Название: DIE GRENZE
Автор: Robert Mccammon
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783958353060
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Sie folgten einem Weg aus aufgerissenen Betonplatten bis zu einer Steintreppe, die in das Gebäude führte. Ein Türflügel war nach innen aus den Angeln gedrückt worden, der andere hing schief wie ein Betrunkener an Samstagnacht. Oder, wenn Dave es recht bedachte, wie in einem früheren Leben Betrunkene in der Samstagnacht schief zu hängen pflegten. Das Licht im Inneren war trüb und von einem fleckigen Gelb wie der grässliche Himmel. Glas knirschte unter ihren Stiefeln, ein Geräusch, das Olivia an diesem stillen Ort fürchterlich laut erschien.
Aber es war nicht vollkommen still. An hundert Stellen tropfte Wasser von der Decke. Nasse Papiere klebten auf dem Boden und hatten die Farbe von aufgebrühtem Tee angenommen. Die Bodenfliesen kippelten ein wenig, als Dave und Olivia darüber gingen. Der Boden selbst fühlte sich schwammig an, als würde er gerade noch so von verrotteten Balken getragen, die kurz vor dem Zusammenbruch standen. Sie kamen an einer Vitrine vorbei, die einst die Trophäen der Sportmannschaften der Highschool zur Schau gestellt hatte und die der ganze Stolz der Schule gewesen war. Jetzt lag die Vitrine zerbrochen am Boden und die Trophäen waren von zahllosen Wasserflecken dunkel geworden. Ein riesiges Wandgemälde, das wahrscheinlich von den Schülern gemalt worden war, zeigte die Welt und sie umgebende Gestalten, die Arm in Arm miteinander verbunden waren. Das Wandbild war von großen braunen Flecken durchsetzt, an denen der Putz von der Wand gefallen war, aber die verblichene Botschaft »Die Menschenfamilie« war noch lesbar.
»Das hier war das Büro«, sagte Dave, als sie an einer offenen Tür vorbeikamen. »Der Speisesaal ist da oben. Die medizinischen Vorräte habe ich in einem Zimmer ein Stückchen weiter gefunden. Die Bibliothek muss irgendwo dahinter sein.«
Olivia nickte. Wasser tropfte geräuschvoll aus einem Wasserhahn. Pfützen hatten sich um weggeworfene Notizbücher und Trümmerteile gebildet, die in der Panik aus den offenen Spinden der Schüler herausgefallen waren, als diese versucht hatten, an jenem Tag im April nach Hause zu kommen. Sie konnte sich vorstellen, wie die Lehrer und der Schulleiter versucht hatten, die Ordnung aufrechtzuerhalten, wie die Sprechanlage geknistert hatte, wie die Eltern über diese Gänge auf der Suche nach ihren Kindern geschwärmt waren, während die Nachrichtensendungen die Gorgonenschiffe zeigten, die Städte auf der ganzen Welt zerstörten. Nur Geister sind hier zurückgeblieben, dachte sie. Die Geister einer Lebensweise; die Geister nicht nur des amerikanischen Traums, sondern des Traums von der Menschenfamilie.
»Alles okay?«, fragte Dave.
»Ja«, antwortete sie, aber er wusste, dass nicht alles okay war. Also sagte er: »Wir werden nicht lange hier drin sein.« Und sie sagte nichts weiter.
Sie drangen tiefer in die vergilbte Düsternis vor. Eine angelaufene Trompete lag auf dem verzogenen Holzfußboden. Gideon hat das Gebäude verlassen, dachte Olivia. Das brachte sie fast zum Lachen, aber es lag zu viel Traurigkeit in dieser Ruine, zu viel enttäuschte Erwartung und nicht eingelöste Versprechen. Sie wagte es nicht, darüber nachzudenken, was mit den vielen Schülern, Eltern und Lehrern geschehen war. Einige von ihnen konnten jetzt zu den Grauen gehören … wenn nicht hier, dann waren sie wahrscheinlich auf andere Weise auf der Strecke geblieben.
»Schau«, sagte Dave, »hier sind wir wohl richtig.«
Er war vor ihr auf dem Flur stehen geblieben. Auf einer Seite war zwischen zwei Reihen mit Spinden eine Tür mit einer von Rissen durchzogenen Glasscheibe, auf der die Aufschrift BIBLIOTHEK zu erkennen war. »Dann lass uns mal nachsehen«, sagte Dave zu ihr, aber bevor er die Tür öffnete, zog er den .357er Magnum-Revolver aus seinem Gürtelholster und entsicherte die Waffe.
Olivia folgte ihm in den Raum und ließ die Tür hinter sich offen.
Ein katastrophales Durcheinander erwartete beide. Die Fenster waren herausgebrochen und Regen und Wind hatten ganze Arbeit geleistet. Alle Regale waren umgestürzt, Bücher und Papiere lagen auf dem Boden verstreut und waren durchnässt. Gelber und grüner Schimmel wuchs an den Wänden und am Boden, und beide wussten, dass sie das besser nicht berührten. Es lag ein kränklich süßer Geruch in der Luft, ein widerlicher Gestank der Verderbnis. Ein Teil der Decke war eingestürzt, Drähte und Rohre hingen herab. Die Bücher, die überall auf dem Boden lagen, hatten sich durch Feuchtigkeit und Schimmel miteinander verbunden.
Sie schauten schweigend in den Raum.
»Mein Gott«, sagte Dave schließlich. Er runzelte die Stirn und wünschte, er hätte eine Zigarette dabei. »Schätze, keiner dieser Bastarde liest gerne, was?«
Das brachte eine Saite in Olivia zum Klingen. Sie lachte laut, ein reines und herzliches Lachen, und Dave mochte es. Er lächelte flüchtig zurück und zuckte mit den Schultern. Der Raum war schlecht ausgeleuchtet. Dave gefiel die Idee nicht, auf dem Boden im Dreck und in diesem merkwürdigen Schimmel auf Knien herumzurutschen und nach alten Straßenkarten zu suchen. Die Bibliothek sah aus, als hätte sie jemand auf den Kopf gedreht und ein paarmal heftig geschüttelt. Ihm kam der Gedanke, dass sie eine Schaufel brauchten, um das alles hier zu durchsuchen, oder zumindest Gummihandschuhe. Er verfluchte sich dafür, nicht eher daran gedacht zu haben. Aber jetzt waren sie hier, also wo am besten anfangen?
Gute Frage.
Er begann, die Bücher mit dem Fuß beiseitezuschieben, was zunächst ganz gut funktionierte, aber ganz unten klebte das Papier am Boden. Einige der Bücher waren fast gänzlich zerfallen und verrieten nicht mehr, was sie einmal gewesen waren. Er sah nichts, was Landkarten oder Straßenatlanten ähnelte, und fragte sich, wie er so etwas überhaupt erkennen sollte in diesem nassen Durcheinander.
»Würde uns das hier weiterhelfen?« Olivia hatte ihren Fuß auf einen verbeulten Globus gestellt, der auf dem Boden lag.
»Vermutlich nicht. Ich weiß nicht.« Dave hörte eine Spur Resignation in seiner Stimme. »Selbst wenn wir Karten finden, weiß ich nicht, wonach wir suchen müssen. Verdammt … das läuft ganz und gar nicht so, wie ich mir es vorgestellt hatte.« Er trat einige halbzerfallene Bücher beiseite. »Das war dumm, schätze ich.«
»Nicht dumm«, sagte Olivia. »Sondern voller Hoffnung.«
»Ja. Nun … vielleicht ist dies das Dümmste, was man heutzutage so anstellen kann.«
Auch Olivia fing nun an, die Überreste der nassen Bücher mit ihrem Stiefel zur Seite zu schieben. So viel zu den Ideen und der Klugheit der Menschen, dachte sie. Sie entdeckte einige Hardy-Boys-Jugendkrimis in blauem Einband und dabei zerriss es sie fast innerlich. Bleib stark, befahl sie sich. Leicht zu sagen, schwer zu befolgen. »Ich kenne dich lange genug«, sagte sie, »um zu wissen, dass du nicht der Typ Mann bist, der an … sagen wir … Wunder glaubt. Aber dieser Junge hat deine Meinung geändert? Dave, wenn das überhaupt ein realer Ort ist, könnte er überall sein. Und vor allem: Warum? Was sagt ihm, dorthin zu gehen?«
»Er ist ein merkwürdiger Junge«, war alles, was Dave als Antwort anbieten konnte, während er weiter die feuchte Masse durchsuchte.
»Ja, das verstehe ich. Aber manchmal … weißt du … manchmal sind Träume nur Träume. Ich hatte schlechte Träume ohne Ende. Du sicher auch.«
»Ja, natürlich«, sagte Dave. Er sah Olivia im schwachen gelben Licht an. »Ich weiß, es ist verrückt. Ich weiß, hier zu sein und zu tun was wir tun, ist verrückt. Aber trotzdem … du weißt, dass Ethan recht hat. JayDee glaubt das auch. So wie jetzt überleben wir nicht mehr lange. Wir müssen weg … einen anderen Ort finden, wenn wir am Leben bleiben wollen.«
»Du denkst, dieses White Mansion ist dieser Ort?«
»Zum Teufel, ich weiß überhaupt nichts, außer das Panther СКАЧАТЬ