Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Isolde Kurz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962812515

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СКАЧАТЬ fand, und zog mich zu ei­nem klei­nen Fels­block, der aus dem Eis rag­te. Da saß ich und der Schmerz war so grau­sam, dass die Welt mit mir im Krei­se ging. Er goss mir al­len noch üb­ri­gen Ko­gnak ein, weil ich am gan­zen Kör­per zit­ter­te, und um­wi­ckel­te den ver­letz­ten Fuß mit ei­ner fes­ten Bin­de. Wäh­rend­des­sen ver­dun­kel­te sich plötz­lich der Him­mel, die schon schräg­ste­hen­de Son­ne ver­schwand hin­ter ei­nem weiß­li­chen Schlei­er, und ein­zel­ne Schnee­flo­cken fie­len. Wenn das We­hen zu­nahm, wur­den un­se­re ge­haue­nen Trit­te zu­ge­deckt, und un­ter dem Neuschnee konn­te der Ab­stieg auch für den Un­ver­letz­ten be­denk­lich wer­den. Ich bat ihn mich da zu las­sen, al­lein zu ge­hen und aus dem Tal Hil­fe zu schi­cken.

      Die hät­te schwer dich zu fin­den in der frü­hen Dun­kel­heit, und bis zu ih­rer An­kunft hät­test du Zeit zu er­frie­ren, sag­te er.

      In der Tat hat­te nun auch aufs neue ein schar­fer Wind ein­ge­setzt, der den fri­schen Schnee zum Teil in Glatteis ver­wan­del­te, und es wur­de schnei­dend kalt. Aber ich woll­te mich lie­ber der Stra­fe mei­ner Unacht­sam­keit aus­set­zen, als den Freund jetzt eben im Hoch­flug sei­ner neu­en Plä­ne und Hoff­nun­gen mög­li­cher­wei­se mit mir ins Ver­der­ben zie­hen.

      Das wäre eine wür­di­ge Dios­ku­ren­freund­schaft, lä­chel­te er. Be­greifst du noch im­mer nicht, was du in mei­nem Le­ben be­deu­test? Glaub’ mir, ich weiß, wie mei­ne Rech­nung steht. Ei­nen Freund ge­win­ne ich mir nim­mer­mehr und su­che auch kei­nen, also muss ich mit dem, was ich habe, spar­sam sein. Aber Fein­de hof­fe ich noch man­che zu fin­den. Gott schen­ke mir de­ren recht vie­le, da­mit ich nicht län­ger brau­che mein ei­ge­ner Feind zu sein.

      Es weh­te stär­ker, und die wach­sen­de Ge­fahr schi­en ihn nur hel­ler und fro­her zu ma­chen.

      Und Frau An­ge­la? Wie soll ich der un­ter die Au­gen tre­ten, wenn ich dich hier ver­las­se? sag­te er, als ich noch im­mer be­harr­te.

      Da war ich ge­schla­gen. Er press­te mir den um­wi­ckel­ten Fuß in den auf­ge­schnit­te­nen Stie­fel, und mit Got­tes Hil­fe er­reich­te ich teils bäuch­lings rut­schend, teils un­ter der Ach­sel ge­hal­ten und ge­schleppt, den Tal­grund. Zum Glück kam man uns; durch un­ser Aus­blei­ben be­un­ru­higt, mit La­ter­nen ent­ge­gen und brach­te mich mit ver­ei­nig­ten Kräf­ten un­ter Dach. Als wir im Ho­spiz ein­tra­fen, war es Nacht.

      Gu­stav ging trotz der Er­mü­dung nicht zur Ruhe, er saß bis zum Mor­gen an mei­nem Bett, mach­te Um­schlä­ge mit Schnee­was­ser und er­wärm­te mich durch hei­ßen Tee. Ich hat­te ihn für un­ge­eig­net zu sol­chen Hand­rei­chun­gen ge­hal­ten und fand nun das Ge­gen­teil. Die sol­da­ti­sche Er­zie­hung zum Zu­grei­fen und Aus­dau­ern hat­te sich se­gens­reich er­wie­sen. Der sonst so Zer­streu­te, Gleich­gül­ti­ge war un­er­müd­lich in klei­nen Auf­merk­sam­kei­ten, die Er­leich­te­rung schaff­ten, und er­riet mit frau­en­haf­tem Ein­füh­len alle mei­ne Be­dürf­nis­se.

      Noch im Ho­spiz brach­te er die Ster­be­sze­ne Alex­an­ders zu Pa­pier, wie sie ihm bruch­stück­wei­se wäh­rend des Stei­gens auf­ge­gan­gen war, und ließ mich nach sei­ner Art gleich dar­an teil­ha­ben. Sie pass­te in ih­rer Groß­heit zu dem herz­er­wei­tern­den Blick, der sich uns dro­ben auf­ge­tan hat­te. Ich er­in­ne­re mich noch, dass dem ster­ben­den Wel­tero­be­rer der tote Brah­ma­ne wie­der er­schi­en mit ei­nem Häuf­chen Asche in der Hand, die un­ge­such­te Sym­bo­lik, die Goe­the als ein Höchs­tes von der dra­ma­ti­schen Dich­tung for­der­te.

      Die Heim­fahrt war kein Ver­gnü­gen für den schmer­zen­den Fuß, aber für die Freund­schaft war sie ein Tri­umph: der Zer­schun­de­ne führ­te einen Ge­ne­sen­den nach Hau­se. Die in­ne­re Ver­kramp­fung hat­te sich ge­löst und so­gar das Ge­sicht von sei­ner mas­ken­haf­ten Starr­heit ent­bun­den.

      Al­lein die Dä­mo­nen, die Un­heil woll­ten, wa­ren in­zwi­schen am Wer­ke ge­we­sen, und es ging wie mit ei­nem rin­nen­den Sack, der, wäh­rend man ihn auf ei­ner Sei­te stop­fen will, an der an­de­ren auf­bricht. Als wir in Zü­rich an­lang­ten, rang Sel­ma mit dem Tode.

      Sie hat­te am Abend nach un­se­rer Abrei­se einen ih­rer größ­ten Sie­ge ge­fei­ert. Man gab ein heu­te ver­ges­se­nes Rühr­stück fran­zö­si­scher Ma­che, das da­mals alle Spieß­bür­ger der al­ten und neu­en Welt ent­zück­te. Nach dem Kunst­wert frag­te sie nicht, sie spiel­te sich sel­ber. Ein lei­den­schaft­li­cher Ehe­zwist, eine Frau, die sich für den Gat­ten, der sie miss­kennt, op­fern will, mehr brauch­te sie nicht, um ihr Un­mit­tel­bars­tes und Ei­gens­tes zu ge­ben und in die Rol­le eine in­ne­re Wahr­heit zu le­gen, von der der Ver­fas­ser nichts wuss­te. Sie muss an die­sem Abend hin­rei­ßend schön ge­we­sen sein. Die Er­re­gung des Spiels und des Tri­um­phs gab ihr al­len Ju­gend­zau­ber wie­der, ver­edelt und ver­fei­nert durch einen Zug heim­li­chen Lei­des, der zum Stück zu ge­hö­ren schi­en. In ei­nem Zwi­schen­akt, als An­ge­la, die trotz der dürf­ti­gen Fa­bel tief er­grif­fen war, sie im Künst­ler­zim­mer be­glück­wünsch­te, wur­de ein wun­der­ba­res Blu­men­ge­bin­de her­ein­ge­bracht mit ei­ner Be­suchs­kar­te: Dr. Hein­rich Som­mer, As­sis­tenz­arzt an, ich weiß nicht mehr wel­cher Ber­li­ner Kli­nik.

      Sel­ma stieß einen Ju­bel­ruf aus: Mein al­ter Freund und Ver­eh­rer! Wie mich das freut! Wa­rum zeigt er sich nicht sel­ber?

      Sie hat­te noch nicht aus­ge­spro­chen, so schob sich ein blat­ter­nar­bi­ges Ge­sicht zur Tür her­ein, und An­ge­la, die dem Aus­gang zu­nächst stand, be­grüß­te ih­ren ehe­ma­li­gen Vor­ge­setz­ten aus dem La­za­rett La Glo­ri­et­te.

      Sel­ma eil­te ihm ent­ge­gen und schüt­tel­te ihm mit vol­ler Herz­lich­keit bei­de Hän­de.

      Ich kom­me ge­ra­de von der Bahn, sag­te er, aber als ich an den An­schlag­säu­len las, dass Sie heu­te Abend auf­tre­ten, ging ich nur schnell in den Gast­hof, um die Klei­der zu wech­seln und fuhr dann gleich hier­her. Die­sen Glücks­fall hät­te ich um al­les in der Welt nicht ver­säu­men mö­gen.

      Sel­ma spiel­te wei­ter und gab sich im­mer glü­hen­der und hin­rei­ßen­der aus. Die Ge­gen­wart die­ses Zeu­gen ih­res Ju­gend­glanz­es ent­band al­les ver­hal­te­ne Le­bens­ge­fühl in ihr.

      Herr­lich, herr­lich, sag­te Som­mer im­mer aufs neue zu An­ge­la und fiel durch die Stär­ke sei­nes Bei­fall­klat­schens all­ge­mein auf. Nach je­dem Akt­schluss dräng­te er sich aufs neue an die Künst­le­rin her­an.

      Das geht über die Stutt­gar­ter Tage, sag­te er ihr. Sie ha­ben die Sel­ma über­sel­mat. Ganz Ber­lin hat kei­ne Künst­le­rin, die sich ne­ben Sie stel­len dürf­te.

      Sel­ma strahl­te. Die Be­wun­de­rung des al­ten Ver­eh­rers hob sie für einen Abend aus al­lem Leid ih­rer Ehe hin­aus, mach­te sie wie­der jung und se­lig. Dass der An­kömm­ling mit kei­nem Wort nach ih­rem Gat­ten frag­te, muss ihr gar nicht auf­ge­fal­len sein.

      Som­mer wünsch­te nach Thea­ter­schluss die Da­men zum Abend­brot in ein be­kann­tes Wein­haus zu füh­ren. Aber An­ge­la kam zu­vor, in­dem sie ihn und СКАЧАТЬ