Название: Hans Fallada – Gesammelte Werke
Автор: Hans Fallada
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813598
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Der Amtsgerichtsdirektor hüstelte stärker, er las in dem maschinengeschriebenen Bogen, er sagte: »Ich will Ihnen da doch einmal vorhalten, was Ihre Frau ausgesagt hat. Hier: ›Er würgte mich am Halse und versuchte, mir mit den Füßen in den Leib zu treten!‹ Und hier: ›Er flüsterte mir ins Ohr: Morgen Nacht besuche ich dich und bringe dich um!‹ Das klingt doch aber alles gewaltig nach etwas mehr als bloßen Drohungen, nicht wahr, Herr Sommer?«
Ich war sprachlos über Magdas Gemeinheit, das alles so darzustellen; zum Mindesten hätte sie doch hinzusetzen müssen, dass sie dies nur für bloßes betrunkenes Gerede gehalten habe. Ich versuchte, es dem Direktor so zu erklären, ich wies ihn auch darauf hin, dass auch Magda erregt gewesen sei und vieles vielleicht in ihrer Erregung schwerer genommen habe, als es gemeint gewesen sei.
Der Direktor nickte und seufzte, wischte an seiner Brille, ob ich ihn überzeugt habe, weiß ich nicht. Schließlich sagte er: »Nun gut, ich will Sie heute auch gar nicht länger vernehmen. Das wird erst einmal genügen.«
»Sie erlassen also keinen Haftbefehl gegen mich?!«, fragte ich in überströmender Freude.
Der Direktor hüstelte schon wieder. »Nein, keinen eigentlichen Haftbefehl, sozusagen. Sozusagen. Sehen Sie, Herr Sommer, Sie waren nach Ihren eigenen Aussagen übermäßig betrunken …«
»Nicht übermäßig betrunken, Herr Direktor. Ich vertrage sehr viel.«
»Sie hatten«, fuhr der Direktor, sich verbessernd, fort, »übermäßig viel getrunken, und da besteht nun einmal der Verdacht, dass Sie bei Begehung Ihrer Tat nicht im Vollbesitz Ihrer Geisteskräfte waren. Was wollen Sie jetzt zu Haus? Sie würden wieder mit Ihrer Frau Streit anfangen, Sie würden wieder zu trinken anfangen. Nein, Herr Sommer, erst müssen Sie wieder richtig gesund werden. Ich werde Sie erst einmal in eine Heil- und Pflegeanstalt einweisen, da werden Sie unter ärztlicher Betreuung stehen und richtig gesund werden …«
»Ich danke Ihnen, ich danke Ihnen, Herr Direktor«, rief ich Trottel und wäre am liebsten dem alten Herrn um den Hals gefallen. Für seine große Güte, jawohl, für seine große Güte.
31
Von Mordhorst hörte ich es dann, zwei oder drei Tage später (sie ließen sich Zeit mit meiner Überweisung in eine Heil- und Pflegeanstalt; auf dem Gericht haben überhaupt alle Zeit, bloß die Gefangenen nicht, denen doch die Zeit so langsam vergeht) – also, von Mordhorst hörte ich es, dass ich mich wie ein vollkommener Idiot benommen hatte.
»Mensch«, sagte er, »wie konntest du nur so dämlich sein? Der alte Fuchs hat sich ins Fäustchen über dich gelacht, als du eine Flasche Korn nach der anderen auspacktest. Der hat dich fein mit seiner verstellten Freundlichkeit gefangen! Sagen hättest du müssen, schwören hättest du müssen: Ich bin gar nicht besoffen gewesen, keine Spur war ich angetrunken! Ich hab’s bei vollem Bewusstsein, nach reiflicher Überlegung getan, was ich getan habe! Und warum musstest du so sagen? Weil du so am wenigsten riskiertest! Sieh mal, für einen versuchten Totschlag bekommst du ein halbes, höchstens ein Jahr Kittchen. Die reißt du ab und stehst wieder draußen als freier Mann, und keiner kann dir an den Wagen fahren.
Und was geschieht dir nun? Erst kommst du auf sechs Wochen in die Anstalt zur Beobachtung auf deinen Geisteszustand. Denkst du, die Anstalt ist besser als ein Kittchen? Schlechter ist sie! Alles Drum und Dran ist genau wie hier, Fressen und Arbeit und Wachtmeister, aber du bist nicht mehr mit vernünftigen Menschen zusammen, sondern mit lauter Idioten! Und dann gibt der Arzt sein Gutachten ab, und du kriegst den § 51, und das Verfahren gegen dich wird eingestellt. Aber du wirst für geisteskrank und gemeingefährlich erklärt und deine dauernde Unterbringung in solcher Heilanstalt angeordnet, und da sitzt du, fünf Jahre, zehn Jahre, zwanzig Jahre, kein Hahn kräht nach dir, und langsam wirst du unter all den Idioten auch ein Idiot. Das ist es ja aber wohl auch, was sie von dir wollen. Wie du mir erzählt hast, hat deine Alte viel fürs Geschäft übrig; dann hat sie das Geschäft und alles, was dir gehörte. Du bist dann bloß noch ein armer entmündigter Trottel, und wenn sie dir zu Weihnachten ein Stück Kuchen und eine Rolle Priem schickt, so ist das schon viel …«
So redete Mordhorst, der Erfahrene, zu mir, und zu jedem seiner Worte sagte es in meinem Innern »Ja«. Wie ein Trottel hatte ich mich benommen, aufs Glatteis hatte ich mich locken lassen, und nun saß ich drin. Ich hatte es doch immer schon geahnt, was Magda plante, von allem Anfang an, aber dann hatte ich es vergessen; ich hatte nicht mehr dran denken wollen. Ich hatte mir etwas vorgelogen, dass sie meine Frau sei, dass sie mich doch einmal lieb gehabt habe und mich nicht verraten würde … Aber sie hatte mich verraten, schon lange hatte sie auf dieses Ziel hingearbeitet! Erst hatte sie mir die Ärzte nachgeschickt, und dann hatte sie diese verheerende Aussage über mich gemacht, in der sie all mein betrunkenes Geschwätz wie puren Ernst behandelt hatte!
Und wie hatte sie sich zu mir benommen, seit ich im Kittchen saß? Hatte sie da so gehandelt, wie es einer Ehefrau geziemt, deren Mann im Unglück sitzt? Hatte sie nur ein einziges Mal den Versuch gemacht, Sprecherlaubnis mit mir zu bekommen, mich zu besuchen und dabei Gelegenheit zu Aussprache und Versöhnung zu geben? Nichts von alledem! Ich hatte an Magda geschrieben. Ich hatte einen ernsten, freundlichen Brief an sie geschrieben, ich musste ja an sie schreiben. Ich brauchte frische Wäsche und Toilettenzeug, ich brauchte eine Decke auf meinem Strohsack, ein Leinentuch und ein Kopfkissen. Ich brauchte auch eine Zeitung und etwas zu essen. Jawohl, sie hatte mir die Sachen, die ich brauchte, geschickt, aber von Esswaren und Zeitung war nichts in dem Koffer! Und nicht mit einer Zeile hatte sie mir geantwortet!
Jetzt saß ich in Nummer Sicher, jetzt ließ sie die Maske fallen, jetzt fühlte sie sich schon als die Besitzerin meines Eigentums, jetzt glaubte sie mich schon für ewig aufgehoben in einer Irrenanstalt!
Aber sie sollte sich in mir geirrt haben, noch gab ich den Kampf nicht auf! Nein, ich fing ihn erst an! Ich war klarsehend geworden, ich war das Kind nicht mehr, das sich von Magdas Tüchtigkeit gängeln ließ, jetzt beriet mich Mordhorst, und den besten Rechtsanwalt der Stadt, den Herrn Dr. Husten, ließ ich mir auch kommen!