Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf
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Читать онлайн книгу Leiden und Freuden eines Schulmeisters - Jeremias Gotthelf страница 20

СКАЧАТЬ in Liebe zu verbinden zu mächtiger Anstrengung und gegenseitiger Hülfsleistung. Man mag daher in Wirtshäusern und Ratssälen lange kannengießern über Armenwesen und Armengesetze, man drescht nur leeres Stroh so lange, bis die Schoppentrinker und Ratsherren zur Einsicht kommen, daß ächt christlicher Sinn im Hause, in der Gemeinde, im Staate das erste Heilmittel alles überall hervortretenden Übels ist; und bis sie mit ihrem Beispiele vorangehen, sind alle ihre Reden umgekehrte Windbüchsen, d. h. sie knallen tüchtig, treffen aber nichts.

      Bin ich nun wohl nicht entschuldigt, wenn die kindliche Liebe erlosch, wenn ich die Pflicht vergaß, Stütze der Eltern zu sein, und nur an mich selbst zu denken anfing, weil niemand anders an mich dachte. Das an mich denken bestund aber nicht sowohl darin, daß ich mir Pläne machte, etwas für mich selbst zu beginnen; dazu fehlte mir die Spannkraft der Seele, die Energie, die ich früher, als ich mit dem Götti drohte, in höherem Grade besessen. Und wenn ich schon wünschte, aus diesem Elend wegzukommen, so wußte ich weder wie, noch was beginnen. Die Weberei war mir grenzenlos erleidet, wie jede Arbeit erleiden muß, bei der man nur ausgescholten wird und nichts davon hat.

      Nun konnte ich aber wenig anders als weben, und zum Herdknecht fehlte mir Geschick und besondere Lust. Es gibt Stimmungen im Menschenleben, wo man zu gar nichts mehr Lust hat, und das sind wohl die trübseligsten. Des Morgens erwachte ich mit Eckel an der Arbeit, zu der ich mußte; bei jeder Elle, die ich wob, dachte ich an den Lohn dafür, was der Vater damit anfangen, wie die Mutter ihn brauchen werde, und was ich wohl daraus kaufen, genießen könnte. Aber am traurigsten war ich, wie gesagt, des Sonntags, wenn ich so einsam blieb mit dem verlangenden Herzen, mit meinen trüben Gedanken alleine. O das ist wohl das Traurigste, wenn es trübe wird außer uns und in uns, wenn Mißgeschick, Unglück, eine harte Lage auf uns drücken und diese das Gemüt verfinstern, den lieben Sonnenschein des Frohsinns uns nehmen, wenn das Herz der Spiegel wird des äußern Schicksals. Da ist dann Trübseligkeit ringsum, kein Trost, keine Hoffnung mehr. Es giebt Menschen, die in der glückseligsten Lage finster werden in sich, es ist eine Krankheit des Gemütes, zuweilen gerade Folgen allzu großer Sättigung, allzu reichlichen Genusses ihrer Glücksgüter. Sie sind zu bedauern, daß ihnen die Kraft der Seele fehlt, die Finsternis zu verjagen; aber ihr Unglück ist doch nicht so groß als jenes, wo mit der innern Not noch die äußere sich gattet. Aber wie glücklich der Mensch wohl wäre, wenn er sein Inwendiges unabhängig bewahren könnte von dem wechselnden Geschick, wenn er in jeder Lage froh und freudig bleiben könnte im Bewußtsein, daß jede aus des lieben Gottes lieber Hand kömmt!

      Wäre dieses nicht die wahre Unabhängigkeit, köstlicher als Silber und Gold? Würden an ihr nicht die Worte Unglück und Mißgeschick ihre Bedeutung verlieren? Wäre das wohl nicht der glücklichste Mensch, der sie besitzt? Ist sie aber möglich? Dem Christen ist sie verheißen; es ist der Friede Gottes, der über allen Verstand geht. Aber ich armes Weberknechtlein besaß sie nicht, ich kannte sie nicht, und doch konnte ich alle Fragen und das halbe Testament auswendig. Jetzt kenne ich sie und ringe darnach. Aber diese Siegeskrone des Kampfes, die Gott schon im zeitlichen Leben bietet, hängt gar hoch oben, und an die Füße hängt sich mit Bleigewicht der irdische Sinn und die irdische Not. Aber ich verzweifle nicht.

      Achtes Kapitel. Wie ein alter Freund dem armen Weberknechtlein einen Ausweg zeigt

      So waren zwei Jahre vorbeigeschlichen, seit ich am Huldigungstage meine 12½ Batzen verthan, einen besudelten Kopf, versudelte Kleider und ein ödes Herz heimgebracht hatte. Der Sommer war heraufgezogen und brannte heiß auf die Erde. Ein Sonntag stund im Kalender. Der Vater war am Morgen früh um eine Kuh ausgegangen, da die unsrige übergänt geworden war. In den Webkeller hatte ich eigentlich gehen sollen, aber es widerte mir davor. Der Mutter gehorchte ich nicht, und der Vater konnte mich nicht hineinjagen, weil er fort war. Da wandelte mich auf einmal das Gelüsten an, wieder zur Kirche zu gehen, was lange, lange nicht geschehen war. Denn weben ging dem Vater vor beten, besonders wenn ein anderer weben mußte.

      Ich suchte also meinen Sonntagsstaat zusammen, streckte die lang gewordenen Glieder durch die gleich gebliebenen Kleider, weit hinaus in die freie Luft, und wanderte getrost trotz dem Schelten der Mutter und ihren Drohungen: sie werde es dem Vater sagen — der Kirche zu. Es that mir so wohl, zu Leuten zu können auch ohne Geld.

      Auch das Sein in der Kirche erquickte mich. Die Orgel klang mir so voll und schön ins Herz hinein, das Gebet that mir so wohl, und während der Predigt vergaß ich mich selbst und erbaute mich gar inniglich an kräftigen Worten von Gottes Macht und Herrlichkeit; ich glaubte mich in einer andern Welt. Aber als die Orgel zum letztenmal erklang und ihre Töne majestätisch verrauschten, als die Thüren aufgingen und ich wieder aus der Kirche sollte, wo mir so wohl gewesen, heim in die Welt, wo mir so übel war, da ward mir weh ums Herz. Und weinen hätte ich mögen, als ich über die Schwelle schritt und denken mußte: wie manche lange Woche, wie manchen langen Monat geht es wohl, bis ich wieder hin kann aus dem Sündenhaus in das Gotteshaus? Wie ich so trübselig über den Kirchhof schritt, da griff mich mein alter Schulmeister auf, den ich lange nicht gesehen und jetzt in meiner Traurigkeit übersehen hätte. Er klagte, daß ich ihn ganz vergesse, aber er könne mich nicht vergessen, einen solchen kriege er nicht mehr in die Schule. Er fragte, warum ich nie zu ihm komme und was mir fehle, daß ich ein Gesicht mache, als ob ich eine Essigguttere verschluckt hätte. Da ich unter den Leuten nicht recht zu Worten kommen konnte, so zog er mich beim Ärmel seinem Hause zu und sagte: Er hätte noch neuis daheim, einen Schluck davon werde mir nicht schaden, und da könne ich ihm dann sagen, wie es mir gehe; er sehe wohl, es sei nicht alles, wie es sein sollte, und andern könne er besser raten, als ihm selbsten, das hätten andere und er schon oft erfahren; vielleicht erfahre ich es jetzt auch.

      Bei einem Gläschen Branntwein floß es mir nun besser vom Munde.

      Ich erzählte meine Not. Wie hart mich die Eltern hielten, ohne Geld ließen, kaum Kleider mir gönnten. Da fluchte mein Schulmeister und wußte von meinen Eltern allerlei Unrepetierliches zu erzählen. Ich solle machen, daß ich von ihnen fortkomme und zu mir selbsten sehen: zu weben finde ich an allen Orten, und zu einem Bauern gehen könne ich ja auch im Notfalle. Nun beichtete ich, daß das Weben mir gar grusam erleidet sei und daß ich zu einem Bauren auch nicht möge, indem ich fast keinen Lohn erhalten würde, da ich nicht säen, nicht melken, nicht füttern könne, und mein Lebtag kein Roß in den Händen gehabt habe. Da schaute mein Schulmeister bedenklich drein und schenkte sich ein frisches Gläschen ein. Auf einmal schlug er auf den Tisch und rief: »Peterli, du muesch Schulmeister werde!« Und stille ward‘s wieder. Er schwieg; ich war verstunet, und mit großen Augen sahen wir über den Tisch einander ins Gesicht, er vor Bewunderung, ich vor Verwunderung. »Gell Peterli, i ha dr‘s gseit, i ha scho Mengem grate, u es isch guet cho, u mi het‘s nit hinger mr gsuecht.« Aber er konnte noch lange reden, bis er mich auch zum reden brachte, so verblüfft war ich. Als ich zu mir selbst kam vor dem unerwarteten Gedanken, wandte ich manches ein gegen den Vorschlag: meine Ungeschicklichkeit, daß ich schon vieles vergessen, daß der Vater mich nicht fortließe u.s.w. Aber wie alle Einwendungen, bei denen es einem nur halber Ernst ist, waren auch diese bald widerlegt. Er sei nicht von den Ungeschicktesten einer, sagte er, und ich sei fast so geschickt wie er. Den Vater frage man nicht lange. Wolle er mich nicht gehen lassen, so laufe ich fort. Aber wo ich wohl einen Platz finden könnte, fragte ich endlich. »Da lah mi nume mache, i weiß dr scho halb u halb eine«, sagte er mir, trank sein Gläschen aus und ging. Denn seine Alte hatte ihm schon zweimal gerufen zum Essen, und mit dieser durfte er nicht spassen.

      Neuntes Kapitel. Wie es mir im Kopfe rundum und endlich mit mir ins Schulmeisteramt geht

      So machen es die Leute; sie setzen einem eine Floh hinters Ohr und, statt sie jagen zu helfen, jagen sie einen fort und man mag zusehen, wie man mit derselben zurecht kömmt. Es ist recht seltsam, wie ein in besonderer Stunde angeworfener Gedanke haften bleibt, sich einbohrt in unsern Kopf hinein, alles Vorhandene auf die Seite wirft, unsere gesamte Einbildungskraft überschwemmt und als ausgebrochener Strom sich nun ergießt in das weite Feld unserer Zukunft hinaus. Es gibt nun Leute, oder vielmehr Köpfe, die diesen Überschwemmungen СКАЧАТЬ