Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling
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Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke

Автор: Eduard von Keyserling

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962814601

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СКАЧАТЬ recht gut, Herr von Tel­le­r­at«, er­wi­der­te Rosa und wieg­te ver­le­gen ih­ren Ober­kör­per.

      »Kom­men Sie«, fuhr Am­bro­si­us fort. »Stel­len wir uns hier in die Ni­sche zwi­schen die Tür und das Haus. Hier sieht uns kein Mensch, höchs­tens dort vom Sa­lon aus; aber um die­se Zeit geht nie­mand ans Fens­ter, das weiß ich! Ha – ha! Hier ist es nett, so­zu­sa­gen ge­müt­lich. Hat Ih­nen der gest­ri­ge Schreck nicht ge­scha­det? Ich war um Sie in To­des­angst. Aber ich muss­te fort, um Sie nicht zu kom­pro­mit­tie­ren. Der Lurch soll mir die­sen Streich be­zah­len. Er hat mich furcht­bar an­ge­grif­fen. Mit­ten in un­se­rem Bei­sam­men­sein, mit­ten in – hm«, er warf den Kopf zu­rück und such­te nach ei­nem poe­ti­schen Aus­druck. »Mit­ten – so­zu­sa­gen in der ar­ka­di­schen Schä­fer­stun­de ge­stört zu wer­den, das zog mir das Herz zu­sam­men.«

      »Sie hät­ten es nicht tun sol­len«, sag­te Rosa lei­se.

      »Wa­rum nicht?« Am­bro­si­us’ Ge­sicht ward rot und böse. »Dazu muss­te es kom­men, liebs­te Rosa, du muss­test ein­mal er­fah­ren, wie sehr ich dich lie­be. Glaubst du, es hat mich nicht ge­kränkt, den gan­zen Abend mit an­se­hen zu müs­sen, wie je­der Schul­bub den Arm um ein Mäd­chen le­gen darf, das – hm, ja – das mir ge­hört? Dir war’s viel­leicht recht, ich aber litt dar­un­ter. Ich woll­te dich für mich ganz al­lein ha­ben.« Als er sah, dass Rosa über sei­ne Hef­tig­keit er­schrak, ward er ru­hi­ger, ge­fühl­vol­ler. Ach Gott! Rosa ahn­te nicht, wie heiß er sie lieb­te, wie sie sein gan­zes Glück in ih­rer klei­nen, leicht­fer­ti­gen Hand hielt. Er kann­te nicht flüch­ti­ge, ober­fläch­li­che Ge­füh­le. Das war es, was ihm oft Un­heil brach­te, dass er es mit je­der Lei­den­schaft zu ernst nahm. Er war zu tief an­ge­legt, zu treu; er dach­te zu gut von den Men­schen. All die­ses trug er mit ru­hi­ger Stim­me vor, wieg­te sich von ei­nem Bein auf das an­de­re, blick­te über das Mäd­chen hin­weg die al­ten Klei­der an und ver­zog ein we­nig das Ge­sicht, weil die Son­ne ihm in die Au­gen schi­en.

      Rosa, sich fest an die Wand des Hau­ses leh­nend, lausch­te an­däch­tig den klin­gen­den, ab­ge­grif­fe­nen Lie­bes­phra­sen. Der wei­che, ge­dämpf­te Stim­men­ton des jun­gen Man­nes wieg­te sie in eine an­ge­neh­me Schlaff­heit. Sie ach­te­te kaum mehr auf den Sinn der Wor­te, der Klang al­lein schi­en ihr schon et­was Schwü­les, Be­stri­cken­des an sich zu ha­ben, et­was, das zu Kopf steigt und die Ge­dan­ken ein­schlä­fert.

      Die Stra­ße vor ih­nen war leer, in den hell­be­schie­ne­nen Häu­sern wa­ren die Vor­hän­ge her­ab­ge­las­sen, auf dem son­ni­gen Markt­plat­ze trie­ben sich nur die Spat­zen um, sanf­te, ab­ge­ris­se­ne Vo­gel­lau­te ein­an­der zu­wer­fend, und schau­te man in die Fer­ne, dann glaub­te man ein flim­mern­des Zit­tern der Luft wahr­zu­neh­men.

      Am­bro­si­us war jetzt bei der Schil­de­rung sei­nes wun­der­bar wech­sel­vol­len Her­zens an­ge­langt, wech­sel­voll in tol­ler Lust und rät­sel­haf­ter Me­lan­cho­lie; aber im­mer be­stän­dig in – hm, der Nei­gung zur Ge­lieb­ten. Von je­her war es sein Wunsch ge­we­sen, mit ei­nem Weib, das mit ihm sym­pa­thi­sier­te, nach ei­ner un­be­wohn­ten In­sel zu ent­flie­hen, um nur der Lie­be zu le­ben, und Rosa war die­ses Weib.

      Die Ge­schich­te mit der un­be­wohn­ten In­sel er­griff und be­geis­ter­te Rosa. Groß und zärt­lich rich­te­te sie ihre Au­gen auf Am­bro­si­us, als er aber lei­den­schaft­lich aus­rief: »Du bist die­ses Weib, das ich su­che!« da lach­te Rosa. Nie­mand hat­te sie bis jetzt noch »Weib« ge­nannt, das war ihr zu neu. Sie fühl­te es wohl, wie un­pas­send es war, zu la­chen, wie sehr Am­bro­si­us das übel­neh­men muss­te, und den­noch tat sie es – noch dazu das tö­rich­te, her­aus­plat­zen­de La­chen der Schank­schen Schü­le­rin­nen. Ida, an die nie­mand ge­dacht hat­te, stimm­te laut und rau in die­ses La­chen ein. Am­bro­si­us ward dun­kel­rot, die Ader auf sei­ner Stirn schwoll an, und in maß­lo­ser Wut fuhr er auf das Ju­den­mäd­chen los, stieß es mit dem Fuß. »Was? Du bist noch hier? Ich will dich leh­ren, hier hor­chen.« Ida er­hob sich und schlich lang­sam und krumm fort, mit ih­ren blan­ken Au­gen schie­fe, gif­ti­ge Bli­cke auf Am­bro­si­us wer­fend. »Ka­nail­le!« rief die­ser ihr nach.

      »Oh, las­sen Sie sie!« fleh­te Rosa. »Sie er­zählt sonst al­les wei­ter.«

      »Sie möge!« rief Am­bro­si­us hef­tig. »Ich ma­che mir nichts dar­aus. Ich fürch­te mich vor nie­man­dem. Mir ist al­les gleich, und dir – dir ist auch al­les gleich. Al­les – al­les.«

      Er er­griff Ro­sas Hand und hielt sein zor­ni­ges, er­hitz­tes Ge­sicht nahe an das Ge­sicht des Mäd­chens. »Ist dir nicht al­les gleich – sage –!« Rosa schwieg – sie fürch­te­te sich, er aber fass­te sie an die Schul­tern und küss­te sie fest auf die Lip­pen, als woll­te er ihr weh­tun; dann seufz­te er, fuhr sich mit der Hand über die Stirn und ver­setz­te düs­ter: »Wenn ich einen Herz­krampf be­kom­me, so ist es dei­ne Schuld. Ja, in mei­ner Ju­gend habe ich eine Herz­beu­tel­ent­zün­dung ge­habt. Nun – auch das ist gleich!« füg­te er hin­zu – und schritt lang­sam über die Stra­ße, die Arme über der Brust ge­kreuzt, den Kopf sin­nend nie­der­ge­beugt. Von der Lan­in­schen Trep­pe aus warf er noch einen trau­ri­gen Blick zu­rück und trat dann stolz und hoch­auf­ge­rich­tet in den La­den.

      Er­schro­cken und be­trübt blieb Rosa auf ih­rem Platz ste­hen. Sie hat­te ihn be­lei­digt! Zor­nig hat­te er sie ver­las­sen, um – dort drin­nen – viel­leicht einen Herz­krampf zu be­kom­men. Sie emp­fand tie­fes Mit­leid. Oh, wenn er jetzt wie­der­käme – al­les woll­te sie für ihn tun; al­les könn­te er sa­gen, und sie wür­de ge­wiss nicht mehr so kin­disch und klein­städ­tisch la­chen. Sie woll­te gleich mit ihm auf sei­ne ein­sa­me In­sel flie­hen – woll­te ihn ver­ste­hen und be­wun­dern. Wie schön hat­te er aus­ge­se­hen, als er sie so grim­mig küss­te!

      An die schmut­zi­ge Tröd­ler­bu­de ge­lehnt, stand das arme Mäd­chen – bleich vor Auf­re­gung – die Au­gen vol­ler Trä­nen auf den gars­ti­gen Moh­ren des Lan­in­schen La­dens ge­rich­tet, und sag­te sich, wie sehr es Lan­ins großen, un­glück­li­chen, herz­kran­ken La­den­die­ner lieb­te. –

      Die­se Zu­sam­men­künf­te an der Tröd­ler­bu­de wur­den zur täg­li­chen Ge­wohn­heit. Je­der Tag hat­te für Rosa jetzt nur eine gol­de­ne Stun­de, die sie nicht müde ward, mit Herz­klop­fen her­bei­zu­seh­nen, und das nann­te sie »ihre große Lie­be«.

      Wenn die Stun­de kam, wenn die Stra­ßen stil­ler und das Heer der Flie­gen und Mücken in der hei­ßen Luft lau­ter wur­de, dann dul­de­te es Rosa nicht län­ger da­heim. Oft – wenn Herr Herz mit dem Auf­he­ben der Ta­fel zö­ger­te, um noch eine Ge­schich­te zu er­zäh­len – ward Rosa von stür­mi­scher Un­ge­duld ge­schüt­telt. Sie zer­knit­ter­te das Tisch­tuch zwi­schen ih­ren Fin­gern, stieß mit dem Ab­satz ge­gen den Stuhl­fuß; sie hat­te nur die Tröd­ler­bu­de im Sinn, das lie­be klei­ne Haus, ganz warm von Son­nen­schein – mit sei­nen al­ten Klei­dern, sei­nem Ge­ruch nach Kräu­ter­sei­fe und Staub. – Ach Gott, wäre sie nur schon dort! Kaum war die Ge­schich­te aus­er­zählt, als Rosa schon von ih­rem Stuhl auf­sprang; pfeil­schnell ging es die Trep­pe hin­ab, und un­ten auf der Stra­ße trank Rosa in ei­nem lan­gen Atem­zug die schwü­le Luft der Mit­tags­stun­de, СКАЧАТЬ