Klassen« zur Sprache bringen. Er will ein literarischer Plebejer sein. »Die deutsche Literatur hat seit achtzehn Jahren nur in großen Worten geschwelgt, ohne etwas geleistet zu haben. Sie gleicht dem Zeitgeiste, der nicht demokratisch ist, obwohl er als solcher gerühmt wird. Er ist ein Geldgeist, ein Kaufmannsgeist, ein Rechengeist, ein Judengeist, der uns das Brot abknappt und uns unsere Weiber mißgönnt. Die deutsche Literatur hat sich durch siebzehn Jahre nur nach den Bedürfnissen der Reichen gerichtet, sie hat ihnen Pikantes serviert, weil Pikantes von ihr verlangt wurde. Der Reiche hat alles und kann alles bezahlen, der Arme hat nichts. Will er einmal für sein geringes Geld etwas genießen, so ist es ihm unmöglich; nicht einmal ins Theater kann er gehen. Nur eine Kunst kann sich des Armen annehmen: die des Dichters. Das Buch hat für alle denselben Preis.« Man hatte den Fürsten literarisch lange genug geschmeichelt, nun möge man einmal dem Volke schmeicheln. Man möge die Feinde des Volkes verhöhnen und nichts vom deutschen Michel erzählen, keine sentimentalen Dorfgeschichten, keine Polizeinovellen, keine Geheimnisse von Paris, übertriebene Schilderungen von Lastern (was er aber selbst sehr oft getan hat). Nicht dem Zeitgeiste, sondern dem deutschen Volksgeiste möge man huldigen, das sei der einzige wahre, ewige Gott, der Gott seiner Väter. Im Namen des Volkes und für das Volk will er die Willkür des Genies, seinen Übermut des Talentes rechtfertigen gegen seine Mitliteraten. Seine Devise ist: Es lebe der deutsche Geist.
Aus dieser Vorrede sprechen starke demokratische Anschauungen, die Schiff voll erbitterter Wut und Wucht vorträgt. Zweierlei mag dies veranlaßt haben: Die Zeitstimmung, in der »Schief-Levinche« entstand (die Revolution des Jahres 1848) und die Mißachtung, über die er sich gerade jetzt zu beklagen hatte. Die Volkserhebungen im »tollen Jahre« machten aus ihm einen begeisterten Demokraten. Er beabsichtigte damals die Abfassung einer Reihe von Flugschriften unter dem gemeinsamen Titel »Die Ehrentaten der Bluse oder die Revolutionen des Jahres 1848«, wovon jetzt nur das erste Heft »Die französische Revolution« (mit vier lithographierten Bildern, Hamburg 1849) erschien. Die Begeisterung für die achtundvierziger Revolution muß wundernehmen, denn gerade sie war der Anlaß, daß »Schief-Levinche« vollkommen spurlos vorüberging. So war es Schiff ja immer ergangen: jedem seiner bedeutenderen Werke (Agnes Bernauer, Gevatter Tod, Hundertundein Sabbath) wurde durch ein unvorhergesehenes äußeres Ereignis jedes Interesse geraubt. Wegen des Hamburger Brandes unterblieb die Fortsetzung von »Hundert und ein Sabbath«, und ebenso schrieb Schiff niemals den angekündigten zweiten Teil des »Schief-Levinche«, wovon der Titel lauten sollte: »Schlemiehligkeiten Löbel Kurzweils, des Missionärs«. Man darf es bedauern, daß dieses Buch niemals erschien (vielleicht war es verfaßt worden, und den Verleger hielt nur der geschäftliche Mißerfolg »Schief-Levinches« von der Drucklegung ab) und daß Schiff niemals mehr einen so echten, treffenden und wirkungsvollen Judenroman schrieb wie »Schief-Levinche«.
Es ist Heines Verdienst, auf das Buch, nachdem es drei Jahre hindurch völlig unbeachtet geblieben war, mit größtem Nachdruck hingewiesen zu haben. Zwar wollte ihm die erbarmungslose Kritik, die Schiff an den Fehlern des fanatisierten Judentums übt, nicht ganz gefallen, doch veröffentlichte er über das Buch ein herzliches Lob:
»Dieser dumme Kerl ist ein wahres Genie! Er hat mehr plastische Darstellungsgabe als alle neueren Poeten zusammen, die jetzt in Deutschland leben. Es ist kaum zu begreifen, daß er so wenig Anerkennung gefunden hat. Sein Buch ist tiefsinnig, voll sprudelnden Witzes, wahrhaft künstlerisch, und was die Hauptsache ist – es hat das Verdienst, mich unendlich amüsiert zu haben. Schiff hat jedoch die Schmutzseite des jüdischen Lebens zu grell beleuchtet. Hinter dem Schmutze der gemeinsten Schacherjuden aber ist sehr oft Edelsinn und Großmut verborgen. Sie verstecken diese Glanzseite oft absichtlich – wie sie in den Zeiten des Druckes ihren Reichtum hinter dem Scheine der Dürftigkeit vor den Augen der Habsucht zu sichern wußten.«
Mit dieser warmen Empfehlung Heines, die in allen, selbst den kleinsten deutschen Zeltungen erschien, war die Verstimmung zwischen ihm und Schiff geschwunden; sie nahmen schriftlich den Verkehr wieder auf, Heine gedachte in den Briefen an Campe sehr oft seines Jugendfreundes (vgl. u. a. Brief vom 29. September und 8. Oktober 1851, 28. Jänner 1852, 26. Juni 1854 [* Vgl. »Hermann Schiff an Heinrich Heine«. (»Europa«, 1854, Nr. 43.)] , 1. November 1855) und noch einmal am 30. Mai 1854 kam er auf »Schief-Levinche« zurück (an Campe): »Von Schiffs Buch (es sind die 1854 erschienenen ›Luftschlösser‹) habe ich noch keine Zeile lesen können. Ich werde es mit größtem Interesse mir vorlesen lassen. Unterdessen grüßen Sie mir ihn dankbarlichst. Der närrische Kauz amüsiert mich sehr. Sein ›Schief-Levinche‹ war vortrefflich.« Auch sonst erinnerte man sich jetzt Schiffs allenthalben; Varnhagen notierte in seinem Tagebuche (VIII, 387): »Der von Heine gelobte Roman: toll genug, ernst und spaßhaft, ein gutgefaßter Stoff, aber nicht von Künstlerhand gefaßt, nur von kundiger und auch nicht ungeschickter.« »Der Freischütz« (1851, Nr. 33) brachte eine ausführliche Charakteristik der literarischen Wirksamkeit Schiffs, und sogar bis nach Frankreich drang sein Ruhm; die »revue des deux mondes« erging sich in Lobeserhebungen und stellte ihn dem französischen Dichter Gombert an die Seite.
Allerdings waren das durchaus ideelle Erfolge; ein materieller stellte sich bei dem Erscheinen des Buches nicht ein. Und so war Schiff wieder einmal gezwungen, seinen Aufenthaltsort zu verändern. Diesmal ging er nach Hannover, wo er von 1848 bis Mitte 1851 verblieb. Er ernährte sich recht kümmerlich durch Mitarbeit an dem von Wilhelm Schröder herausgegebenen »Hannoverschen Volksblatt für Leser aller Stände«, das er mit recht schwachen Novellen (»Aschenbrödels Lackstiefel, eine Schustergeschichte«, »Ali mit den sechs Fingern, eine marokkanische Geschichte«, «Die Odaliske« [* In orientalischem Milieu spielt auch Schiffs »merkantilisches Märchen« СКАЧАТЬ