Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling
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Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke

Автор: Eduard von Keyserling

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962814601

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СКАЧАТЬ blaue Som­mer­tuch des An­zu­ges zu spren­gen; der Rücken hat­te eine kraft­vol­le Wöl­bung, die der gan­zen Ge­stalt et­was männ­lich Rei­fes ver­lieh. Von die­sem mäch­ti­gen Kör­per lä­chel­te ein weiß und ro­tes Ge­sicht freund­lich und kind­lich her­ab, und die klei­nen brau­nen Au­gen glänz­ten ver­schmitzt zwi­schen den ro­ten Wim­pern her­vor. Das kurz­ge­scho­re­ne rote Haar war stark mit Öl ge­tränkt und stand auf­recht um die nied­ri­ge wei­ße Stirn.

      »Es war heu­te wirk­lich schwie­rig«, mein­te Her­weg lä­chelnd. »Ich habe enorm klug sein müs­sen.« Rosa zog die Au­gen­brau­en in die Höhe und sag­te: »Was war schwie­rig?«

      »Was?« wie­der­hol­te Her­weg und setz­te sich lang­sam auf die Bank. Er stütz­te die Arme auf die Knie und schwenk­te sei­nen Hut wie einen Pen­del zwi­schen den Bei­nen hin und her: »Rosa, wie kön­nen Sie so fra­gen? Ich ma­che mir nichts dar­aus; aber der Di­rek­tor sprach sehr un­höf­lich über mein häu­fi­ges Schwän­zen.«

      »Glau­ben Sie, die Schank be­merkt mein Aus­blei­ben nicht?« frag­te Rosa ge­reizt.

      »Wie soll­te ich«, er­wi­der­te Her­weg, nahm vor­sich­tig einen von Ro­sas Zöp­fen und be­trach­te­te ihn auf­merk­sam. Rosa ward un­ge­dul­dig: »Was ha­ben Sie nur?« Dann lach­te sie: »Wis­sen Sie, Koll­hardt, dass Sie mit je­dem Tage di­cker wer­den?«

      »Hm, ja!« mein­te Koll­hardt nach­denk­lich. »Miss­fällt Ih­nen das?«

      »Mir? Sie wis­sen ja, dass mich das nichts an­geht. Nur für Sie wäre es an­ge­neh­mer, nicht so dick zu sein.«

      »Oh, ich ma­che mir nichts dar­aus! Es kommt, den­ke ich, vom vie­len Bier. In letz­ter Zeit le­ben wir ein we­nig wild.«

      »So! ja, das glau­be ich, da geht es wohl wüst her.«

      »Wie man’s nimmt. Vo­ri­ge Nacht ha­ben wir bis drei Uhr ge­k­neipt.«

      »Schä­men Sie sich«, mahn­te Rosa freund­lich. »Wo­von spra­chen Sie denn bei die­sem wil­den Ge­la­ge?«

      »Oh, von man­cher­lei! Von Ih­nen, Rosa, war auch die Rede.«

      »Das ver­bit­te ich mir. Mein Name soll bei sol­chen – un­so­li­den – Knei­pe­rei­en nicht ge­nannt wer­den.«

      »Er wird mit großer Be­wun­de­rung ge­nannt«, wand­te Her­weg ein.

      »Ich mag es nicht«, ei­fer­te Rosa wei­ter. »Was ha­ben Sie von mir zu spre­chen? Sa­gen Sie mir das, Koll­hardt.«

      »Eine gan­ze Men­ge!«

      »Nun was denn?«

      Her­weg ward ver­le­gen und dreh­te zer­streut den blon­den Zopf in sei­ner Hand, Rosa aber ent­zog ihn ihm, wie man ei­nem Kin­de, das sei­ne Lek­ti­on her­sa­gen soll, ein Spiel­zeug aus der Hand nimmt. »Sa­gen Sie doch«, wie­der­hol­te sie.

      »Ich trin­ke auf Ihr Wohl.«

      »Was mir das nüt­zen wird! Nun gut! Was wei­ter?«

      »Nun – ich sage, dass Sie hübsch sind, sehr hübsch.«

      »Wie alt­mo­disch!«

      »Wie­so alt­mo­disch?«

      »Gleich­viel«, dräng­te Rosa. »Was noch?«

      »Ich spre­che von mei­ner Lie­be.«

      »Da­von spricht man nicht bei Knei­pe­rei­en. Und dann, Ihre Lie­be, Koll­hardt; das ist ja Un­sinn.«

      »Durchaus nicht!« rief Her­weg has­tig. »Ich lie­be Sie wirk­lich! Das wis­sen Sie ja. Ich wür­de mich sonst doch nicht all den Unan­nehm­lich­kei­ten mit dem Di­rek­tor aus­set­zen.«

      Rosa zuck­te die Ach­seln, und den­noch leuch­te­te die­ser Be­weis ihr ein. Nun schwie­gen bei­de. Her­weg schau­te sei­ne Ge­lieb­te un­ver­wandt an und lä­chel­te be­hag­lich. Zu­wei­len be­rühr­te er be­hut­sam mit ei­nem Fin­ger Ro­sas Hand oder strich sanft über den grau­en Som­mer­man­tel. Rosa ach­te­te nicht dar­auf, son­dern zog auf­merk­sam mit ih­rem Ab­satz eine tie­fe Fur­che in den Sand. Her­weg be­gann wie­der zu spre­chen, mach­te die Be­mer­kung, der Kell­ner Hein­rich ste­he dort an der Säu­le, wie ein Affe, der Prü­gel be­kom­men hat; er mach­te Rosa auf die alte Dame auf­merk­sam, die, in ih­rem Spa­zier­gang in­ne­hal­tend, mit schril­ler, kla­gen­der Stim­me »Max, Max!« rief und mit ei­nem Tu­che wink­te: »Eine tol­le Schrul­le! Ihren Hund Max zu nen­nen! So et­was kann sich auch nur eine alte Jung­fer aus­den­ken! Tref­fe ich das Vieh ein­mal al­lein, dann soll es…« Die Un­ter­hal­tung woll­te doch nicht in Gang kom­men. Läh­mend und er­schlaf­fend leg­te sich auch über die bei­den Kin­der die schläf­ri­ge Mit­tags­ru­he; jene trä­ge, laut­lo­se Ruhe, die wie ein flim­mern­der Schlei­er sich über das Gras und den Kies, über die Hü­gel und Bäu­me, über das Schwei­zer­haus, den Kell­ner Hein­rich und die alte Dame brei­te­te, die jetzt stumm und re­gungs­los da­stand, ein­sam und ge­fasst, denn Max kam nicht; jene Ruhe, die mit ih­rer son­ni­gen Lan­ge­wei­le über dem Schul­ge­bäu­de brü­te­te und so weit das Auge reich­te, wie die Ge­gen­wart des Schul­di­rek­tors, jede leb­haf­te Be­we­gung un­ter­drück­te, als woll­te sie eine Stö­rung des Schul­un­ter­rich­tes ver­mei­den. Die gan­ze Na­tur war still, warm und stau­big wie eine Schul­stu­be; zu­wei­len nur rief eine Feld­gril­le ih­ren klei­nen tro­ckenen Ton in das Schwei­gen hin­ein, und er klang dann wie das Knar­ren ei­ner Fe­der in ei­ner trä­gen Schü­ler­hand.

      Rosa und Her­weg sa­ßen noch eine Wei­le bei­ein­an­der, bis die Turm­uhr des Gym­na­si­ums einen hei­se­ren Schlag von sich gab. Da trenn­ten sie sich. Her­weg nahm Ro­sas Hand und sag­te ge­fühl­voll: »Le­ben Sie wohl, Rosa. Ich seh’ Sie doch bald?« Rosa nick­te und stäub­te noch mit ei­ni­gen kräf­ti­gen Schlä­gen Her­wegs Rock ab. Dann gin­gen sie aus­ein­an­der.

      Rosa muss­te wie­der zur Schul­stra­ße zu­rück, um zu ih­rer Woh­nung zu ge­lan­gen. Nach­denk­lich schwenk­te sie ihre Schul­map­pe und blick­te zu den Häu­ser­gie­beln auf, die schläf­rig über die Kas­ta­ni­en auf sie her­ab­sa­hen. Hier und dort mach­te ein ge­öff­ne­tes Fens­ter ein schwar­zes Loch in das licht­vol­le Bild, gleich­sam ein Mund, der in den All­tag hin­ein­gähn­te. – Sie dach­te an Her­weg und war un­zu­frie­den mit ihm. Die große, plum­pe Ge­stalt; Gott, und die plat­ten Fra­gen, die er tat; und das schüch­ter­ne Strei­cheln ih­rer Hän­de und Zöp­fe! Ge­wiss, es war lä­cher­lich, und sie lä­chel­te. Dann seufz­te sie wie­der.

      Ro­sas Woh­nung lag im zwei­ten Stock. Aus ei­nem Fens­ter des­sel­ben schau­te Herr Herz nach sei­ner Toch­ter aus, und als er sie er­blick­te, nick­te er ihr zu, je­nem selt­sa­men Dran­ge fol­gend, vom Fens­ter aus sich ei­nem Be­kann­ten auf der Stra­ße be­merk­bar zu ma­chen, wenn es auch nicht den ge­rings­ten Zweck hat. Rosa war zu sehr an die­ses ni­cken­de wei­ße Haupt ge­wöhnt, um dar­auf zu ach­ten. Sie stieg ge­mäch­lich die Trep­pen hin­an und frag­te beim Ein­tre­ten in СКАЧАТЬ