Название: Lebensbilder
Автор: Оноре де Бальзак
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783955014735
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Kurz, meine Ausweisung hat auch nicht einmal etwas Mittelalterliches. Sie ist durchaus spezifisch-hamburgisch und unterscheidet sich von den Ausweisungen früherer Zeiten und fremder Staaten dadurch, daß der aus Hamburg verwiesene Hamburger gezwungen ist, in Hamburg zu bleiben ...
Du wirst aber fragen: ›Woher kann man Hamburg als ausgewiesener Hamburger nicht verlassen?‹
Es hat damit folgende Bewandtnis. Als ich um einen Paß bat, um augenblicklich abzureisen, nicht um einen Kanzleipaß, wie ihn der geborene Hamburger erhält, sondern um einen Polizeipaß, den man jedem Fremden gibt, erhielt ich zur Antwort: »Ausgewiesene erhallen keine Legitimationspapiere.«
Da es mir unmöglich war, meiner Obrigkeit zu gehorchen, mußte ich allerdings bitten, meinen loyalen Gehorsam und guten Willen durch Zwangsmittel zu unterstützen.
Mein nächstes Ausland heißt Altona. Und bis dahin gab man mir einen einzigen Polizeidiener mit, der an der Grenze kehrt machte und wieder nach Hause ging. Als ich aber von der Altonaer Polizei eine Aufenthaltskarte verlangte, weil ich aus Hamburg verwiesen sei, wurde ich ausgelacht und augenblicklich wieder mit der Polizei zurückgeführt. Ich habe noch ein zweites Ausland, welches Harburg heißt, ein drittes Namens Wandsbeck, ein viertes Eimsbüttel und mehr dergleichen Ausländer. Auch nicht verwiesene Hamburger gehen bei schönem Wetter nach allen diesen Ausländern spazieren; mir aber wurde ein für allemal verboten, mich in den Ausländern blicken zu lassen, wenn ich nicht augenblicklich mit der Polizei nach Hamburg zurücktransportiert werden wollte.
Die Zwangsmaßregeln, welche meine Regierung in Anwendung brachte, waren offenbar viel zu schwach. Ein einzelner Polizeidiener, der mich bis an die Grenze bringt, ist zu wenig. Die ganze Bürgergarde, die ganze hanseatische Garnison, die Artillerie vom Dammtorwall und eine gefüllte Kriegskasse, dann könnte ich dem Beschluß meiner Obrigkeit im Auslande Anerkennung verschaffen.
Wie du weißt, lieber Heine, hat jeder Deutsche zweierlei Patriotismus. Einen allgemeinen für das große deutsche Vaterland und einen speziellen und konzentrierten für das engere spezifische, wenn dieses Vaterland auch nur eine Vaterstadt ist.
Nun glaubst du nicht, lieber Heine, was ein aus Hamburg verwiesener Hamburger bei diesem Konflikt des doppelten deutschen Patriotismus zu leiden hat. Ich bin ja nicht bloß der Obrigkeit meines engeren Vaterlandes meinen treuen Untertanengehorsam schuldig, sondern auch allen Obrigkeiten meines größeren, des gesamten deutschen Vaterlandes. Auf Befehl der Obrigkeit meines engeren deutschen Vaterlandes verlasse ich Hamburg mit aller Rührung, allen Dankgefühlen, mit der man aus solch einer von sechsundzwanzig Herren vortrefflich regierten Stadt scheidet. Und mit dem Stolz eines Deutschen, der noch einige dreißig andere Herren hat, betrete ich mein größeres und Gesamtvaterland, Altona. Dort wird mir befohlen, umzukehren und der Obrigkeit meines engeren Vaterlandes ungehorsam zu sein, hier wird mir befohlen, in mein größeres Vaterland zurückzukehren, um irgendeiner meiner vielen Obrigkeiten Gehorsam zu leisten. Kann man das von einem Deutschen verlangen?
Und ach! Hier in diesem Zimmer sitze und schreibe ich, ohne polizeiliche Erlaubnis dazu zu haben. Unter einem unlegitimen Obdach begebe ich mich nachts zu Ruhe, in ein unlegitimes Bette lege ich mich schlafen. Und ach! wie greift es meine Loyalität an, wenn ich Miete zahle. Dieses Sündengeld, womit ich mir Ungehorsam gegen meine Obrigkeiten erlaube! – Richard III. ist ein Knicker. – Ein einziges Königreich für ein Pferd! – Fünfunddreißig Bundesstaaten für eine Quadratelle deutschen Bodens, wo ein gewissenhafter Deutscher sich hinstellen kann, um sich auf dem Boden des Rechtes und Gesetzes zu erhalten.
Schon aus diesen Zeilen kannst du ersehen, welch ein Lokalschriftsteller aus mir geworden ist. Die Luftschlösser sind noch aus der früheren Periode. Bei der jetzigen trübseligen Jahreszeit und dem unwirtbaren geschichtlichen Boden ist fast nichts anderes als Luftschlösser zu haben.
Die sogenannte große deutsche Zeit, was hat sie anderes hervorgebracht als Luftschlösser?
Selbst das unbedeutende Portugal hatte seine große Zeit, die freilich auch nur sehr kurz war und spurlos dahinschwand, wie die große deutsche Zeit. Aber es hatte doch einen Dichter, der die Helden- und Kriegstaten seiner Völker besang.
Ich schildere nur Luftschlösser und Friedenstaten. Ich bin kein Camoens, und das ist ein Glück.
Wenn ich die schleswig-holsteinischen Feldherren, die deutschen Grundrechte, den Gothaer Mittelmäßigkeitsverein, die deutsche Flotte, die Helden des passiven Widerstandes und der friedlichen Demonstrationen besingen sollte, es würde eine schreckliche Lustade werden.«
So heiter wie hier Schiff seine Ausweisung 1854 schilderte, war sie nicht. Da er sich dem Senatsdekrete nicht fügte, wurde er am 12. April 1852 verhaftet, weil er sich unberechtigt in Hamburg aufhielt. In einem Bericht an Sr. Hochweisheit Herrn Senator Meier, Dr. p. t., Patrono der Vorstadt St. Pauli, heißt es, »daß Schiff (51 Jahre alt), der von hier verwiesen ist, in der Gegend des Aktien-Theaters verhaftet wurde. Er wollte seine Wohnung nicht angeben, um die Leute, bei denen er sich heimlich aufhielt, nicht in Verlegenheit zu bringen.« Entscheidung: Verbot an den Arrestaten, sich wieder in Stadt und Geblet betreten zu lassen, welcher versprach, mit I.F. Richter vor dem Altonaer Magistrate zu erscheinen. Daraufhin wurde er mit Richter entlassen. Inzwischen war nämlich ein Brief Richters bei der Hamburger Polizei eingelaufen, worin er schrieb, daß er von Schiffs Verhaftung gehört und für ihn in Altona eine Kaution von 1500 Mark Bco. deponiert habe, welche ihm nicht früher ausbezahlt würde, bevor Schiff nicht in Altona verhört werden könne. Er bat, Schiff, den er seit vier Wochen vergeblich gesucht habe, zur Anhörung eines ihn betreffenden Erkenntnisses an den Magistrat zu Altona auszuliefern. Das geschah: Richter erhielt die deponierte Kaution zurück, und Schiff wurde in Altona entlassen.
Aber die Gefahr der Ausweisung und Verhaftung drohte ihm auch weiterhin, immer unter dem Vorwande, daß er unberechtigt eine Ausländerin geheiratet habe. Auf diese war der Hamburger Senat ebenfalls schlecht zu sprechen, zumal sie einen wenig einwandfreien Lebenswandel führte und ihren außerehelich geborenen Kindern immer wieder die Heimatsberechtigung in Schiffs Vaterstadt sichern wollte. Darüber erhob sich ein langwieriger Aktenwechsel zwischen dem sächsischen Ministerium des Äußeren und dem Hamburger Senat. Er ist ungemein lehrreich, weil er zeigt, mit welchen Nichtigkeiten sich deutsche Behörden monatelang beschäftigten, und wie ungerecht man gegebenenfalls vorging, um sich von einem unbequemen Menschen zu befreien. Schiffs Frau hatte schon 1843 und 1844 vergeblich versucht, für ihren Sohn einen Hamburger Heimatsscheln zu erwerben. 1847 wurde auf ein neuerliches Ansuchen dekretiert, daß das Kind auf einen solchen keinen Anspruch habe, da Schiff als Vater wegen der Heirat sein Heimatsrecht verwirkt habe. 1854 erfloß indes eine günstigere und gerechtere Entscheidung in dieser kleinlichen Angelegenheit. Das königlich sächsische Ministerium des Äußeren schrieb damals an den Hamburger Senat:
»Luise Amalia Auguste geborene Leuthold hält sich gegenwärtig (11. November 1853) in Leipzig auf, und erscheint auch ihr Aufenthalt unbedenklich, so ist es doch nur unter der gewissen Voraussetzung der Fall, daß über die Staatsangehörigkeit derselben kein Zweifel obwalte, vielmehr solche gehörig festgestellt sei.
Da der Ehemann dieser Frau geborener Hamburger und sie von demselben nicht getrennt ist, so würde jene Staatsangehörigkeit sich hiernach einfach regeln, wäre nicht erinnerlich, daß, als im Jahre 1847 unter dem 29. Juli das unterzeichnete Ministerium in dem Fallewar, den hochverehrlichen Senat der ... Stadt Hamburg zu benachrichtigen, daß die hiesige königliche Regierung genötigt war, nächst anderen sogenannten Literaten auch den Doktor Schiff von Leipzig auszuweisen. Dagegen äußerte sich Hamburg am 20. Dezember desselben Jahres, weil sich Schiff 1841 zu Schkeuditz verheiratet habe, er dadurch sein Hamburgisches Heimatsrecht gesetzlich verloren und gehöre dem Hamburgischen Staatsverbande nicht mehr an. Die hiesige Regierun СКАЧАТЬ