Название: Hans Fallada – Gesammelte Werke
Автор: Hans Fallada
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813598
isbn:
30
Es war am dritten Tage meiner Haft, und ich arbeitete noch nicht auf dem Holzhof, als Oberwachtmeister Splittstößer nachmittags um vier Uhr auf der Zelle erschien und zu mir sagte: »Kommen Sie mit, Sommer. Ziehen Sie Ihr Jackett an und kommen Sie mit.«
Ich ging hinter dem »Ober« her und war damals noch so unerfahren in Gefängnisdingen, dass ich ihn höflich fragte: »Wohin bringen Sie mich denn, Herr Oberwachtmeister?«
Ich wusste damals noch nicht, dass ein Gefangener nie fragen soll, dass er auf Fragen nie Antwort bekommt, dass er nur zu warten hat, was das Schicksal, das ein Wachtmeister, das aber auch ein Staatsanwalt sein kann, über ihn beschließt.
Ich bekam denn auch die recht grobe Antwort: »Was geht das Sie an? Das werden Sie ja alles erleben!«
Drüben auf dem Landgericht herrschte eine richtige Sommernachmittagsstimmung: Viele Zimmertüren standen offen, und ich sah auf unbesetzte, aufgeräumte Schreibtische. Es stellte sich heraus, dass der Justizwachtmeister des Landgerichts zur Post gegangen, also auch nicht imstande war, mich aus den Händen meines Gefängnisbeamten zu übernehmen; mein Beamter aber hatte es eilig, wieder in seinen Bau zurückzukommen, und es erhob sich ein kleiner Streit zwischen einer dicken, ältlichen Büroangestellten und meinem Wachtmeister.
»Ich bin nicht dazu da, auf eure Gefangenen aufzupassen«, sagte die Angestellte ärgerlich. »Immer versucht ihr solche Sachen. Wenn einer fortläuft, bin ich nachher schuld.«
»Ja, aber euer Justizwachtmeister braucht auch nicht gerade immer fortzulaufen, er weiß doch, dass der Gefangene um vier zur Vernehmung bestellt ist.«
So ging der Streit eine Weile hin und her, keiner wollte mich haben, bis schließlich das ältliche Fräulein ganz überraschend sagte: »Na ja, heute will ich’s noch mal tun, Herr Sommer wird mir schon nicht weglaufen.« Und damit sah sie mit einem freundlichen Lächeln auf mich, sie kannte mich also.
Ich wurde auf einen Stuhl gesetzt, Splittstößer zog ab, und zum ersten Mal seit Tagen sah ich wieder durch unvergitterte Fenster auf eine Straße meiner Vaterstadt, sah die Kinder spielen, und jetzt rollte gar ein Wagen des Bierverlags Trappe vorüber. Der mir sehr gut bekannte, fast befreundete Trappe saß selbst auf dem Bock.
Nun ging ein junges Mädchen, wohl auch eine Angestellte, durch das Zimmer, in das ich gesetzt war, es sah mich an, lächelte freundlich und sagte: »Guten Tag, Herr Sommer.«
Sie kannte mich also, sie war freundlich zu mir, obgleich ich unter der Beschuldigung des Mordversuchs an meiner eigenen Frau in Haft saß.
Die ältliche Angestellte eben war auch freundlich gewesen, sie hatte gesagt: »Herr Sommer läuft nicht weg« – alle waren freundlich zu mir, der beste Beweis, dass meine Sache gutstand. Wahrscheinlich erließ der Untersuchungsrichter keinen Haftbefehl gegen mich, vielleicht war ich schon in einer halben Stunde frei! Mein Herz klopfte stark und froh.
Nun kam ein älterer Mann ins Zimmer, ein langer, dürrer, grauhaariger Herr, der etwas zerstreut und etwas sorgenvoll blickte.
»Das ist Herr Sommer, Herr Direktor!«, sagte die ältliche Angestellte und deutete mit dem Kopf auf mich.
»So, so«, hüstelte der ältliche Herr, der der Amtsgerichtsdirektor war, wie ich später erfuhr. Er sah mich einen Augenblick mit seinen müden, etwas sorgenvollen Augen an und gab mir dann die Hand. »Dann kommen Sie mal mit, Herr Sommer.«
Wieder eitel Freundlichkeit, Händegeben, mit »Herr« anreden, ach, all dies Getue hat mich Unerfahrenen gewaltig getäuscht, ich vergaß vollkommen, dass dies alles meine Feinde waren, nur gesonnen, mich zu verurteilen, mich gefangen zu halten, mich zu überlisten. Ich vergaß den eben erst gelernten Satz: »Du kommst leicht hinein, aber schwer raus.« Ich meinte, das Herauskommen werde mir noch leichter als das Hineinkommen gemacht, ich öffnete dem Herrn Amtsgerichtsdirektor ganz mein Herz, sagte alles so, wie es wirklich gewesen war, und dann sollte ich es ja erfahren, was für Folgen meine Vertrauensseligkeit hatte!
Der Herr Amtsgerichtsdirektor ging mir voran in ein ganz behaglich eingerichtetes Arbeitszimmer mit vielen, vielen Büchern an den Wänden, ich wurde auf einen Stuhl vor den Schreibtisch gesetzt, der Direktor setzte sich hinter ihn, eine Dame mittleren Alters erschien und spannte einen großen Bogen in die Schreibmaschine, der Direktor fuhr sich mit der Hand durch die Haare, rückte an seiner Brille hin und her, sah mich an und sagte: »Sie machen uns viele Sorgen, Herr Sommer«, hüstelte und gab dem Fräulein auf: »Nun nehmen Sie mal die Personalien von Herrn Sommer auf.«
Dieses Gefrage war leicht genug beantwortet, nur den Geburtstag Magdas habe ich vielleicht falsch angegeben (ich genierte mich, zu gestehen, dass ich ihn nicht genau wusste), und als ich gefragt wurde, ob Vermögens- und Einkommensverhältnisse geordnet seien, antwortete ich schlankweg mit »Ja«, worüber ich nachträglich schwere Bedenken bekam. Denn es schien mir jetzt doch zweifelhaft, wie Magda nach meiner Entnahme von fünftausend Mark mit dem Geschäft zurechtkommen würde. Ich kam aber nicht mehr dazu, das richtigzustellen, denn nun fing der Herr Direktor an zu fragen, oder vielmehr, er nahm einen großen Bogen, der eng mit Schreibmaschine betippt war, zur Hand, fuhr sich wieder durch die Haare, rückte wieder an seiner Brille, hüstelte und sagte: »Sie sind also unter dem Verdacht, einen Mordversuch an Ihrer Frau begangen zu haben, festgenommen, Herr Sommer. Was haben Sie dazu zu sagen?«
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon ein solches Zutrauen zu allen Leuten hier gewonnen, dass ich ganz harmlos rief: »Um Gottes willen, wird denn das noch immer aufrechterhalten, dass ich meine Frau habe ermorden wollen? Nie im Leben habe ich daran gedacht. Ich liebe doch meine Frau, und wenn ich auch …«
»Nein, nein, Herr Sommer«, sagte der Amtsgerichtsdirektor beruhigend, »ein Mordversuch kommt natürlich nicht infrage. Es war ein versuchter Totschlag, nicht wahr? Sie haben im Affekt gehandelt, Sie waren betrunken, nicht wahr?«
»Aber, Herr Direktor, ich habe meine Frau doch auch nicht totschlagen wollen, das war doch nur so СКАЧАТЬ