Название: Hans Fallada – Gesammelte Werke
Автор: Hans Fallada
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813598
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Aber viel besser passte sie darum doch nicht auf. Sondern sie dachte daran, dass es vielleicht besser sei, wenn es mit diesem verkommenen Jungen und ihr nichts würde. Wie viel Liebe und Arbeit hatte sie in den Karlemann gesteckt, der ein unverdorbenes Kind gewesen war – und was war aus Liebe und Arbeit geworden? Und sie wollte einen vierzehnjährigen Bengel, der das ganze Leben und alle Menschen verachtete, noch einmal völlig umändern? Was hatte sie sich da eingebildet? Außerdem würde Kienschäper nie damit einverstanden sein …
Sie sah sich nach dem Schläfer um. Aber der Schläfer war nicht mehr da, allein lagen ihre Sachen im Schatten des Waldrandes.
Also gut!, dachte sie bei sich. Er hat mir schon jede Entscheidung abgenommen. Ausgerissen! Umso besser!
Und sie hackte zornig drauflos.
Aber einen Augenblick später entdeckte sie Kuno-Dieter auf dem anderen Ende des Kartoffelackers, wie er fleißig Unkraut ausriss und die Bündel am Feldrand aufschichtete. Sie stieg über die Furchen fort zu ihm hin.
»Schon ausgeschlafen?«, fragte sie.
»Kann nich schlafen«, sagte er. »Mir haste den Kopp dusslig jeredt. Muss nachdenken.«
»Denn tu das man! Aber denk nicht, dass du meinetwegen arbeiten musst.«
»Deinetwegen!« So viel Verachtung, wie er in dieses eine Wort legte, war gar nicht auszudenken. »Ick reiß Unkraut aus, weil sich’s dabei besser nachdenkt und weil’s mir eben Spaß macht. Wahrhaftig! Wejen dir! Für die paar Sechserstullen meenste?«
Wieder ging Frau Eva Kluge mit einem stillen Lächeln an ihre Arbeit zurück. Und er tat es doch ihretwegen, wenn er es auch nicht einmal vor sich selbst wahrhaben wollte. Jetzt hatte sie keinen Zweifel mehr, dass er mittags mit ihr gehen würde, und davor verloren alle mahnenden und warnenden Stimmen, die in ihr laut geworden waren, an Gewicht.
Früher als sonst machte sie Schluss mit der Arbeit. Sie ging wieder zu dem Jungen zurück und sagte zu ihm: »Ich mach jetzt Mittag. Wenn du willst, Kuno, kannst du mit mir kommen.«
Er riss noch ein paar Unkräuter aus und sah dann auf das gesäuberte Stück. »’ne janz schöne Ecke ha’ck jeschafft«, sagte er befriedigt. »Natürlich ha’ck nur det jrobe Unkraut jenomm, for det kleene musste noch mal mit de Hacke langjehn, det schafft denn aba mehr.«
»Natürlich«, sagte sie. »Nimm du nur das grobe Unkraut weg, mit dem kleinen will ich schon fertig werden.«
Er sah sie wieder von der Seite an, und sie merkte, dass diese blauen Augen auch schelmisch blicken konnten.
»Det soll woll ’ne Anspielung sind?«, erkundigte er sich.
»Wie du meinst«, sagte sie. »Es braucht es nicht zu sein.«
»Na denn!«
Sie blieb stehen auf dem Rückweg, an einem kleinen, eilig dahinströmenden Wasser.
»Ich möchte dich so, wie du aussiehst, nicht mit ins Dorf nehmen, Kuno«, sagte sie.
Sofort erschien eine Falte auf seiner Stirn, und er fragte argwöhnisch: »Du schämst dir woll for mir?«
»Natürlich kannst du auch so mitkommen, meinetwegen«, sagte sie. »Aber wenn du länger im Dorf leben willst, und du kannst fünf Jahre da sein und immer ordentlich gekleidet herumlaufen, die Bauern vergessen doch nie, wie du zu ihnen gekommen bist. Wie ein Dreckschwein, werden sie noch in zehn Jahren sagen. Wie ein Penner.«
»Da haste recht«, sagte er. »So sind die Brüder. Na, denn mach ma und hol Zeuch! Ick will ma sehn, det ick mir unterdes hier ’n bissken abschrubbe.«
»Ich bringe Seife und Bürste mit«, rief sie noch und machte sich eilig auf den Weg ins Dorf.
Später am Tage, sehr viel später am Tage, schon am Abend, als sie zu dreien ihr Abendbrot gegessen hatten: Frau Eva, der weißhaarige Kienschäper und ein fast bis zur Unkenntlichkeit verwandelter Kuno-Dieter, später also sagte Frau Eva: »Heute schläfst du hier noch auf dem Heuboden, Kuno. Von morgen an kriege ich die kleine Kammer, sie müssen nur erst das Gerümpel rausstellen. Ich richte sie dir hübsch ein. Möbel habe ich genug.«
Kuno sah sie nur an. »Det soll heeßen, det ick jetzt zu vaduften habe«, sagte er, »det de Herrschaften unter sich sein wollen. Na denn! Aba schlafen jeh ick jetzt noch nich, Eva, ick bin doch keen Siebenmonatskind. Ick wer mir erst ma det Kaff bekieken.«
»Aber lass es nicht zu spät werden, Kuno! Und rauch nicht auf dem Heuboden!«
»I wo denn! Wo wer ick!, wär ja der Erste, der abnibbeln müsste. Na denn! Ville Spaß noch, junge Leute, sagte der Vata, da machte er Mutta een Kind!«
Und Herr Kuno-Dieter ging ab. Ein glänzendes Produkt nationalsozialistischer Erziehung.
Frau Eva Kluge lächelte etwas bekümmert. »Ich weiß doch nicht, Kienschäper«, sagte sie, »ob ich grade recht daran getan habe, dieses Früchtchen in unsere kleine Familie aufzunehmen. Er ist eine Zumutung, das ist er!«
Kienschäper lachte. »Aber, Evi«, sagte er, »du musst doch selber merken, dass der Junge jetzt nur angibt! Der will sich hier ganz groß zeigen! Auch in aller Scheußlichkeit. Und gerade, weil er merkt, du bist ein bisschen zimperlich …«
»Ich bin doch nicht zimperlich!«, rief sie. »Aber wenn mir ein vierzehnjähriger Junge erzählt, er hat schon zwei Geliebte gehabt …«
»… so bist du eben doch zimperlich, Evi. Und was heißt übrigens zwei Geliebte, die er bestimmt gar nicht gehabt hat, sondern im schlimmsten Falle haben sie ihn gehabt! Das heißt gar nichts! Ich will es deinen Ohren ersparen, Evi, dir zu erzählen, was die Kinder dieses schlichten, frommen Dorfes alles miteinander vorhaben, dagegen ist dein Kuno-Dieter noch Gold!«
»Aber die Kinder reden nicht davon!«
»Weil sie ein schlechtes Gewissen haben. Er aber hat keines, sondern sieht es ganz natürlich an, weil er es nämlich nie anders gesehen und gehört hat. Das gibt sich alles. Ein guter Kern steckt in dem Jungen; in einem halben Jahr wird er schon schamrot werden, wenn er an das denkt, was er dir in den ersten СКАЧАТЬ