Название: Gesammelte Werke
Автор: Джек Лондон
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813475
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Dann hörte Saxon einen Schlag – ein Irrtum war nicht möglich; eine Scheibe wurde zerschlagen. Dann wurde an der Hintertür gerungen und endlich ein schwerer Körper die Treppe hinabgeworfen. Danach hörte sie Billy in die Küche zurückkommen und umhergehen – sie wusste, dass er die Glasscherben zusammenfegte. Dann wusch er sich am Ausguss und begann zu pfeifen, während er sich Gesicht und Hände abtrocknete, und kam dann ins Vorderzimmer. Sie sah ihn nicht an – dazu war sie zu elend und traurig. Er blieb unentschlossen stehen, als könnte er nicht recht mit sich einig werden.
»Ich muss in die Stadt«, sagte er schließlich. »Wir haben Versammlung in der Gewerkschaft. Wenn ich nicht wiederkomme, hat der Schwachkopf mich bei der Polizei angezeigt.«
Er öffnete die Hintertür, blieb aber wieder stehen. Sie wusste, dass er sie ansah. Dann schloss sich die Tür, und sie hörte ihn die Treppe hinuntergehen.
Saxon war vollkommen betäubt. Sie konnte nicht denken. Sie wusste nicht, was sie denken sollte. Alles war so unfassbar, so unglaublich. Sie lehnte sich mit geschlossenen Augen im Sessel zurück, ohne einen einzigen klaren Gedanken im Kopf, und zu Boden gedrückt von dem bleischweren Gefühl, dass jetzt alles aus war.
Die Kinder, die auf der Straße spielten, riefen sie in die Wirklichkeit zurück. Es war Abend geworden. Sie suchte tastend nach einer Lampe und zündete sie schließlich an. In der Küche blieb sie stehen und starrte mit bebenden Lippen auf das karge, halbzubereitete Essen. Das Feuer war ausgegangen, das Wasser von den Kartoffeln verkocht. Als sie den Deckel abnahm, stieg ein brenzliger Geruch aus dem Topf auf. Methodisch wie immer, reinigte und wusch sie den Topf, brachte alles in Ordnung und schnitt die Kartoffeln in Scheiben, sodass sie sie am nächsten Tage braten konnte. Und ebenso methodisch entkleidete sie sich und ging zu Bett. Ihre vollkommene Ruhe war unnatürlich, so unnatürlich, dass sie sofort die Augen schloss und fast im selben Augenblick eingeschlafen war.
Es war seit ihrer Verheiratung die erste Nacht, die sie ohne Billy verbrachte. Sie war ganz verblüfft, dass sie nicht wach gelegen und sich um ihn geängstigt hatte. Mit weit offenen Augen, fast ohne Gedanken in ihrem Hirn, blieb sie liegen, bis sie bemerkte, dass ihr Arm schmerzte. Dort hatte Billy sie gepackt. Als sie die schmerzende Stelle untersuchte, sah sie, dass sie ganz schwarz und blau war. Sie war überrascht, nicht darüber, dass der Mensch, den sie über alles auf der Welt liebte, ihr diesen Schaden zugefügt hatte, sondern über das rein Physische, dass ein Druck, der nur einen Augenblick dauerte, solchen Schaden anrichten konnte. Die Kraft eines Mannes war etwas Fürchterliches. Sie ertappte sich dabei, wie sie, ganz unpersönlich, darüber nachdachte, ob Charley Long wohl ebenso stark wie Billy sei.
Erst als sie sich angekleidet und Feuer gemacht hatte, begann sie, an Näherliegendes zu denken. Billy war nicht wiedergekommen – also war er verhaftet worden. Was sollte sie tun? Ihn im Gefängnis lassen, ihrer Wege gehen und ein neues Leben beginnen? Selbstverständlich war es unmöglich, weiter mit einem Mann zusammenzuleben, der sich so wie er benommen hatte. Dann aber tauchte ein anderer Gedanke auf – war es wirklich unmöglich? Trotz allem war er ja ihr Mann. In guten und schlechten Tagen – den Satz wiederholte sie sich immer wieder, als monotone Begleitung zu ihren Gedanken, im Hintergrund ihres Bewusstseins. Ihn zu verlassen, hieß, alles aufzugeben. Sie brachte die Sache vor den Richterstuhl der Erinnerung an ihre Mutter. Nein, Daisy hätte nie aufgegeben. Daisy hatte Kampfblut in den Adern. Also musste auch sie, Saxon, kämpfen. Und zudem – das gab sie willig, wenn auch kalt und tot, zu – zudem war Billy besser als die meisten Ehemänner. Und sie erinnerte sich seines Feingefühls und Taktes bei so vielen früheren Gelegenheiten und namentlich seines ewigen Kehrreims: Nichts ist zu gut für uns.
Um elf Uhr kam Besuch. Es war Bud Stroters, Billys Kamerad bei der Streikwache. Er erzählte ihr, dass Billy sich geweigert hätte, Kaution zu stellen, sich geweigert hätte, einen Rechtsanwalt zu nehmen, gebeten hätte, ihn vor Gericht zu stellen, gestanden hätte und zu einer Strafe von sechzig Dollar oder dreißig Tagen Gefängnis verurteilt wäre. Er hätte sich auch geweigert, die Kameraden die Strafe für ihn bezahlen zu lassen.
»Er ist ganz durchgedreht«, schloss Stroters. »Er will keine Vernunft annehmen. Er sagt, er wolle seine Zeit absitzen. Ich denke, er hat ein bisschen reichlich getrunken und ist etwas wirr im Kopf davon. Aber hören Sie, er gab mir einen Brief für Sie. Wenn Sie etwas entbehren, so schicken Sie nur zu mir. Alle Kameraden werden Billys Frau unterstützen. Sie gehören zu uns. Wie steht es mit Geld?« Sie erklärte stolz, kein Geld zu brauchen, und erst, als ihr Gast Abschied genommen hatte, las sie den Brief:
Liebe Saxon – Bud Stroters hat mir versprochen, Dir diesen Brief zu geben. Mach Dir keine Sorge um mich. Ich will meine Strafe verbüßen. Ich verdiene sie – das weißt Du auch selber. Ich muss ja ganz verrückt gewesen sein. Aber deshalb tut es mir doch leid, dass ich mich so benommen habe. Du sollst mich nicht besuchen. Wenn Du Geld brauchst, wird die Gewerkschaft es Dir geben. In einem Monat komme ich wieder heraus. Und, Saxon, Du weißt ja, dass ich Dich liebe, und sage Dir nur selbst, dass Du mir dies eine Mal verzeihst – dann sollst Du es nicht wieder nötig haben.
Billy.
Bud Stroters war kaum zur Tür hinaus, als auch schon Maggie Donahue und Frau Olsen als gute Nachbarinnen kamen und versuchten, sie ein wenig zu erheitern.
Nachmittags kam James Harmon. Er hinkte ein wenig, und Saxon erriet, dass er sich bemühte, es zu verbergen. Sie versuchte, sich zu entschuldigen, aber er wollte sie nicht anhören.
»Ich mache Ihnen keine Vorwürfe, Frau Roberts«, sagte er. »Ich weiß ja, dass es nicht Ihre Schuld war. Aber Ihr Mann war nicht recht bei Sinnen, denke ich mir. Er war so wild darauf, sich mit irgendjemand zu prügeln, und es war mein gewöhnliches Pech, dass ich ihm gerade in den Weg laufen musste.«
»Aber deshalb –«
Der Heizer schüttelte den Kopf.
»Ich kenne das alles so gut. Ich habe früher auch gern eins getrunken und manche Dummheit gemacht. Und es tut mir leid, dass ich ihn anzeigte. Aber ich war auch wütend. Jetzt bin ich ruhiger geworden, und es tut mir leid, dass ich es getan habe.«
»Das ist furchtbar nett von Ihnen«, sagte sie, und dann begann sie zögernd und stotternd vorzubringen, was sie bedrückte. СКАЧАТЬ