Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf
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Читать онлайн книгу Leiden und Freuden eines Schulmeisters - Jeremias Gotthelf страница 22

СКАЧАТЬ sah ich mich wieder des Morgens ein gut Kaffee machen, sah mich des Mittags bröselen in der Küche, sah wie die Blutwürste zischten, die Bratwürste brasselten, und den Säubrägel roch ich! O es ging mir bereits durch Mark und Bein, und das Wasser quoll mir im Munde empor und zu beiden Ecken heraus.

      Ich hätte es gehabt, wenn ich in diesen Augenblicken zum Reden gekommen wäre, wie jener barfüßige Junge. Der erzählte mit ganz wundersamer Beredsamkeit, wie herrlich Bratis sei. Die andern Barfüßler, die den kleinen Prediger umringten, vergaßen Mund und Nasen offen, und endlich ermannte sich einer aus tiefem Erstaunen empor und fragte: »Hesch afe gha?« »Ne«, antwortete der kleine Redner, »aber myner Großmueter Bruederssohn bi-mene Haar — er het‘s afe gfchmöckt!« So roch ich und dachte mich dann essend, ohne daß jemand das Beste mir vorwegnahm, sah wie ich die Reste versorgte im Küchegänterli, wie ich des Nachmittags herausging und mit einem Zöpfli Brägelwurst mir den Mund salbte, und des Abends die Blutwürste mir zu Gemüte führte. Das alles sah ich und noch anderes mehr, das ich nicht einmal sagen will; ich würde sonst rot und meine Frau hätte es ungern.

      Und wenn ich dann so recht ins Denken, Sehen und Riechen kam und es mir ward, als hätte ich es schon zwischen den Zähnen und die Hände unwillkürlich ruhten oder nach dem Munde fuhren, da fuhr ich unsanft aus den schönen Träumen empor, erweckt durch Stimme oder Faust des Vaters, die beide so unsanft als möglich waren und mit Fluchen und Püffen nicht sparsam. Dann fuhr ich empor und ließ das Schifflein fliegen; aber wenn der Vater dann Webernester sah und Faden zerrissen an der Zetti, dann ging Donner und Prügelwetter erst an, und er wollte wissen, warum ich nicht mehr sehen und schmöcken könne. Ach! er wußte nicht, daß ich beides konnte nur zu gut, aber auf andere Weise als er wollte. Er wurde immer böser über mich und mißhandelte mich immer mehr, und je wüster er that, desto sehnsüchtiger und handgreiflicher wurden meine Träume, desto schlimmer machte ich meine Arbeit.

      So saß ich auf meinem Webstuhle brütend über meinen Gedankeneiern. Alle Tage legte ich neue zu den alten; der Kopf war zum Zersprengen angefüllt damit; allein ausbrüten konnte ich sie nicht. Ich glaube, ich säße noch heute auf dem Webstuhle, und brütete, wenn nicht der Schulmeister darab mich erlöst und der Brut Luft gemacht hätte.

      An einem Samstag abends — die ermatteten Bäume streuten schon ihre ergelbten Blätter über die ergraute kahl gewordene Erde aus — wohl die altertümlichste Perücken-Art — sah ich den treuen Alten am Hause vorbeigehen dem Wäldchen zu. Ich sah ihm wohl nach durch die in allen Regenbogenfarben schimmernden Fenster; aber ihm nachzugehen fiel mir nicht ein. Nach einiger Zeit hörte ich ihn reden mit meiner Schwester am Brunnen, die ein Nastuch wusch für den morndrigen Tanzsonntag; denn an einem solchen schickt es sich doch nicht wohl in die Scheube zu schneuzen. Ich ging aber wieder nicht hinaus; dachte freilich bei mir selbsten: »Ach, wenn er nume-n-öppe-n-öppis wüßt«. Sie redeten lange mit einander — aber ich ging nicht hinaus. Endlich wurde er ungeduldig, fragte nach mir, kam zu mir in den Keller, und das erste, was er mir sagte, war: »Peter, bisch doch e donstigs Lümmel, schmückst u merkst de gar nüt meh? Hesch nit däicht, i heig dr neuis z‘säge u hesch mr nit chönne nah cho? Ich, we d‘furt chunst, so merke si, daß i dr ghulfe ha u de cha-n-i luege was i abzthue heig. Chumm morn na‘m Z‘immißesfe zue mr, mr wei de neue hi ...« Mehr konnte er nicht sagen, denn die Mutter kam schon nach, um zu hören, was wir mit einander zu verhandeln hätten.

      Was ich nun da für eine gwundrige Nacht verbrachte, und wie die frühern Träume sich kreuzten und drängten und dann mit mancherlei Vermutungen über den Ort und die Besoldung sich mischten — wer kann sich das wohl recht vorstellen?

      Endlich brach der Morgen an; aber langsam schlich er vorüber, und die Mutter lyrete mit dem Mitagessen, daß es ein Grus war. Ich schlich einige Male aus dem Keller, wenn ich hörte, daß die Mutter in der Stube war, und legte einige Scheiter ins Feuer, damit schneller gekocht sei; allein umsonst, man mußte dem Vater warten, der z‘Chile war. Der Pfarrer hielt die Schulpredigt und die dauerte gewöhnlich länger als andere.

      Mit verwunderten Blicken sah man mich an, als ich mit dem Sonntagsrock am Leibe fortgehen wollte. Ich war sonst so treulich zu Hause, besonders des Sonntags. Die Mutter wollte zu branzen anfangen, allein der Vater sagte: »Lah-n-e doch laufe, vrsufe wird er allweg nit ds Tüfels Bieli«. Der Schulmeister war bereits z‘weg, und unterwegs erzählte er mir: er führe mich zu dem Schulmeister nach Y, der eine gar große Schule habe und nicht mehr der chechst sei. Daher habe die Gemeinde ihm 10 Kronen versprochen, wenn er einen Gehülfen anstelle durch den Winter, und ihm dann zu essen gebe und ds Gliger. Der Schulmeister hätte sich dazu verstanden, weil er müßte, und wolle es heute mit mir machen. Das Ding war mir doch nicht ganz recht so. Ich hatte mich selbständig gedacht, allein in einer Schulstube; der dienstbaren Verhältnisse hatte ich satt. Ich muckelte meine Gedanken meinem Begleiter: ich hätte lieber eine Schule allein für mich. Allein er ließ mir nichts darausgehen, meinte, für den Anfang sei das lange gut genug, ja ein wahres Glück für mich. Die ersten drei Jahre hätte er Schule gehalten um die Kost und ein paar Schuhe, u es syg ihm nie bas gsi als z‘selbisch. Dawider konnte ich nichts sagen, und wenn ich schon etwas gesagt hätte, so hätte es wenig geholfen; denn wenn der Schulmeister einmal etwas angefangen, so setzte er nicht sobald ab, weder ein Glas noch ein Unternehmen.

      Vor dem Schulhause sitzend fanden wir das schulmeisterliche Ehepaar, beide noch in bestem Alter, ihn schwindsüchtig auf der Brust und kybig im Gesichte. Unser Handel wurde nicht alsobald richtig. Er glaubte wahrscheinlich, wir wüßten nichts von den 10 Kronen und bot zuerst nur die Kost, dann Krone um Krone nach, bis er endlich mit allen heraus mußte. Da jammerte er gar sehr, wie übel es ihm gehe, und er hätte lieber einen Kleinern gehabt — so-n-e große, wie ich sei, möge gar viel essen. Dafür begann er einzumärten, daß ich ihm auch zwischen den Schulzeiten im Hause und im Stall helfe, was es ergeben möge. Mein Alter fragte mich nicht lange: ob das mir anständig sei? sondern sagte zu, und bestimmte den Sonntag nach Martini zu meinem Antrittstage. Und nach eingenommenem Kaffee wanderten wir heim — er sehr redselig, ich sehr schweigsam.

      Zehntes Kapitel. Der Abschied

      Mir war bange. Die Leute, zu denen ich kommen sollte, gefielen mir nicht recht, und daß ich nebenbei noch arbeiten sollte, behagte mir auch nicht. Nicht daß ich die Zeit für etwas anderes, etwa für meine Fortbildung, zu gebrauchen gewußt hätte: wie sollte damals einer, der beidweg lesen und schreiben und rechnen konnte (mit Ausnahme einiger großer Buchstaben und einigen Bedenklichen beim Multiplizieren und Dividieren) an Fortbildung gedacht haben! Fortbildung ist ein ganz neu entdecktes Wort, und darum noch nicht von allen begriffen, und von denen vielleicht am wenigsten, die es am meisten gebrauchen. Aber am meisten lag mir auf dem Herzen die Angst: wie wegkommen von meinen Leuten, wie es ihnen sagen, daß ich nicht mehr ihr Narr und Sklave sein wolle? Was wird die Mutter sagen, wie wird der Vater thun, wenn sie es vernehmen? wer soll es ihnen sagen? Während ich so sann und fast reuig ward, redete der Alte immer fort, aber was, weiß ich nicht. Endlich merkte er, daß ich nicht auf ihn achte und ein betrübt verblüfft Gesicht mache. Ich gestund ihm meine Sorge. Er lachte dazu und meinte: »Fressen werden sie dich nicht, u ds Balgen bist du gewohnt, und wenn‘s Prügel gibt, so wird es auch nicht das erste Mal sein — und dann hast du um so mehr Recht fortzugehen. Noch heute mußt du es ihnen sagen. Es macht sich am besten; es würde dir alle Tage schwerer werden. Wenn du heim kommst, werden sie mit dir aufbegehren — da wirf ihnen gleich den Bündel vor die Thüre. Aber Guraschi mußt du haben dazu; darum komm, mr wei no-n-e Halbi ha —« und aus einer wurden zwei. Als ich sie getrunken hatte, zitterte ich nicht mehr; mir bangte nicht mehr, gar aufrecht stund ich da, schief saß mir die Kappe auf einem Ohr, trutziglich schauten die Augen drein, und schalkhaft lachte der Alte und sagte: »So gfallst mr, gang jetz ume«.

      Es ist kurios, wie der Mensch, in dem der Geist nicht eine besondere Macht übt, sich gestaltet und gebärdet bald so bald anders, je nachdem er etwas im Leibe hat oder auf demselben. Das bedenken die Menschen selten, sind deswegen selten behutsam gegen sich und billig gegen andere. Lustig ist‘s, wenn der Weingeist im Leibe СКАЧАТЬ