Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling
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Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke

Автор: Eduard von Keyserling

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962814601

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СКАЧАТЬ oder an ir­gend et­was er­in­nert hat­ten; jetzt stan­den sie ab­ge­schmackt und nichts­sa­gend da und wuss­ten nicht, warum sie auf der Welt sei­en; ver­staubt und un­be­ach­tet wa­ren sie, tot – wie ihre Her­rin.

      Vie­le brei­te, schwer­fäl­li­ge Mö­bel aus Ma­ha­go­ni­holz, mit ei­nem Über­zug von schwarz und ro­tem Wol­len­stoff, be­eng­ten das Ge­mach. Ein Da­guer­reo­typ, den Schus­ter­meis­ter Herz dar­stel­lend, hing über der Kom­mo­de; man konn­te dar­auf je­doch nur den großen wei­ßen Hals­kra­gen un­ter­schei­den. Auf der Kom­mo­de stand die Fa­mi­li­en­bi­blio­thek: sechs Bän­de Zschok­kes No­vel­len, Ar­enths An­dachts­buch, Schil­lers Ge­dich­te und drei Jahr­gän­ge ei­ner il­lus­trier­ten Zeit­schrift. Un­ter man­chen Re­li­qui­en aus der Zeit des Fräu­lein Ina lag auch ein klei­ner wei­ßer At­las­schuh, an der Spit­ze mit ei­ner Ro­sen­knos­pe ge­schmückt. Er war das ein­zi­ge, was Rosa von ih­rer Mut­ter ge­erbt hat­te.

      Ne­ben dem Wohn­ge­mach be­fand sich das Spei­se­zim­mer, ein schma­les Recht­eck; sechs Rohr­stüh­le, ein runder Ei­chen­tisch, ein Schrank mit Gla­stü­ren und ein großes Buf­fet aus Birn­holz füll­ten den Raum, in dem Herr Herz und sei­ne Toch­ter sich zum Mit­tags­mahl nie­der­setz­ten.

      Herr Herz schöpf­te die Sup­pe vor und zer­leg­te sehr ge­wandt den Bra­ten, da­bei war er eif­rig um die Un­ter­hal­tung be­müht. »Heu­te«, sag­te er und leg­te Rosa ein Stück Bra­ten auf den Tel­ler, »wäh­rend ich drau­ßen im Hof Un­ter­richt er­teil­te, sah ich eine ver­deck­te Kut­sche den Weg hin­ab­fah­ren. Du hast wohl nichts ge­hört?«

      »Nein. Je­mand vom Lan­de?« be­merk­te Rosa.

      Herr Herz schüt­tel­te un­gläu­big den Kopf: »Um die­se Zeit! Weiß es Gott! Ich muss spä­ter zu Klappe­kahl hin­über, der wird es wis­sen.«

      Rosa war schweig­sam. Ihr Va­ter be­merk­te das wohl und frag­te nach der Ver­an­las­sung, aber Rosa er­wi­der­te, es sei nichts; sie däch­te über die Kut­sche nach. »Ja, merk­wür­dig!« plau­der­te Herr Herz fort. »Wie ich aus der Schu­le kom­me, be­geg­net mir La­nin.« Herr Herz schau­te sei­ne Toch­ter er­war­tungs­voll an, als müss­te die­se Nach­richt Ein­druck auf sie ma­chen; Rosa je­doch be­merk­te nur tro­cken: »So! Sprach er von sei­ner dum­men Toch­ter?«

      »Dum­men Toch­ter! Rosa, wie du sprichst!« Herr Herz lach­te, als wäre das ein gu­ter Witz ge­we­sen. »Nein«, fuhr er dann fort, »er teil­te mir aber mit, dass nächs­tens ein jun­ger Mensch, ein Ver­wand­ter von ihm, in das Ge­schäft kommt.«

      »Noch ei­ner? Hat er denn mit dem Ko­rin­then-Kon­rad nicht ge­nug?«

      »Mit die­sem hat es sei­ne Be­wandt­nis. Der jun­ge Herr scheint ein we­nig wild ge­we­sen zu sein…«

      »Ah, was hat er ge­tan?«

      »Gott, in der Ju­gend, da kommt man­ches vor! Ge­nug, er soll hier ge­bes­sert wer­den. Als ich vor­hin dort am Fens­ter stand, dach­te ich dar­über nach, ob La­nin bei der gan­zen Ge­schich­te nicht et­was für sei­ne Toch­ter im Sinn hat, für die Sal­ly.«

      »Die!« rief Rosa und lach­te, weil je­dem jun­gen Mäd­chen je­der Hei­rats­plan au­ßer ih­rem ei­ge­nen lä­cher­lich er­scheint. »Du ver­gisst, Va­ter, dass Sal­ly schielt.«

      »Pah!« mein­te Herr Herz, »ich habe man­che Schön­heit ge­kannt, die schiel­te. Vie­le lie­ben das so­gar.«

      »Es wäre ein Glück für die arme Sal­ly; aber ich zweifle…« sag­te Rosa und hob die Ta­fel auf. Wäh­rend sie vor­an in das Wohn­ge­mach schritt, wand­te sie sich in der Türe um und frag­te mit ei­nem gleich­gül­ti­gen Zu­cken der Au­gen­brau­en: »Va­ter! Wie soll denn die­ser neue Ko­rin­then-Kon­rad hei­ßen?«

      »Am­bro­si­us Tel­le­r­at. Er ist ein Bru­der­sohn von ihr – der La­nin. Die Frau La­nin ist eine ge­bo­re­ne Tel­le­r­at, wie du weißt.«

      »Ach ja!«

      Als Va­ter und Toch­ter im Wohn­ge­mach auf den brei­ten Ses­seln ne­ben­ein­an­der sa­ßen, be­merk­te Rosa nach­denk­lich: »Ich glau­be nicht, dass die­ser – Am­bro­si­us sie nimmt.« – »Ja, ja«, er­wi­der­te Herr Herz dar­auf, ohne dass es schi­en, als däch­te er sich et­was da­bei. Be­quem rück­te er sei­nen Kopf auf der Leh­ne des Ses­sels zu­recht und schloss die Au­gen zu sei­nem Nach­mit­tags­schlum­mer. Die Son­ne ba­de­te das klei­ne Ge­sicht des al­ten Man­nes in gel­bem Feu­er, ent­zün­de­te in den grei­sen Au­gen­brau­en leuch­ten­de Pünkt­chen und wärm­te die ein­ge­fal­le­nen Wan­gen, dass sie zu glü­hen be­gan­nen wie die Wan­gen ei­nes schla­fen­den Kin­des. Die Flie­gen trie­ben im Ge­mach ihr lau­tes We­sen und stie­ßen är­ger­lich sum­mend ge­gen die Fens­ter­schei­ben. Lan­ge Staub­säu­len zo­gen ihre trü­ben Bän­der durch das Zim­mer.

      Rosa lag in ih­rem Ses­sel zu­rück­ge­lehnt da, ganz über­deckt von ste­ti­gen Licht­fun­ken, die der Son­nen­strahl in ih­rem Haar, ih­ren Au­gen­brau­en und Wim­pern er­weck­te. Die Au­gen halb ge­schlos­sen, träum­te sie ih­ren alt­ge­wohn­ten Traum.

      Er war mit ihr her­an­ge­wach­sen. Je­den Mor­gen er­wach­te er mit ihr, um ihr neu­ge­stärkt zu fol­gen. Er ging mit ihr in die Schu­le, misch­te sich in al­les, was sie vor­nahm. In der Nacht kam er oft, mit dem selt­sa­men Nar­ren­tand un­se­rer Träu­me an­ge­tan. Er war im­mer zur Hand! Wo­von er sprach? Das ist das schwer zu lö­sen­de Ge­heim­nis lie­ben­der Her­zen, die nie ge­liebt, op­fer­mu­ti­ger See­len, die nie ein Op­fer ge­bracht ha­ben. Ei­nes nur wie­der­hol­te er im­mer wie­der: »Bald, bald muss et­was ge­sche­hen, muss et­was er­lebt wer­den. Bald, sonst ver­säumst du’s.«

      Nach­dem Rosa eine Wei­le ih­rem treu­en Ge­fähr­ten zu­ge­hört hat­te, seufz­te sie, er­hob sich und er­griff Hut und Man­tel, um aus­zu­gehn.

      Drittes Kapitel

      Die Stra­ße war leer, kein Luft­hauch reg­te sich. Gerü­che von Fleisch und Ge­mü­se ström­ten aus den ge­öff­ne­ten Fens­tern. Pa­pier­fet­zen und alte Schuh­soh­len la­gen auf dem Pflas­ter und sonn­ten sich.

      Rosa ging zum Markt­platz hin­ab. Die Hän­de in die Ta­schen ih­res Man­tels ge­steckt, wieg­te sie sich läs­sig hin und her und blick­te auf die Häu­ser und in die Fens­ter, mit der gleich­gül­ti­gen Zer­streut­heit, die wir ge­wohn­ten Din­gen ent­ge­gen­zu­tra­gen pfle­gen, wenn un­se­re Bli­cke an ih­nen haf­ten, ohne sie zu se­hen.

      Am Aus­gang der Stra­ße und Ein­gang des Markt­plat­zes lag das Ge­schäft »Fir­ma La­nin und –«, Ver­kauf von Ko­lo­ni­al­wa­ren je­der Art. Das Ge­schäft La­nin war von größ­ter Wich­tig­keit für das Städt­chen; lan­ge schon war es die Haupt­quel­le für die Be­dürf­nis­se der Haus­hal­tung, und meh­re­re Ge­ne­ra­tio­nen hat­ten den Na­men La­nin zu­gleich mit den Wor­ten Zu­cker, Ro­si­nen und so wei­ter aus­spre­chen ge­lernt. Herr La­nin saß im Rat, wie sein Va­ter und Groß­va­ter vor ihm dort ge­ses­sen. СКАЧАТЬ