Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf
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Читать онлайн книгу Leiden und Freuden eines Schulmeisters - Jeremias Gotthelf страница 19

СКАЧАТЬ Kreuzer an einem Orte erspart werden, entweder am Kaffee der Frau oder an den Schoppen des Mannes. Kinder sind oft eine Last, und je mehr Kinder, desto größer und fühlbarer wird sie.

      Nun herrscht aber unter dieser Klasse von Menschen eine ganz eigene Offenheit. Da weiß man noch wenig davon, unter sich die Gefühle zu verstecken und mit erkünstelter Miene Gefühle der Zärtlichkeit und Liebe zu heucheln, wenn sie nicht da sind. Da sagt z. B. eine Tochter ganz offenherzig vor ihrem kranken Vater: Wir beten alle Tage, daß er bald sterben könne; es ginge ihm und uns wohl. Und der alte Mann nimmt das gar nicht übel, er findet es ganz natürlich; denn er ist eine Last und einer solchen wünscht man los zu sein — das weiß er aus eigener Erfahrung. So sagt ein Mann am Krankenbett seines Weibes ohne Hehl: »In Gottes Namen, wenn es muß gestorben sein, so wollte ich, es geschähe bald; es ginge ihre wohl und uns nicht übel. Unsereiner hat, weiß Gott, nicht der Zeit, immer da in der Stube zu sein; es ist gar viel zu werchen da draußen, und öpper apartigs anstellen mag man auch nicht«. Das Weib macht dabei nicht mucks, denkt vielleicht an den Kabisblätz, der gejätet werden sollte und nun wegen seiner Krankheit ungejätet bleibt, so daß es eine Schande sei für das ganze Haus und es sich noch im Tode schämen müsse deretwegen. Mit der gleichen Offenheit drücken sich die Eltern gegen ihre Kinder über die Last aus, die sie an ihnen zu haben glauben, wie ich schon vorhin von meinen Eltern bemerkt habe. »Mi isch doch e plogte Mönsch, we me Ching het; o mi weiß nit, wie wohl es eim isch, we me keni Ching het« — das sind Redensarten, die man tagtäglich in einer Menge Häuser hören kann. Diese Redensarten bleiben nicht wirkungslos beim Kinde, wenn es sich der Wirkung schon nicht bewußt ist; auf alle Fälle entbehrt es der wahrhaften Liebe, welche Liebe wecket. Doch dieses ist noch nicht die schlimmste Seite dieser elterlichen Selbstsucht, sondern das Bestreben der Eltern ist es, durch die Kinder selbst sich diese Last erleichtern zu helfen, ja es bis zum Guthaben zu bringen. Dieses selbstsüchtige Bestreben ist aber meistens eitel, und wird vereitelt durch die im Kinde erzeugte Selbstsucht. Selbstsucht aber trennt; nur Liebe ist das Band, das unauflöslich ist und Kinder zu Trost und Freude an die Eltern bindet.

      Das Bestreben der Eltern geht also sichtbarlich darauf aus, sich durch die Kinder die Last erleichtern, abnehmen zu lassen, derselben Kräfte sobald möglich zu ihrem, der Eltern Nutzen auszubeuten. Die gar beschränkten Eltern bekümmern sich gar nicht um die Ausbildung der Kräfte ihrer Kinder, überlassen dieselben durchaus sich selbst und geben sich nicht die geringste Mühe, die Kinder zu befähigen, sich mit Ehren in der Welt fortzuhelfen. Diese verschiedene Handlungsweise entspringt aus der gleichen Quelle, aus der Selbstsucht, nur galtet sie sich entweder mit der Schlauheit oder mit bestialischer Trägheit. Bei den ersten Eltern müssen die Kinder arbeiten, arbeiten oft über Vermögen, aber es ist die Arbeit eines Ochsen, eines Esels unter der Peitsche des Meisters. Die Faust oder Flüche sind Lehrmeister und zwingen zu mechanischer Verrichtung des Aufgegebenen. Vom Erwecken des Verstandes, des eigenen Denkens, überhaupt der geistigen Kräfte, ist keine Rede. Will man einen solchen Vater anhalten, sein Kind schulen, geistig wecken zu lassen, so antwortet er wohl: er vermöge nicht sein Kind alle Tage in die Schule zu schicken, es müßte ihm arbeiten; er könne keinen Reichtum hinterlassen, es müßte einst seinen Unterhalt verdienen. Und da frage der Bauer nicht: Chast bete; sondern: Chast arbeite? Gerade also wie man bei einer Kuh fragt: ob sie ziehen könne und auf welcher Seite? Die künftige Befähigung zur Arbeit ist aber gar nicht der Zweck dieser Eltern, sondern nur die gegenwärtige Benutzung ist ihr Augenmerk. Sie thun also eigentlich gar nichts für das Kind, sondern sie sorgen nur für sich. Und gar mancher Vater oder Mutter verthun in wüstem Leben, was die Kinder mit sauerm Schweiß erworben, und lassen es sich recht wohl sein auf Kosten der Kinder. Und auf gemachte Vorwürfe antworten sie wohl: es müeß es nieders zu-n-im selber luege; sie heige Chingsthalb lang bös gha, sie welle-ne jetz o la bas sy. Die andern, welche ihre Kinder nicht einmal zur Arbeit halten, schicken sie doch gewöhnlich dem Bettel nach. Ob das Kind stehle oder nicht, das bekümmert sie gar nicht, wenn es ihnen nur etwas heimbringt. Das Beste davon lesen sie dann aus für sich, mit dem Übrigen kann das Kind sich begnügen.

      So wird das Kind von Jugend auf am Busen der Selbstsucht auferzogen, das Tier wird genährt in ihm, um den Engel bekümmert man sich nicht. Es fehlt also die rechte kindliche Liebe und auch die Dankbarkeit stellt sich nicht ein. Denn die kommt da niemals, wo man einem alle Tage Wohlthaten vorhält. Sie ist eine gar wunderliche Pflanze; sobald man ihren Wachstum erzwingen will, verdorret sie. Auf die natürlichste Weise von der Welt wächst im Kinde ebenfalls die Selbstsucht. So wie es größer wird, fängt es an zu denken: es müsse auch zu sich selbsten sehen, bei den Eltern komme es nicht zu Gelde, so manches erregte Gelüsten zu befriedigen, nicht einmal zu ordentlichen Kleidern. Es sei nicht billig, daß es alles dargeben solle für die andern, ohne daß ihm ›Danke Gott‹ dafür gesagt werde. Diese Gedanken regen sich weit früher als man glaubt. Schon das Bettlerkind ißt die besten Bissen, verthut die meisten Kreuzer, ehe es heim kömmt, gibt den Eltern je länger je weniger ab. Diese Gedanken werden aber immer mächtiger, legen sich immer feindseliger zwischen Eltern und Kinder, bis die erstern von den letztem entweder ausgesogen oder verlassen sind. So wie früher die Kinder den Eltern Plage und Last waren, so werden die Eltern den Kinbern Plage und Last, die sie so ungern als möglich tragen, so schnell als möglich von sich ab auf die Gemeinde wälzen, um zu sich selbsten zu sehen.

      Wie Liebe die Liebe zahlt, so zahlt auch Selbstsucht die Selbstsucht mit gleicher Münze. Wirklich ist es oft recht schauerlich, die Hartherzigkeit der Kinder zu sehen, zu sehen, wie sie unbewegt und ungerührt der Eltern Not und Elend zusehen können, ohne sich im Geringsten etwas abzubrechen. Aber eben so schauerlich wäre es gewesen, wenn man früher zugesehen und der Erziehung oder vielmehr Verwahrlosung dieser Kinder mit aufmerksamem Auge gefolgt wäre. Über solche hartherzige gefühllose Kinder erhebt nun die Welt ein Geschrei, die Eltern schimpfen, die Gemeinde oder wenigstens die, welche teilen müssen, begehren auf, und alle klagen über die gottlose Zeit, und daß es allbets nicht so gewesen, daß Welt und Leute immer schlechter würden. Aber eines bedenken alle diese Schreier nicht: daß jede Wirkung eine Ursache, jeder Baum seine Wurzeln, jede Erscheinung ihre vorbereitenden Vorgänge habe. So ist diese Zeit, in welcher wir leben, von einer früheren geboren, und die in ihr hervortretenden Erscheinungen sind Kinder der Vergangenheit. Aber auch diese Zeit zeuget fort und fort an dem Kommenden und die Zukunft wird Zeugnis ablegen: ob das, was unsere Zeit geboren und der Zukunft überliefert, nicht edlerer Art sei, als was die letzte Vergangenheit uns als Erbteil Übermacht hat und was jetzt in der Masse hervortritt.

      Die frühere Zeit, für uns Schweizer die Helvetik, ist die Mutter der Irreligiosität, der Lauheit in allen höhern Interessen, der eigennützigen sinnlichen Gemeinheit, welche heute so häufig im Familienleben und in den Ratssälen hervortrittet; die Helvetik ist die natürliche Tochter der verwesenden Aristokratie, von dieser aber natürlicherweise nicht anerkannt, nicht legitim erklärt. Schon sieht man viele in stummem Zorne bleich oder in edler Scham rot gewordene Gesichter vor der zu Tage getretenen Gemeinheit sich abwenden, und diese blaßroten Gesichter sind die Morgenröte neuer Tage, die Erzeuger reinerer Erscheinungen.

      Aus dieser etwas weitläufig geratenen Durchführung wird hoffentlich männiglich klar geworden sein, daß an dem ganz natürlichen aber nicht christlichen Betragen vieler Kinder die Eltern eine große Schuld tragen. Für arme Eltern ist es allerdings viel schwerer als für reiche, von dieser Selbstsucht sich fern zu halten, die durch die Kinder verursachten Opfer freudig zu bringen, die Entbehrungen geduldig zu tragen, den Kindern nichts anders zu zeigen als treue Liebe, und aus dem ganzen Betragen hervorleuchten zu lassen den innigsten Wunsch: zu sorgen für ihr künftiges zeitliches und ewiges Wohl. Aber das Leben hienieden ist ein Kampf und es wird niemand gekrönet, er kämpfe denn recht. Und wie dem Reichen Kämpfe anderer Art bereitet sind, so findet sie der Arme außer sich, besonders in seinen nächsten Umgebungen, im heiligen Familienkreise und in sich mit der einfachen und also kenntlicher hervortretenden Selbstsucht. Das ist sein Saatfeld, und was einer säet, wird er auch ernten; wer ernten will, ehe er treulich ausgesäet, ist eben ein Thor, und wird zur Erntezeit heulend und zähneklappend am verödeten Acker stehen. Nichts anders also als innigere Religiosität, eine klarere lebendigere Auffassung der Bestimmung des Menschen und ihrer Verhältnisse unter einander wird auch diese Quelle der sich vermehrenden Armenlasten versiegen СКАЧАТЬ