Название: Gesammelte Werke
Автор: Фридрих Вильгельм Ðицше
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962815295
isbn:
191
Dunkel – Zeiten. – "Dunkel-Zeiten" nennt man solche in Norwegen, da die Sonne den ganzen Tag unter dem Horizonte bleibt: die Temperatur fällt dabei fortwährend langsam. – Ein schönes Gleichnis für alle Denker, welchen die Sonne der Menschheits-Zukunft zeitweilig verschwunden ist.
192
Der Philosoph der Üppigkeit. – Ein Gärtchen, Feigen, kleine Käse und dazu drei oder vier gute Freunde, – das war die Üppigkeit Epikurs.
193
Die Epochen des Lebens. – Die eigentlichen Epochen im Leben sind jene kurze Zeiten des Stillstandes, mitten inne zwischen dem Aufsteigen und Absteigen eines regierenden Gedankens oder Gefühls. Hier ist wieder einmal Sattheit da: alles andere ist Durst und Hunger – oder Überdruß.
194
Der Traum. – Unsere Träume sind, wenn sie einmal ausnahmsweise gelingen und vollkommen werden – für gewöhnlich ist, der Traum eine Pfuscher-Arbeit –, symbolische Szenen- und Bilder-Ketten an Stelle einer erzählenden Dichter-Sprache; sie umschreiben unsere Erlebnisse oder Erwartungen oder Verhältnisse mit dichterischer Kühnheit und Bestimmtheit, daß wir dann morgens immer über uns erstaunt sind, wenn wir uns unserer Träume erinnern. Wir verbrauchen im Traume zu viel Künstlerisches – und sind deshalb am Tage oft zu arm daran.
195
Natur und Wissenschaft. – Ganz wie in der Natur werden auch in der Wissenschaft die schlechteren unfruchtbareren Gegenden zuerst gut angebaut – weil hierfür eben die Mittel der angehenden Wissenschaft ungefähr ausreichen. Die Bearbeitung der fruchtbarsten Gegenden setzt eine sorgsam entwickelte, ungeheure Kraft von Methoden, gewonnene Einzel-Resultate und eine organisierte Schar von Arbeitern, gut geschulten Arbeitern, voraus;- dies alles findet sich erst spät zusammen. – Die Ungeduld und der Ehrgeiz greifen oft zu früh nach diesen fruchtbarsten Gegenden; aber die Ergebnisse sind dann gleich Null. In der Natur würden sich solche Versuche dadurch rächen, daß die Ansiedler verhungerten.
196
Einfachleben. – Eine einfache Lebensweise ist jetzt schwer: dazu tut viel mehr Nachdenken und Erfindungsgabe not, als selbst sehr gescheite Leute haben. Der Ehrlichste von ihnen wird vielleicht noch sagen: "Ich habe nicht die Zeit, darüber so lange nachzudenken. Die einfache Lebensweise ist für mich ein zu vornehmes Ziel; ich will warten, bis Weisere, als ich bin, sie gefunden haben."
197
Spitzen und Spitzchen. – Die geringe Fruchtbarkeit, die häufige Ehelosigkeit und überhaupt die geschlechtliche Kühle der höchsten und kultiviertesten Geister, sowie der zu ihnen gehörenden Klassen, ist wesentlich in der Ökonomie der Menschheit: die Vernunft erkennt und macht Gebrauch davon, daß bei einem äußersten Punkte der geistigen Entwicklung die Gefahr einer nervösen Nachkommenschaft sehr groß ist: solche Menschen sind Spitzen der Menschheit – sie dürfen nicht weiter in Spitzchen auslaufen.
198
Keine Natur macht Sprünge. – Wenn der Mensch sich noch so stark fortentwickelt und aus einem Gegensatz in den andern überzuspringen scheint: bei genaueren Beobachtungen wird man doch die Verzahnungen auffinden, wo das neue Gebäude aus dem älteren herauswächst. Dies ist die Aufgabe des Biographen: er muß nach dem Grundsatze über das Leben denken, daß keine Natur Sprünge macht.
199
Zwar reinlich. – Wer sich mit reingewaschenen Lumpen kleidet, kleidet sich zwar reinlich, aber doch lumpenhaft.
200
Der Einsame spricht. – Man erntet als Lohn für vielen Überdruß, Mißmut, Langeweile – wie dies alles eine Einsamkeit ohne Freunde, Bücher, Pflichten, Leidenschaften mit sich bringen muß – jene Viertelstunden tiefster Einkehr in sich und die Natur. Wer sich völlig gegen die Langeweile verschanzt, verschanzt sich auch gegen sich selber: den kräftigsten Labetrunk aus dem eigenen innersten Born wird er nie zu trinken bekommen.
201
Falsche Berühmtheit. – Ich hasse jene angeblichen Naturschönheiten, welche im Grunde nur durch das Wissen, namentlich das geographische, etwas bedeuten, an sich aber dem schönheitsdurstigen Sinne dürftig bleiben: zum Beispiel die Ansicht des Mont blanc von Genf aus – etwas Unbedeutendes ohne die zu Hilfe eilende Gehirnfreude des Wissens; die näheren Berge dort sind alle schöner und ausdrucksvoller – aber "lange nicht so hoch", wie jenes absurde Wissen, zur Abschwächung, hinzufügt. Das Auge widerspricht dabei dem Wissen: wie soll es sich im Widersprechen wahrhaft freuen können!
202
Vergnügungs-Reisende. – Sie steigen wie Tiere den Berg hinauf, dumm und schwitzend; man hatte ihnen zu sagen vergessen, daß es unterwegs schöne Aussichten gebe.
203
Zu viel und zu wenig. – Die Menschen durchleben jetzt alle zu viel und durchdenken zu wenig: sie haben Heißhunger und Kolik zugleich und werden deshalb immer magerer, so viel sie auch essen. – Wer jetzt sagt: "ich habe nichts erlebt" – ist ein Dummkopf.
204
Ende und Ziel. – Nicht jedes Ende ist das Ziel. Das Ende der Melodie ist nicht deren Ziel; aber trotzdem: hat die Melodie ihr Ende nicht erreicht, so hat sie auch ihr Ziel nicht erreicht. Ein Gleichnis.
205
Neutralität der großen Natur. – Die Neutralität der großen Natur (in Berg, Meer, Wald und Wüste) gefällt, aber nur eine kurze Zeit: nachher werden wir ungeduldig. "Wollen denn diese Dinge gar nichts zu uns sagen? Sind wir für sie nicht da?" Es entsteht das Gefühl eines crimen laesae СКАЧАТЬ