Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше страница 224

СКАЧАТЬ Or­ga­nis­mus vor­nehm­lich schäd­lich oder heil­sam ist. Die His­to­rie im Gan­zen, als das Wis­sen um die ver­schie­de­nen Kul­tu­ren, ist die Heil­mit­tel­leh­re, nicht aber die Wis­sen­schaft der Heil­kunst sel­ber. Der Arz­t ist erst recht noch nö­tig, der sich die­ser Heil­mit­tel­leh­re be­dient, um je­den in sein ihm ge­ra­de er­sprieß­li­ches Kli­ma zu sen­den – zeit­wei­lig oder auf im­mer. In der Ge­gen­wart le­ben, in­ner­halb ei­ner ein­zi­gen Kul­tur, ge­nügt nicht als all­ge­mei­nes Re­zept, da­bei wür­den zu vie­le höchst nütz­li­che Ar­ten von Men­schen aus­ster­ben, die in ihr nicht ge­sund at­men kön­nen. Mit der His­to­rie muß man ih­nen Luft ma­chen und sie zu er­hal­ten su­chen; auch die Men­schen zu­rück­ge­blie­be­ner Kul­tu­ren ha­ben ih­ren Wert. – Die­ser Kur der Geis­ter steht zur Sei­te, daß die Mensch­heit in leib­li­cher Be­zie­hung da­nach stre­ben muß, durch eine me­di­zi­ni­sche Geo­gra­phie da­hin­ter­zu­kom­men, zu wel­chen Ent­ar­tun­gen und Krank­hei­ten jede Ge­gend der Erde An­laß gibt, und um­ge­kehrt, wel­che Heil­fak­to­ren sie bie­tet: und dann müs­sen all­mäh­lich Völ­ker, Fa­mi­li­en und Ein­zel­ne so lan­ge und so an­hal­tend ver­pflanzt wer­den, bis man über die an­ge­erb­ten phy­si­schen Ge­bre­chen Herr ge­wor­den ist. Die gan­ze Erde wird end­lich eine Sum­me von Ge­sund­heits-Sta­tio­nen sein.

      Der Baum der Mensch­heit und die Ver­nunft. – Das, was ihr als Über­völ­ke­rung der Erde in grei­sen­haf­ter Kurz­sich­tig­keit fürch­tet, gibt dem Hoff­nungs­vol­le­ren eben die große Auf­ga­be in die Hand: die Mensch­heit soll ein­mal ein Baum wer­den, der die gan­ze Erde über­schat­tet, mit vie­len Mil­li­ar­den von Blü­ten, die alle ne­ben­ein­an­der Früch­te wer­den sol­len, und die Erde selbst soll zur Er­näh­rung die­ses Bau­mes vor­be­rei­tet wer­den. Daß der jet­zi­ge noch klei­ne An­satz dazu an Saft und Kraft zu­neh­me, daß in un­zäh­li­gen Kanä­len der Saft zur Er­näh­rung des Gan­zen und des Ein­zel­nen um­strö­me – aus die­sen und ähn­li­chen Auf­ga­ben ist der Maß­stab zu ent­neh­men, ob ein jet­zi­ger Mensch nütz­lich oder un­nütz ist. Die Auf­ga­be ist un­säg­lich groß und kühn: wir alle wol­len da­zu­tun, daß der Baum nicht vor der Zeit ver­fau­le! Dem his­to­ri­schen Kop­fe ge­lingt es wohl, das mensch­li­che We­sen und Trei­ben sich im Gan­zen der Zeit so vor die Au­gen zu stel­len, wie uns al­len das Amei­sen- We­sen mit sei­nen kunst­voll ge­türm­ten Hau­fen vor Au­gen steht. Ober­fläch­lich be­ur­teilt, wür­de auch das ge­sam­te Men­schen­tum gleich dem Ameis­en­tum von "In­stinkt" re­den las­sen. Bei stren­ge­rer Prü­fung neh­men wir wahr, wie gan­ze Völ­ker, gan­ze Jahr­hun­der­te sich ab­mü­hen, neue Mit­tel aus­fin­dig zu ma­chen und aus­zu­pro­bie­ren, wo­mit man ei­nem großen mensch­li­chen Gan­zen und zu­letzt dem großen Ge­samt-Frucht­bau­me der Mensch­heit wohl­tun kön­ne; und was auch im­mer bei die­sem Aus­pro­bie­ren die Ein­zel­nen, die Völ­ker und die Zei­ten für Scha­den lei­den, durch die­sen Scha­den sind je­des­mal ein­zel­ne klug ge­wor­den, und von ih­nen aus strömt die Klug­heit lang­sam auf die Maß­re­geln gan­zer Völ­ker, gan­zer Zei­ten über. Auch die Amei­sen ir­ren und ver­grei­fen sich; die Mensch­heit kann recht wohl durch Tor­heit der Mit­tel ver­der­ben und ver­dor­ren, vor der Zeit, es gibt we­der für jene, noch für die­se einen si­cher füh­ren­den In­stinkt. Wir müs­sen viel­mehr der großen Auf­ga­be ins Ge­sicht se­hen, die Erde für ein Ge­wächs der größ­ten und freu­digs­ten Frucht­bar­keit vor­zu­be­rei­ten, – ei­ner Auf­ga­be der Ver­nunft für die Ver­nunft!

      Das Lob des Unei­gen­nüt­zi­gen und sein Ur­sprung. – Zwi­schen zwei nach­bar­li­chen Häupt­lin­gen war seit Jah­ren Ha­der: man ver­wüs­te­te ein­an­der die Saa­ten, führ­te Her­den weg, brann­te Häu­ser nie­der, mit ei­nem un­ent­schie­de­nen Er­fol­ge im Gan­zen, weil ihre Macht ziem­lich gleich war. Ein Drit­ter, der durch die ab­ge­schlos­se­ne Lage sei­nes Be­sitz­tums von die­sen Feh­den sich fern­hal­ten konn­te, aber doch Grund hat­te, den Tag zu fürch­ten, an dem ei­ner die­ser hän­del­süch­ti­gen Nach­barn ent­schei­dend zum Über­ge­wicht kom­men wür­de, trat end­lich zwi­schen die Strei­ten­den, mit Wohl­wol­len und Fei­er­lich­keit: und im Ge­hei­men leg­te er auf sei­nen Frie­dens­vor­schlag ein schwe­res Ge­wicht, in­dem er je­dem ein­zeln zu ver­ste­hen gab, für­der­hin ge­gen den, wel­cher sich wi­der den Frie­den sträu­be, mit dem an­dern ge­mein­sa­me Sa­che zu ma­chen. Man kam vor ihm zu­sam­men, man leg­te zö­gernd in sei­ne Hand die Hän­de, wel­che bis­her die Werk­zeu­ge und all­zu­oft die Ur­sa­che des Has­ses ge­we­sen wa­ren, – und wirk­lich, man ver­such­te es ernst­lich mit dem Frie­den. Je­der sah mit Er­stau­nen, wie plötz­lich sein Wohl­stand, sein Be­ha­gen wuchs, wie man jetzt am Nach­bar einen kaufs- und ver­kaufs­be­rei­ten Händ­ler, an­statt ei­nes tücki­schen oder of­fen höh­nen­den Übel­tä­ters, hat­te, wie selbst, in un­vor­her­ge­se­he­nen Not­fäl­len, man sich ge­gen­sei­tig aus der Not zie­hen konn­te, an­statt, wie es bis­her ge­sche­hen, die­se Not des Nach­bars aus­zu­nut­zen und aufs höchs­te zu stei­gern; ja es schi­en, als ob der Men­schen­schlag in bei­den Ge­gen­den sich seit­dem ver­schö­nert hät­te: denn die Au­gen hat­ten sich er­hellt, die Stir­nen sich ent­run­zelt, al­len war das Ver­trau­en zur Zu­kunft zu ei­gen ge­wor­den,- und nichts ist den See­len und Lei­bern der Men­schen för­der­li­cher, als dies Ver­trau­en. Man sah ein­an­der alle Jah­re am Tage des Bünd­nis­ses wie­der, die Häupt­lin­ge so­wohl wie de­ren An­hang: und zwar vor dem An­ge­sicht des Mitt­lers, des­sen Hand­lungs­wei­se man, je grö­ßer der Nut­zen war, den man ihr ver­dank­te, im­mer mehr an­staun­te und ver­ehr­te. Man nann­te sie u­nei­gen­nüt­zig – man hat­te den Blick viel zu fest auf den ei­ge­nen, seit­her ein­ge­ern­te­ten Nut­zen ge­rich­tet, um von der Hand­lungs­wei­se des Nach­bars mehr zu se­hen, als daß sein Zu­stand in­fol­ge der­sel­ben sich nicht so ver­än­dert habe wie der ei­ge­ne: er war viel­mehr, der­sel­be ge­blie­ben, und so schi­en es, daß je­ner den Nut­zen nicht im Auge ge­habt habe. Zum ers­ten Male sag­te man sich, daß die Unei­gen­nüt­zig­keit eine Tu­gend sei: ge­wiß moch­ten im Klei­nen und Pri­va­ten sich oft­mals bei ih­nen ähn­li­che Din­ge er­eig­net ha­ben, aber man hat­te das Au­gen­merk für die­se Tu­gend erst, als sie zum ers­ten Male in ganz großer Schrift, les­bar für die gan­ze Ge­mein­de, an die Wand ge­malt wur­de. Er­kannt als Tu­gen­den, zu Na­men ge­kom­men, in Schät­zung ge­bracht, zur An­eig­nung an­emp­foh­len sind die mo­ra­li­schen Ei­gen­schaf­ten erst von dem Au­gen­bli­cke an, da sie sicht­bar über Glück und Ver­häng­nis gan­zer Ge­sell­schaf­ten ent­schie­den ha­ben: dann ist näm­lich die Höhe der Emp­fin­dung und die Er­re­gung der in­ne­ren schöp­fe­ri­schen Kräf­te bei vie­len so groß, daß man die­ser Ei­gen­schaft Ge­schen­ke bringt, vom Bes­ten, was je­der hat: der Erns­te legt ihr sei­nen Ernst zu Fü­ßen, der Wür­di­ge sei­ne Wür­de, die Frau­en ihre Mil­de, die Jüng­lin­ge al­les Hoff­nungs- und Zu­kunfts­rei­che ih­res We­sens; der Dich­ter leiht ihr Wor­te und Na­men, reiht sie in den Rei­gen­tanz ähn­li­cher We­sen ein, gibt ihr einen Stamm­baum und be­tet zu­letzt, wie es Künst­ler tun, das Ge­bil­de sei­ner Phan­ta­sie als neue Gott­heit an – er lehrt sie an­be­ten. So wird eine Tu­gend, weil die Lie­be und die Dank­bar­keit al­ler an ihr ar­bei­tet, wie an ei­ner Bild­säu­le, zu­letzt eine An­samm­lung des Gu­ten und Ver­eh­rungs­wür­di­gen, СКАЧАТЬ