Название: Hans Fallada – Gesammelte Werke
Автор: Hans Fallada
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813598
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Sondern das Schwerste war, dass er nicht allein in seiner Zelle war, dass er einen Zellengefährten hatte, einen Mitleidenden, einen, der ebenso schuldig sein sollte, einen Mitmenschen. Denn das war ein Mensch, vor dem Quangel ein Grausen ankam, ein wildes, unflätiges Tier, herzlos und feige, zitternd und roh, ein Mensch, den Quangel nicht ansehen konnte, ohne einen tiefen Ekel vor ihm zu empfinden, und dem er doch willfährig sein musste, denn der Mann besaß viel mehr Kräfte als der alte Werkmeister.
Karl Ziemke, von den Wachen Karlchen genannt, war ein etwa dreißigjähriger Mann von herkulischem Körperbau, mit einem runden, bullenbeißerhaften Kopf, in dem sehr kleine Augen saßen, und mit langen, dichtbehaarten Armen und Händen. Seine niedrige, bucklige Stirn, in die stets ein Wisch filziger Haare hing, war von vielen Längsfalten gefurcht. Er sprach nur wenig, und das wenige, was er sprach, war nur Zeterei und Mord. Wie Quangel bald aus den Reden der Wachen erfuhr, war Karlchen Ziemke früher selbst ein prominentes Mitglied der SS gewesen, er hatte eine außerordentliche Henkersmission zu erfüllen gehabt, und wie viele Menschen diese behaarten Tatzen umgebracht hatten, das würde nie zu erfahren sein, denn Karlchen wusste es selbst nicht.
Doch für den Berufsmörder Karlchen Ziemke hatte es selbst in diesen mordlustigen Zeiten oft nicht genug zu morden gegeben, und da war er in solchen beschäftigungslosen Zeiten dazu übergegangen, auch dann Morde zu begehen, wenn sie nicht von seinen Vorgesetzten angeordnet worden waren. Wenn er es dabei auch nicht verschmähte, seinen Opfern Geld und Wertsachen abzunehmen, so war doch nie das Rauben der Grund zu seinen Übeltaten gewesen, sondern stets nur die reine Mordlust. Und schließlich war man ihm darauf gekommen, und da er so ungeschickt gewesen war, nicht nur Juden, Volksfeinde und ähnliches Freiwild umzubringen, sondern auch einwandfreie Arier und darunter sogar einen Parteigenossen, so saß er nun erst einmal hier im Bunker, und es war noch ungewiss, was mit ihm geschehen sollte.
Karlchen Ziemke, der so viele ohne einen schnelleren Herzschlag in den Tod geschickt hatte, war es angst um das eigene kostbare Leben geworden, und in seinem Kopf, der nicht viel mehr Gedanken, als ein fünfjähriges Kind hat, in sich trug, aber sehr viel bösere, war der Gedanke aufgetaucht, dass er sich vor den Folgen seiner Taten retten konnte, wenn er den Wahnsinnigen spielte. Er hatte sich dafür die Rolle eines Hundes ausgedacht. Oder sie war ihm auch von irgendwelchen Kameraden angeraten worden, was das Wahrscheinlichere war, und er führte diese Rolle mit Konsequenz durch, das zeigte, dass sie ihm lag.
Meist lief er völlig nackt auf allen vieren in der Zelle herum, bellte hündisch, fraß aus seiner Schüssel wie ein Hund und legte es immer wieder darauf an, Quangel in die Beine zu beißen. Oder er verlangte von dem alten Werkmeister, dass er ihm stundenlang eine Bürste zuwarf, die Karlchen dann apportierte, wofür er gestreichelt und belobt werden wollte. Oder Quangel musste die Hosen Karlchens wie ein Sprungseil schwingen, worüber dann Karlchen ununterbrochen sprang.
Zeigte sich der Werkmeister nicht willig genug, so überfiel ihn der »Hund«, warf ihn zu Boden und fasste seine Kehle wie ein Hund mit den Zähnen, und nie war es sicher, dass aus dem Spiel nicht Ernst wurde. Die Wachen hatten eine tiefe Freude an den Ergötzungen Karlchens. Oft standen sie lange in der Zellentür und hetzten den Hund, sie machten ihn scharf, und Quangel musste alles über sich ergehen lassen. Kamen sie aber in ihrer betrunkenen Wut, sie an den Gefangenen auszulassen, so warfen sie Karlchen auf die Erde, er breitete seine Arme auf der Erde aus und flehte sie an, ihm die Gedärme aus dem nackten Leib zu treten.
Mit diesem Manne war Quangel verurteilt, Tag für Tag, Stunde um Stunde, Minute nach Minute zusammenzuleben. Er, der stets für sich allein gelebt hatte, konnte nun nicht mehr eine Viertelstunde für sich allein sein. Selbst nachts, wenn er den Tröster Schlaf suchte, war er vor seinem Quäler nicht sicher. Plötzlich hockte er an seinem Bett, hatte die Pranke auf Quangels Brust gelegt und verlangte Wasser oder auch einen Platz auf Quangels Lager. Der musste beiseiterücken, er schüttelte sich vor Ekel vor diesem Körper, der nie gewaschen wurde, der haarig war wie der eines Tieres, der aber nichts von der Reinheit und Unschuld der Tiere hatte. Und dann bellte Karlchen leise und fing an, das Gesicht Otto Quangels abzulecken und nach dem Gesicht den ganzen Körper.
Ja, dies war schwer zu ertragen, und oft fragte sich Otto Quangel, warum er es denn eigentlich ertrug, da das Ende doch gewiss war, das nahe Ende. Aber da war ein Widerstand in ihm, sich selbst auszulöschen, Anna zu verlassen, die er doch nicht mehr sah. Da war ein Widerstand in ihm, es denen so leicht zu machen, das Urteil vorwegzunehmen. Sie sollten ihm das Leben absprechen, es ihm nehmen, mit Strick oder Fallbeil, gleichviel. Sie sollten nicht glauben, dass er sich schuldig fühlte. Nein, er wollte ihnen nichts ersparen, und so ersparte er sich Karlchen Ziemke nicht.
Und es war seltsam: je weiter diese neunzehn Tage vorrückten, umso ergebener schien ihm der »Hund« zu werden. Er biss ihn nicht mehr, er warf ihn nicht mehr und fasste ihn an der Kehle. Hatten ihm seine SS-Kameraden einmal einen besseren Bissen zugeteilt, so musste er durchaus geteilt werden, und oft lag der Hund stundenlang mit seinem riesigen Rundschädel im Schoße des alten Mannes, die Augen geschlossen, leise vor sich hin blaffend, während die Finger Otto Quangels durch seine Haare fuhren.
Dann fragte sich der Werkmeister oft, ob dieses Tier über dem Vortäuschen eines Wahnsinns nicht wirklich wahnsinnig geworden war. Aber wenn er’s wirklich war, so waren es seine »freien« Kameraden auf den Gängen des Bunkers auch. Dann änderte es auch nichts, dann waren sie samt ihrem wahnsinnigen Führer und ihrem ständig blöde grinsenden Himmler ein Geschlecht, das ausgelöscht werden musste von dem Antlitz der Erde, damit die Vernünftigen leben konnten.
Als es dann hieß, Otto Quangel käme auf Transport, war Karlchen sehr unglücklich. Er jaulte und wimmerte, er zwang Quangel sein ganzes Brot auf, und als der Werkmeister auf den Gang heraustreten und mit hoch erhobenen Armen das Gesicht gegen die Wand pressen musste, schlüpfte der nackte Mann auf allen vieren aus der Zelle, hockte sich neben ihn und jaulte leise und jammervoll. Dies hatte СКАЧАТЬ