Название: Hans Fallada – Gesammelte Werke
Автор: Hans Fallada
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813598
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Und sie hatte das dunkle Gefühl, als mache sie mit dem geretteten Kuno-Dieter die von Karlemann begangenen Schandtaten ein bisschen wieder gut.
45. Kriminalrat Zott gestürzt
Der Brief des Reviervorstehers war zwar ganz richtig an Herrn Kriminalrat Zott bei der Geheimen Staatspolizei, Berlin, adressiert gewesen. Aber das hatte noch nicht zur Folge, dass dieser Brief auch direkt bei dem Kriminalrat Zott eintraf. Sondern dessen Vorgesetzter, der SS-Obergruppenführer Prall, hatte ihn in den Händen, als er beim Kriminalrat eintrat.
»Was ist das für eine Sache, Herr Kriminalrat?«, fragte Prall. »Hier ist wieder so ’ne Karte vom Klabautermann und daran angeheftet ein Zettel: Häftlinge laut telefonischer Weisung der Gestapo, Kriminalrat Zott, wieder entlassen. Was sind das für Häftlinge? Warum ist mir davon nichts gemeldet?«
Der Kriminalrat sah schräg durch die Brille zu seinem Vorgesetzten hin: »Ach so! Ja, jetzt erinnere ich mich. Das war vorgestern oder noch einen Tag früher. Jetzt weiß ich es wieder genau: am Sonntag war es. Abends. Zwischen sechs und sieben, achtzehn und neunzehn Uhr wollte ich sagen, Herr Obergruppenführer.«
Und er sah, stolz auf sein ausgezeichnetes Gedächtnis, den Obergruppenführer an.
»Und was war da am Sonntag zwischen achtzehn und neunzehn Uhr? Wieso gab es da Häftlinge? Und warum wurden sie wieder entlassen? Und weshalb ist mir davon nichts gemeldet? Es ist zwar sehr beruhigend, dass Sie es jetzt wieder wissen, Zott, aber ich möcht’s auch gerne wissen.«
Dieses ohne alle Titelei hervorgestoßene »Zott« klang wie ein erster Kanonenschuss.
»Aber eine ganz belanglose Geschichte!« Der Kriminalrat machte beruhigende Bewegungen mit seinem aktengelben Händchen. »Ein Unsinn auf dem Revier. Die hatten da als Kartenschreiber oder Kartenverteiler ein paar Leutchen festgenommen, ein Ehepaar, natürlich blanker Unsinn mal wieder von der Schupo. Ehepaar – da wir doch wissen, der Mann muss allein leben! Und dann, jetzt fällt mir auch das noch ein, von Beruf war der Mann Tischler, und wir wissen doch, er muss etwas mit der Straßenbahn zu tun haben!«
»Wollen Sie damit sagen, Herr«, antwortete, nur noch mühsam an sich haltend, der Obergruppenführer (das »Herr« war der zweite und weitaus schärfere Schuss in diesem Kriege), »wollen Sie damit sagen, dass Sie die Enthaftung dieser Leute angeordnet haben, ohne sie überhaupt zu sehen, ohne sie zu vernehmen – bloß weil es zwei waren statt einer und bloß weil der Mann sich für einen Tischler ausgab? Herr!«
»Herr Obergruppenführer«, antwortete der Kriminalrat Zott und stand auf. »Wir Kriminalisten arbeiten nach einem bestimmten Plan und weichen davon nicht ab. Ich suche einen einsam lebenden Mann, der was mit der Straßenbahn zu tun hat, und keinen Ehemann, der Tischler ist. Der interessiert mich nicht. Wegen dem gehe ich keinen Schritt.«
»Als wenn ein Tischler nicht auch für die BVG arbeiten könnte, zum Beispiel Bahnwagen reparieren!«, schrie jetzt Prall. »So eine Hornsdummheit!«
Zuerst wollte Zott beleidigt sein, aber die treffende Bemerkung seines Vorgesetzten machte ihn doch bedenklich. »Freilich«, sagte er betreten, »daran habe ich freilich nicht gedacht.« Er sammelte sich. »Aber ich suche einen einsam lebenden Menschen«, sagte er wieder. »Und dieser Mann hat eine Frau.«
»Haben Sie eine Ahnung, was die Weiber für gemeine Biester sein können!«, knurrte Prall. Aber er hatte noch etwas in Bereitschaft: »Und haben Sie, Herr Kriminalrat Zott« (der dritte und schärfste Schuss), »vielleicht auch daran nicht gedacht, dass diese Karte an einem Sonntagnachmittag abgelegt ist, in der Nähe des Nollendorfplatzes, der gehört nämlich zu dem Revier! Sollte auch dieser kleine, belanglose Umstand Ihrem kriminalistischen Scharfblick entgangen sein?«
Diesmal war der Kriminalrat Zott ehrlich bestürzt, sein Spitzbart zuckte, über seine dunklen, scharfen Augen zog es wie ein Schleier.
»Sie sehen mich in der größten Verlegenheit, Herr Obergruppenführer! Ich bin verzweifelt, wie konnte mir das nur geschehen? Ach ja, ich habe mich verrannt. Ich habe immer nur an diese Bahnhöfe von der Elektrischen gedacht, ich war so stolz auf diese Entdeckung. Zu stolz …«
Der Obergruppenführer sah mit bösen Augen auf dieses Männchen, das in ehrlicher Bekümmernis, aber ohne Kriecherei seine Sünden bekannte.
»Es war ein Fehler von mir, ein schwerwiegender Fehler«, fuhr der Kriminalrat eifrig fort, »diese Ermittlungen überhaupt zu übernehmen. Ich tauge nur für die stille Arbeit am Schreibtisch, nicht für den Fahndungsdienst. Kollege Escherich macht so etwas zehnmal besser als ich. Nun habe ich auch noch das Unglück gehabt«, fuhr er beichtend fort, »dass einer meiner Leute, den ich mit der Ermittlung in einem dieser Häuser beauftragt hatte, verhaftet worden ist, ein gewisser Klebs. Wie mir mitgeteilt wird, soll er an einem Diebstahl beteiligt sein, an der Ausräuberung eines Dipsomanen.1 Übrigens ist er schwer verletzt. Eine sehr hässliche Geschichte. Der Mann wird bei der Verhandlung nicht den Mund halten, er wird sagen, wir haben ihn geschickt …«
Der Obergruppenführer Prall zitterte vor Zorn, aber der traurige Ernst, mit dem Kriminalrat Zott sprach, und seine völlige Unbekümmertheit um das eigene Schicksal hielten ihn noch im Zaum.
»Und wie denken Sie sich die Fortsetzung der Sache, Herr?«, fragte er kalt.
»Ich bitte Sie, Herr Obergruppenführer«, bat Zott mit flehend erhobenen Händen, »ich bitte Sie, entbinden Sie mich! Entbinden Sie mich von diesem Dienst, dem ich in keiner Weise gewachsen bin! Holen Sie den Kommissar Escherich wieder aus seinem Keller, er wird es besser machen als ich …«
»Ich hoffe«, sagte Prall und schien alles eben Gesagte nicht gehört zu haben, »ich hoffe, Sie haben wenigstens die Anschriften der beiden inhaftiert Gewesenen notiert?«
»Ich habe es nicht! Ich habe mit sträflichem Leichtsinn gehandelt, von meiner Lieblingsidee verführt. Aber ich werde mich mit dem Revier verbinden lassen, man wird mir die Adressen geben, wir werden sehen …«
»Also lassen Sie sich verbinden!«
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