Название: Gesammelte Werke
Автор: Isolde Kurz
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962812515
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Die ganze Nacht lag sie betend auf den Knien, aber die Stunden gingen ihren Gang, und unbarmherzig dämmerte der Morgen herauf. Als Orsola die Zinnen erstieg, sah sie das Lager schon in voller Bewegung, aus allen Zeltgassen strömten die Bewaffneten dem Hochgerichte zu. Mit gebundenen Händen und einer tief über die Augen gezogenen Mütze wurde beim Schall der Trompeten der Verurteilte herangeführt, der seinen letzten Gang aufrechten Hauptes und festen Schrittes ging. Unter der Leiter nahmen die Kameraden ihm die Mütze ab, denn einem Braven, der er stets gewesen, durfte man die letzte Ehre, mit offenen Augen zu sterben, nicht weigern. Ohne Hilfe erklomm er schnell die Leiter, und oben auf der letzten Sprosse wandte er sich nach der Zinne um, während ihm die Schlinge um den Hals gestreift wurde. Drüben stand Orsola in dem Festkleid, das sie bei ihrer ersten Begegnung getragen, sein goldenes Herzchen blinkte im ersten Sonnenstrahl an ihrem Hals. Er sah, wie sie die Arme weit voranwarf, als ob sie ihm zufliegen wolle, und sich in die leere Luft hinausschwang, um ihm im Tode vorauszueilen. Aber er ließ ihr den Vortritt nicht, mit gewaltsamem Sprung schnellte er sich freiwillig von der Leiter, dass die Seele auf einmal entfloh und eine Sekunde beider Leben endete.
Großes Trauern herrschte im Lager und in der Stadt, und der Verräter Silvestro sollte seines Blutgelds nicht froh werden. Außen durfte er sich nicht mehr blicken lassen, weil die Kameraden des Gerichteten ihm den Tod geschworen hatten, und in der Stadt, wo er sich anzukaufen hoffte, wies man ihn mit Verachtung zurück. Da fand man ihn denn eines Morgens an dem stärksten Ast der Ulme von eigenen Händen aufgeknüpft, und die Leute sagten, der zürnende Baum habe seine Schützlinge gerächt. Von da an aber trauerte die schöne Ulme, als ob sie sich der hässlichen Frucht, die sie getragen, schämte. Ihre Zweige starben ab, und es kam kein Paar mehr in ihrem Schutze zusammen.
Um die Osterzeit kehrte die pisanische Flotte siegreich zurück mit großer Beute an Schätzen und Gefangenen, nachdem sie die reiche Stadt Mallorca in Asche gelegt. Alle Glocken wurden geläutet, und bei dem glänzenden Siegesfest war viel Rühmens und Dankens wegen der von den Florentinern bewiesenen Bundestreue und der strengen Mannszucht, mit der sie Pisa behütet hatten. Das Schutzheer zog reich beschenkt nach Hause, und der Stadt Florenz, die so redlich an ihnen gehandelt, ließen die Sieger als Beuteanteil die Wahl zwischen den kostbaren Metalltüren einer zerstörten Moschee und den zwei Porphyrsäulen, deren geborstene Stümpfe noch heute vor dem Eingang von San Giovanni stehen. Die Florentiner wählten die letzteren, weil die Rede ging, dass ein geheimnisvoller Zauber in den Säulen verborgen sei: wer sich dahinterstelle, dem werde jeder Trug, Diebstahl oder feindliche Anschlag offenbar. Die Säulen kamen an, von prächtigen Scharlachtüchern umwunden und geschwärzt vom Rauch des eingeäscherten Mallorca. Sie wurden aufgestellt, wo sie noch heute stehen, allein obwohl an Ränken und Arglist in der Stadt kein Mangel war, so kam doch nie eine Übeltat durch sie ans Licht. Da wurden die Florentiner den Pisanern gram, weil sie vermeinten, jene hätten aus Neid die Säulen geschwärzt, um ihnen die magische Tugend zu nehmen. Von dieser Begebenheit soll es herrühren, dass den Florentinern im Mittelalter der Spottname »die Blinden« angehängt wurde, weil sie den angeblichen Trug der Pisaner nicht bemerkt hätten.
Aus dem Groll erwuchs allmählich eine Todfeindschaft, die zu nicht endenden erbitterten Kriegen zwischen Florenz und Pisa führte und die frühere Guttat in ihr blutiges Gegenteil verwandelte, denn der Ausgang war die völlige Knechtung und Entrechtung der einst so stolzen Seestadt. Die weggeschleppten Hafenketten von Pisa, an der Taufkirche zu Florenz aufgehangen, verhöhnten noch jahrhundertelang die gestürzte Größe. Erst nach Gründung des geeinigten Königreichs Italien gaben die Florentiner die brudermörderische Trophäe an Pisa zurück, das sie als historische Reliquie feierlich im Camposanto aufbewahrt.
Die Verdammten
Der Abendhimmel ist unterdessen verglommen, nur noch ein paar durchglühte Wölkchen ziehen einzeln darüber, und die Sterne dringen allenthalben hervor. Im Zimmer beginnt es leise zu dämmern, es ist Zeit, die dicke Wachskerze zu entzünden. Denn ein breiter Teppich, durch Zierleisten in drei Felder geteilt, ist noch an der Nordwand übrig, er vollendet ihren Schmuckbehang nach dem östlichen Fenster zu. Das Mittelstück zieht zuerst die Augen an. Wer kennte sie nicht auf den ersten Blick, die zwei Schönen, Unseligen, an denen ein Buch zum Kuppler ward und die ihre ehebrecherische Liebe durch alle Ewigkeit im Inferno büßen? Sie sitzt auf ihrem Ruhebett, er ist auf die Knie herabgeglitten und hält die ihren umfasst, sie beugt sich nieder, dass ihre Häupter sich im fiebernden Verlangen berühren. Zu Boden gerollt ist das Buch, in dem sie jenes Tags nicht weiter lasen; eine kleine Flamme züngelt heraus. Im Hintergrund, kaum erkenntlich zwischen den Vorhangfalten, lugt das Gesicht eines Spähers hervor.
Aber wie das erste Feld erklären? Die feierliche Vermählungsszene unter Gottes Himmel? Dasselbe Paar, das auf der tränenvollen Höhe seines Lebens durch sträfliche Leidenschaft das zeitliche und ewige Gericht auf sich herunterzieht, im Beginn von Priesterhand zusammengegeben, bevor sie sich im Ehebruch vereinigen! Francesca da Polenta, Paolo Malatesta als Vermählte im festlichen Kreis zweier Hofstaaten! Oder nicht? Was bedeutet es, dass der Bräutigam wie in tiefer Scham vor der Braut die Augen senkt? Und noch eine Seltsamkeit entdeckt das forschende Auge. Die Herren von Rimini, die dem Bräutigam gefolgt sind, haben alle eine zu hohe Schulter und sind überhaupt ausnehmend hässlich. Nur der Bräutigam ist schön wie ein Cherub, aber ein trauernder. Am Ende ist er gar nicht der Bräutigam?
Das göttliche Gedicht kennt nur die Schuld der Liebe und die unerbittlich strafende Gerechtigkeit. Von dem verruchten Betrug, den zwei edle Familien an einem ahnungslosen jungen Weibe begangen haben, spricht СКАЧАТЬ