Название: Lebensbilder
Автор: Оноре де Бальзак
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783955014735
isbn:
»Schief-Levinche« variiert das Motiv aus: »Des Teufels Schwabenstreich«, daß ein seiner kleinen Gemeinde wohlbekanntes Mädchen als Modell für ein Marienbild dient. Nur geht der Dichter hier insofern weiter, als ein Judenmädchen aus dem Ghetto als Mutter Gottes gemalt wird. Eine arge Blasphemie enthalten beide Wendungen, ob der Maler veranlaßt wird, ein Mädchen, das sich bei einem Bischof in Gunst zu setzen weiß, als Gottesmutter zu malen, oder ob er dies mit einem Judenmädchen tut. Beide Male beabsichtigt Schiff nur, zu zeigen, wie wenig göttlich die Personen seien, die im Bilde angebetet werden. (Noch ein drittes Mal in der »Waise von Tamaris« begegnet dieser Zug in Schiffs Dichtung.) Wie sehr er übrigens im »Schief-Levinche« von »Des Teufels Schwabenstreich« abhängig ist, beweist auch der Umstand, daß die Schönheit der beiden Heldinnen auf dieselbe Weise erhöht wird: Hunger und Mißhandlungen machen sie blasser, dadurch schöner; durchgeistigter, himmlischer. –
Nun begnügt sich Schiff aber keineswegs damit, den Katholizismus und die Bilderverehrung satirisch zu verunglimpfen; in weit höherem Maße ist es ihm darum zu tun, auch hier die fanatische Unduldsamkeit des Judentums anzuklagen. Ihm erscheint religiöse Beschränktheit bei allen Konfessionen ein arges Übel, das er dadurch, daß er es lächerlich macht, ausrotten will. Deshalb zeigt er in »Schief-Levinche«, in vieler Hinsicht einem Seitenstück zu »Simon Abeles«, welche furchtbaren Mißhandlungen einem armen, gedrückten Judenkinde zuteil werden, wenn es ohne sein Hinzutun in unschuldige Berührung mit Christen komme. Daß darin auch nur die geringste Schuld liegen könne, daß darauf die schwersten Bußen gesetzt sein sollten – dagegen bäumt sich Schiff auf, dafür findet er nur die spöttischesten Worte der Entrüstung.
Dem Roman liegt das alte Motiv der Gegnerschaft zwischen Vater und Sohn bei der Bewerbung um ein schönes Mädchen zugrunde. Der alte Israel Levin und sein Sohn Levin Israel (Schief-Levinche genannt) sind in die schöne Rabbinerstochter Mariamne verliebt. Da Schief-Levinche für seinen geizigen Vater kein Geschäft mehr machen will, wenn er Mariamne nicht heiraten dürfe, gibt der Vater nach und gestattet die Hochzeit, unter der Bedingung, daß der Brautstand drei Monate dauern müsse. Denn er glaubt nicht, daß zwischen Mariamne und Schief-Levinche je Zuneigung zustande kommen könne.
Das kontrastierende Paar, die schöne Mariamne und der krummbeinige, schiefgewachsene Levinche, ist ausgezeichnet charakterisiert, wie sich überhaupt Schiffs Kunst der Charakteristik und der Milieuzeichnung hier am besten offenbart. Wie er Schief-Levinches groteske Verliebtheit und Ungeschicklichkeit, seine Sucht, um jeden Preis zu verdienen, selbst wenn er Prügel und Schelte erhält, schildert, das ergibt ein kulturhistorisch ungemein wertvolles Bild. Mariamne könnte von Balzacs Feder gezeichnet sein; die Zergliederung ihrer Schönheit in die kleinsten Einzelheiten und die Art, wie ihre Reize hervorgehoben werden [* Eine 1847 in der »Gegenwart« (Nr. 3–21) erschienene Novelle »Die Russen in Paris« ist in allen Details von Balzac abhängig] , hat Schiff zweifellos Balzac abgelernt. Dagegen sind die anderen Gestalten des Romans vortrefflichen eigenen Beobachtungen erwachsen; der zelotische Rabbiner, der Geld leicht zugänglich ist, der zu Ehren seiner Religion die eigene Tochter seelisch und körperlich mißhandelt und in seiner Borniertheit sogar der eigenen Frau befiehlt, der Tochter das Gesicht zu zerfleischen, damit es dem Bild, auf dem sie gemalt ist, nicht mehr ähnlich sei, ist eine in ihrer erschreckenden Wahrheit ungemein glaubwürdige Gestalt; ebenso seine fanatische Frau, aus der – echt weiblich – ein bißchen Eitelkeit spricht, daß ihrer schönen Tochter fast göttliche Ehren erwiesen werden, und die sie deshalb mit wahrer Wollust entstellt; der Vater Schief-Levinches, ein Wucherer schlimmster Sorte, der aber in einer jüdischen Gemeinde die erste Rolle spielt, der Talmudist Löbel Kurzweil, der für hundert Taler zu allem fähig ist – er gleicht Zug um Zug dem Löbel Kurzweil aus »Hundert und ein Sabbath« – und die einzelnen Nebenpersonen, die vorzüglich differenziert und abschattiert sind – all das zusammen ergibt voll erbarmungsloser Wahrhaftigkeit ein plastisches, abgerundetes Bild eines jüdischen Ghettos.
Und aus diesem Milieu erklärt sich dann sehr leicht der schwere Konflikt, in den Mariamne gerät, die dem Maler für das Muttergottesbild Modell steht. Die ganze Judenschaft empört sich um so heftiger gegen das Mädchen, als Bilderverehrung nach jüdischem Glauben ein arger Frevel ist. Es verschlägt nichts, daß Mariamne, eine durchaus schwärmerische Natur, die immer vom Paradiese träumt und in Gedanken daran schon auf Erden Seligkeiten empfindet, fast durch hypnotische Gewalt von dem Maler überredet wird, sich malen zu lassen. Unbarmherzig wird sie gefoltert: aber wie sie als echtes Judenmädchen immer gehorsam ist und sich sogar dazu verstanden hat, einen häßlichen Schacherjuden auf Befehl ihrer Eltern zu heiraten, so erduldet sie jetzt alles mit stoischer Selbstüberwindung. Endlich flieht sie, aber nur weil sie geträumt hat, sie werde – eine zweite Jungfrau von Orleans – ihrem Volke eine Retterin werden.
Mariamne bei den Christen ist der schwächere Teil des Werkes. Es ist wieder nur eine Motivwiederholung (aus »Das Margaretenfest«), wenn Schiff das Mädchen von dem Pastor Vitepsky heiß lieben und diesen, um sie in seine Gewalt zu bringen, sogar ein Verbrechen begehen läßt. Auch der tragische Schluß, der sich dem Gefüge eines »komischen« Romans wohl nur schlecht anpaßt, muß als verfehlt, wenn auch dichterisch schön gelten. Unglaubhaft ist er nicht: Die seelischen Erregungen der letzten Zeit haben Mariamne so angegriffen, daß sie, die durch Hunger und Mißhandlungen ohnehin sehr geschwächt ist, bei der Exorzisierung von einem Nervenschlag getroffen wird und daran stirbt.
Aus der Erzählung Schiffs spricht der ungebändigte Haß gegen das Judentum; ihm scheint es nicht wie Heine (vgl. Alfred Meißners »Erinnerungen«, Seite 148) ebenso lächerlich wie ehrwürdig zu sein, sondern er findet es bloß lächerlich und erbärmlich. Die Gestalt des gepeinigten Judenmädchens soll tiefste Rührung, aber auch Erbitterung über einen Fanatismus erwecken, der es noch für Glaubenstreue hält, wenn er zur höheren Ehre Gottes martert und mordet. Es soll nur Schiffs Objektivität (im Hassen) beweisen, wenn er auch Schattenseiten des Christentums herausfindet und lächerlich macht (die Bestattung Mariamnes als einer Art Heiligen usw.). Ernstlich kam es ihm nur darauf an, den Schäden des jüdischen Klerikalismus heftig und wirkungsvoll zu Leibe zu gehen [* Der Roman erschien unter dem charakteristischen СКАЧАТЬ