Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше страница 172

СКАЧАТЬ durch­aus kei­ne Kro­ne der Schöp­fung: je­des We­sen ist, ne­ben ihm, auf ei­ner glei­chen Stu­fe der Voll­kom­men­heit … Und in­dem wir das be­haup­ten, be­haup­ten wir noch zu­viel: der Mensch ist, re­la­tiv ge­nom­men, das miß­rat­hens­te Thier, das krank­haf­tes­te, das von sei­nen In­stink­ten am ge­fähr­lichs­ten ab­ge­irr­te – frei­lich, mit al­le­dem, auch das in­ter­essan­tes­te! – Was die Thie­re be­trifft, so hat zu­erst Des­car­tes, mit ver­eh­rungs­wür­di­ger Kühn­heit, den Ge­dan­ken ge­wagt, das Thier als ma­china zu ver­stehn: uns­re gan­ze Phy­sio­lo­gie be­müht sich um den Be­weis die­ses Sat­zes. Auch stel­len wir lo­gi­scher Wei­se den Men­schen nicht bei Sei­te, wie noch Des­car­tes that: was über­haupt heu­te vom Men­schen be­grif­fen ist, geht ge­nau so weit, als er ma­chinal be­grif­fen ist. Ehe­dem gab man dem Men­schen, als sei­ne Mit­gift aus ei­ner hö­he­ren Ord­nung, den »frei­en Wil­len«: heu­te ha­ben wir ihm selbst den Wil­len ge­nom­men, in dem Sin­ne, daß dar­un­ter kein Ver­mö­gen mehr ver­stan­den wer­den darf. Das alte Wort »Wil­le« dient nur dazu, eine Re­sul­tan­te zu be­zeich­nen, eine Art in­di­vi­du­el­ler Re­ak­ti­on, die nothwen­dig auf eine Men­ge theils wi­der­spre­chen­der, theils zu­sam­men­stim­men­der Rei­ze folgt: – der Wil­le »wirkt« nicht mehr, »be­wegt« nicht mehr … Ehe­mals sah man im Be­wußt­sein des Men­schen, im »Geist«, den Be­weis sei­ner hö­he­ren Ab­kunft, sei­ner Gött­lich­keit; um den Men­schen zu vollen­den, rieth man ihm an, nach der Art der Schild­krö­te die Sin­ne in sich hin­ein­zu­ziehn, den Ver­kehr mit dem Ir­di­schen ein­zu­stel­len, die sterb­li­che Hül­le ab­zut­hun: dann blieb die Haupt­sa­che von ihm zu­rück, der »rei­ne Geist«. Wir ha­ben uns auch hier­über bes­ser be­son­nen: das Be­wußt­wer­den, der »Geist«, gilt uns ge­ra­de als Sym­ptom ei­ner re­la­ti­ven Un­voll­kom­men­heit des Or­ga­nis­mus, als ein Ver­su­chen, Tas­ten, Fehl­grei­fen, als eine Müh­sal, bei der un­nö­thig viel Ner­ven­kraft ver­braucht wird, – wir leug­nen, daß ir­gend Et­was voll­kom­men ge­macht wer­den kann, so lan­ge es noch be­wußt ge­macht wird. Der »rei­ne Geist« ist eine rei­ne Dumm­heit: rech­nen wir das Ner­ven­sys­tem und die Sin­ne ab, die »sterb­li­che Hül­le«, so ver­rech­nen wir uns – wei­ter nichts!« …

      *

      15.

      We­der die Moral noch die Re­li­gi­on be­rührt sich im Chris­tent­hu­me mit ir­gend ei­nem Punk­te der Wirk­lich­keit. Lau­ter ima­gi­näre Ur­sa­chen (»Gott«, »See­le«, »Ich«, »Geist«, »der freie Wil­le« – oder auch »der un­freie«); lau­ter ima­gi­näre Wir­kun­gen (»Sün­de«, »Er­lö­sung«, »Gna­de«, »Stra­fe«, »Ver­ge­bung der Sün­de«). Ein Ver­kehr zwi­schen ima­gi­nären We­sen (»Gott«, »Geis­ter«, »See­len«); eine ima­gi­näre Na­tur­wis­sen­schaft (an­thro­po­cen­trisch; völ­li­ger Man­gel des Be­griffs der na­tür­li­chen Ur­sa­chen); eine ima­gi­näre Psy­cho­lo­gie (lau­ter Selbst-Miß­ver­ständ­nis­se, In­ter­pre­ta­tio­nen an­ge­neh­mer oder un­an­ge­neh­mer All­ge­mein­ge­füh­le, zum Bei­spiel der Zu­stän­de des ner­vus sym­pa­thi­cus, mit Hül­fe der Zei­chen­spra­che re­li­gi­ös-mo­ra­li­scher Idio­syn­kra­sie, – »Reue«, »Ge­wis­sens­biß«, »Ver­su­chung des Teu­fels«, »die Nähe Got­tes«); eine ima­gi­näre Te­leo­lo­gie (»das Reich Got­tes«, »das jüngs­te Ge­richt«, »das ewi­ge Le­ben«). – Die­se rei­ne Fik­ti­ons-Welt un­ter­schei­det sich da­durch sehr zu ih­ren Un­guns­ten von der Traum­welt, daß letz­te­re die Wirk­lich­keit wie­der­spie­gelt, wäh­rend sie die Wirk­lich­keit fälscht, ent­wert­het, ver­neint. Nach­dem erst der Be­griff »Na­tur« als Ge­gen­be­griff zu »Gott« er­fun­den war, muß­te »na­tür­lich« das Wort sein für »ver­werf­lich«, – jene gan­ze Fik­ti­ons-Welt hat ihre Wur­zel im Haß ge­gen das Na­tür­li­che (– die Wirk­lich­keit! –), sie ist der Aus­druck ei­nes tie­fen Miß­be­ha­gens am Wirk­li­chen … Aber da­mit ist Al­les er­klärt. Wer al­lein hat Grün­de, sich weg­zulü­gen aus der Wirk­lich­keit? Wer an ihr lei­det. Aber an der Wirk­lich­keit lei­den heißt eine ver­un­glück­te Wirk­lich­keit sein … Das Über­ge­wicht der Un­lust­ge­füh­le über die Lust­ge­füh­le ist die Ur­sa­che je­ner fik­ti­ven Moral und Re­li­gi­on: ein sol­ches Über­ge­wicht giebt aber die For­mel ab für dé­ca­dence

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      16.

      Zu dem glei­chen Schlus­se nö­thigt eine Kri­tik des christ­li­chen Got­tes­be­griffs. – Ein Volk, das noch an sich selbst glaubt, hat auch noch sei­nen eig­nen Gott. In ihm ver­ehrt es die Be­din­gun­gen, durch die es oben­auf ist, sei­ne Tu­gen­den, – es pro­ji­cirt sei­ne Lust an sich, sein Macht­ge­fühl in ein We­sen, dem man da­für dan­ken kann. Wer reich ist, will ab­ge­ben, ein stol­zes Volk braucht einen Gott, um zu op­fern … Re­li­gi­on, in­ner­halb sol­cher Voraus­set­zun­gen, ist eine Form der Dank­bar­keit. Man ist für sich sel­ber dank­bar: dazu braucht man einen Gott. – Ein sol­cher Gott muß nüt­zen und scha­den kön­nen, muß Freund und Feind sein kön­nen, – man be­wun­dert ihn im Gu­ten wie im Schlim­men. Die wi­der­na­tür­li­che Ca­stra­ti­on ei­nes Got­tes zu ei­nem Got­te bloß des Gu­ten läge hier au­ßer­halb al­ler Wünsch­bar­keit, Man hat den bö­sen Gott so nö­thig als den gu­ten: man ver­dankt ja die eig­ne Exis­tenz nicht ge­ra­de der To­le­ranz, der Men­schen­freund­lich­keit … Was läge an ei­nem Got­te, der nicht Zorn, Ra­che, Neid, Hohn, List, Ge­walt­t­hat kenn­te? dem viel­leicht nicht ein­mal die ent­zücken­den ar­deur­s des Siegs und der Ver­nich­tung be­kannt wä­ren? Man wür­de einen sol­chen Gott nicht ver­stehn: wozu soll­te man ihn ha­ben? – Frei­lich: wenn ein Volk zu Grun­de geht; wenn es den Glau­ben an Zu­kunft, sei­ne Hoff­nung auf Frei­heit end­gül­tig schwin­den fühlt; wenn ihm die Un­ter­wer­fung als ers­te Nütz­lich­keit, die Tu­gen­den der Un­ter­wor­fe­nen als Er­hal­tungs­be­din­gun­gen in’s Be­wußt­sein tre­ten, dann muß sich auch sein Gott ver­än­dern. Er wird jetzt Duck­mäu­ser, furcht­sam, be­schei­den, räth zum »Frie­den der See­le«, zum Nicht-mehr-has­sen, zur Nach­sicht, zur »Lie­be« selbst ge­gen Freund und Feind. Er mo­ra­li­sirt be­stän­dig, er kriecht in die Höh­le je­der Pri­vat­tu­gend, wird Gott für Je­der­mann, wird Pri­vat­mann, wird Kos­mo­po­lit … Ehe­mals stell­te er ein Volk, die Stär­ke ei­nes Vol­kes, al­les Ag­gres­si­ve und Macht­durs­ti­ge aus der See­le ei­nes Vol­kes dar: jetzt ist er bloß noch der gute Gott … In der That, es giebt kei­ne and­re Al­ter­na­ti­ve für Göt­ter: ent­we­der sind sie der Wil­le zur Macht – und so lan­ge wer­den sie Volks­göt­ter sein –, oder aber die Ohn­macht zur Macht – und dann wer­den sie nothwen­dig gut …

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      17.

      Wo in ir­gend wel­cher Form der Wil­le zur Macht nie­der­geht, giebt es je­des­mal auch einen phy­sio­lo­gi­schen Rück­gang, eine dé­ca­dence. Die Gott­heit der dé­ca­dence, be­schnit­ten an ih­ren männ­lichs­ten Tu­gen­den und Trie­ben, wird nun­mehr nothwen­dig zum Gott der phy­sio­lo­gisch– Zu­rück­ge­gan­ge­nen, der Schwa­chen. Sie hei­ßen sich selbst nicht die Schwa­chen, sie hei­ßen sich »die Gu­ten« … Man ver­steht, ohne daß ein Wink noch noth thä­te, in wel­chen Au­gen­bli­cken der Ge­schich­te erst die dua­lis­ti­sche Fik­ti­on ei­nes gu­ten und ei­nes bö­sen Got­tes mög­lich wird. Mit dem­sel­ben In­stink­te, mit dem die Un­ter­worf­nen ih­ren Gott СКАЧАТЬ