Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke
Автор: Eduard von Keyserling
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962814601
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Zuweilen ward Ambrosius wieder weihevoll und poetisch und sprach von seinem leidenschaftlichen Herzen, von der Herzbeutelentzündung, von einem dämonischen Weibe, das er geliebt hatte. Rosa hörte ihm bewundernd zu, obgleich sie der Gedanke quälte: »Welch ein Unglück, wenn ich jetzt lachen müsste.« – Sobald es sich aber tun ließ, lenkte sie das Gespräch auf seine frühere Bahn zurück: »Was hat Sally noch gesagt? Was tut sie noch? Erzähle!« Und Ambrosius konnte nur selten den blauen Augen widerstehen, die ihn lustig erwartungsvoll anschauten, und dem spöttischen Munde, der bereit war, beim ersten Wort einer Sally-Anekdote zu lachen.
Wenn endlich die Sonnenstrahlen gar zu heiß herniederbrannten, wurden beide des Sprechens müde. Schweigend standen sie beieinander, Schulter an Schulter, Hand in Hand, und blinzelten sich schläfrig in die Augen. Aus dieser süßen Erschlaffung erwachten sie dann mit doppelt zärtlichen Herzen. Sie drängten sich in der Ecke der Trödlerbude aneinander und schworen sich ihre Liebe zu: »Rosa – Rosa! Ich liebe dich. Bei Gott! Du bist mir das Höchste.« – »Ja, Amby, ich bin dir sehr gut – sehr!« Und sie umarmten sich vor dem ganzen Marktplatz und all den dummen Fenstern mit den fest zugezogenen Vorhängen.
Zwölftes Kapitel
Frau Lanin hatte sich zur Ruhe begeben. Das Gesicht, von der großen weißen Schlafhaube umrahmt, verzog sich sorgenvoll, denn die rechte Stellung für jedes der mächtigen Glieder zu finden, kostete Frau Lanin allabendlich Mühe und Nachdenken.
Auch Fräulein Sally war schon im Nachtkleide, trug ein lichtblaues Kamisol, und ihre Locken vereinigten sich in zwei großen Knollen zu beiden Seiten der Stirn; sinnend stocherte sie mit ihrer Haarnadel an der Kerze herum und erzählte:
»Gut! Sie standen also dort an der Türe der Trödlerbude, mir gegenüber. Ich konnte sie gut beobachten, denn anfangs schob ich den Vorhang ein wenig zurück, später machte ich mit einer Stecknadel ein kleines Loch in den Vorhang.«
»Ein Loch in den Vorhang?« fuhr Frau Lanin auf.
»Mein Gott, ein ganz kleines Loch! Wer sieht das!« meinte Fräulein Sally ungeduldig. »In solchen Augenblicken können alte Vorhänge nicht verschont werden. Anfangs sprachen sie miteinander. Sie lachten recht widerwärtig; verstehst du, so widerwärtig frech – er kehrte mir den Rücken zu…«
»Mehr hast du nicht gesehen?« fragte Frau Lanin enttäuscht.
»So warte doch, wenn du dich beständig rührst, kann ich nicht erzählen.« Dann fuhr sie fort: »Sie lachten also widerwärtig frech und sprachen miteinander«, nahm Fräulein Sally ihren Bericht wieder auf und bohrte ihre Haarnadel tief in die Kerze.
»Konntest du etwas verstehen?«
»Gott sei Dank nicht! Ich sah, wie sie sich plötzlich in die Ecke drückten und – du verstehst? Sie natürlich machte den Anfang.«
»Was denn?«
»Nun – du verstehst –; ich mag es nicht sagen.«
»Großer Gott! Was denn? Sag es nur.«
»Verstehst du denn nicht? Sie, nun, sie…« Fräulein Sally küsste ihre eigene Hand: »Ja, das sah ich!«
»Sie küssten sich also?«
»Das ist es, da du es gesagt haben willst; sie küssten sich –« Ordentlich zischend stieß Fräulein Sally dieses Wort hervor.
»O Gott, o Gott!« jammerte Frau Lanin.
»Für Klagen ist es zu spät«, schalt Fräulein Sally. »Wer trägt die Schuld? Wer hat die Person immer eingeladen? Wenn der Papa und du es wollen, ich kann nicht nein sagen. Ich weiß ja, Gott sei Dank, von all diesen hässlichen Sachen nichts. Jetzt aber, da ich erkannt habe, mit welch einer Person ihr mich umgehen lasst, jetzt fühlt sich meine Mädchenwürde verletzt. Was ihn betrifft, so hättest du oder der Papa ihn wohl vor den Fallstricken dieser Person warnen können – den Fallstricken – ja«; Fräulein Sally fand Gefallen an diesem Wort und wiederholte es mehrere Male – denn Fallstricke waren es. Sie hatte diese Fallstricke dunkel geahnt; aber was wusste sie denn von Fallstricken!
»Beste Sally«, wandte Frau Lanin ein, »ich habe selbst ja von alledem nichts gewusst.«
»Du hättest es aber wissen sollen«, rief das empörte Mädchen. »Konntest du ihm nicht Andeutungen machen, dass… nun, mein Gott! Du weißt es ja besser als ich. Ganz verdammen kann ich ihn nicht; er ist leichtsinnig, aber nicht schlecht. Weil ihr ihm gar keine Andeutungen gemacht habt, so hielt er seine… seine Achtung für mich für aussichtslos; denn Achtung hegt er wenigstens für mich. Ich bin anfangs natürlich zurückhaltend gegen ihn gewesen; zuweilen fast streng. Ja, aber das ist so mein keusches Wesen. Ich bin keusch durch und durch. Einmal griff er mit mir zugleich in den Brotkorb und streifte meinen Finger; du verstehst? Da schaute ich ihn vorwurfsvoll und ernst an. Vielleicht glaubte er, ich weise ihn ab, und geriet – in seiner Verzweiflung auf Abwege. Alles ist möglich. Er kann noch gerettet werden; nur darf er sie nicht wiedersehen.«
»Bestes Kind«, begann Frau Lanin, »warum bist du auch so abweisend gegen ihn gewesen? Du hättest doch freundlicher sein können. Ich sehe nichts darin, dass er deinen Finger berührt; daraus macht man einen Scherz. Du konntest zum Beispiel ihn neckend auf die Hand schlagen, das macht sich ganz gut, oder so etwas.«
»Nein, nein«, rief Fräulein СКАЧАТЬ