Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Jeremias Gotthelf
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Читать онлайн книгу Leiden und Freuden eines Schulmeisters - Jeremias Gotthelf страница 16

СКАЧАТЬ konnten, so sagte er am Ende: »Ich weiß einen, der es kann, Käser, sag du es ihnen». Ich war aber auch aufmerksam und strengte mich aus allen Kräften an, immer antworten zu können. Aber dieses Antworten können, war mir auch die Hauptsache und war allen die Hauptsache. Wer es konnte, freute sich. Die Schwachen zitterten und bebten, nicht sowohl vor dem Pfarrer, als vor dem Spott und dem Auslachen der andern. Uns unvermerkt bildete sich freilich ein Glaube, ein Fürwahrhalten, zusammengesetzt aus dem wunderlichen abergläubischen Zeug, das wir bei Abendsitzen, und aus dem, was wir in der Unterweisung hörten. Aber unser religiöses Gefühl wurde nicht erwärmt, unser Wille nicht angeregt, unsere Seele zu frommem Thun nicht begeistert. Und das alles sicher nur deswegen, weil wir all unser Sinnen dahin richteten, antworten zu können und nur auf die eigentliche Frage paßten; und weil das beständige Fragen und Antworten keine erwärmende Rede recht aufkommen ließ, und bei ungeschickten Kindern entweder grausam ermüdete oder zum Lachen reizte. Es fiel mir erst später ein, daß das Katechisieren für den eigentlichen Religionsunterricht doch nicht recht paßt. Das Katechisieren ist ein mühselig Herausklauben von Begriffen und Sätzen, recht dienlich um den Verstand zu üben und den Scharfsinn und läßt bei Kindern in vielen Fächern sich anwenden. Aber daß man dasselbe beim Religionsunterricht fast allein gebraucht und es, die Form, zur Hauptsache gemacht, und den Stoff und den Zweck dabei aus den Augen verloren, scheint mir ein Mißgriff zu sein. Namentlich in der Unterweisung, im letzten Religionsunterricht, sollten die Seelen der Kinder erhoben und gestärkt werden zu dem vor ihnen sich öffnenden Leben, und nicht bloß ihr Verstand angeregt und ihr Gedächtnis beschwert mit einzelnen Sätzen.

      Darum sollte da eine freie Rede sein aber auch beim Kinde; auch es sollte fragen und nicht nur antworten. Aber, du lieber Gott, dafür müßten wir in den Schulen auch andere Kinder schaffen, müßten da einen ordentlichen Religionsunterricht zu geben verstehen. Denn das Kind, das einen rechten Religionsunterricht empfangen und fühlen soll, muß einen geöffneten Sinn bringen; dann lassen auch die höheren Seelenkräfte leicht sich anregen. Auch treibt man das Katechisieren auf die schlimmste Art, sagt alles heraus bis auf die letzte Silbe oder fragt, daß man abwechselnd ja oder nein sagen muß. Ein solches Katechisieren ist eine wahre Seelenmörderei, und ist mit die Ursache, daß den Kindern die Unterweisungen fast fruchtlos bleiben.

      So verflog mir nur zu schnell der Winter, in dem jeder Unterweisungstag mir ein Lichtpunkt war, der mich einige Stunden erlöste aus dem Diensthause. Ostern war da, ehe ich es dachte. Sie war so grün und schön, und die Matten blühten so lieblich, die Bäume knospeten so kräftig, die Vögelein sangen so heiter und munter, und auf dem Miste krähte der Hahn sein kräftigstes Lied, und auch der Vater war lustig und sagte: er sei froh, daß die verfluchte Unterwysig zu Ende sei. Und halb traurig, halb stolz schritt ich hinter ihm drein zur Kirche und nahm mit bangem Herzen das Pfand des Herrn, daß auch ich erlöst werden könne. Ach, ich fürchtete mehr der Menschen Augen, die auf mich sahen, als des Herrn Auge, das in mich sah.

      Wie ein Stein war es mir ab dem Herzen, als ich wieder aus der Kirche war und des Nachmittags schien ich mir einen halben Schuh länger geworden. Kecker antwortete ich in der Kirche und als es vor dem Wirtshause ans Düpfen ging, da schien mir, als guckten alle Mädchen nach mir; aber düpfen wollte ich mit keinem, ich fürchtete harzige Eier. Sorgsam wie eine Gluggere hielt ich meine vier Eier schön warm in der Tasche (zwei gelbe und zwei braune waren es), sah dem Düpfen zu und freute mich allemal, wenn ein fremdes Ei zerbrach und ich die meinen noch ganz fühlte. Allein das Gewinnen der zerbrochenen Eier gefiel mir doch auch wohl und immer wöhler. So ein Sack voll gewonnener Eier, welch Schleck für einen Weberbub, der im Sommer nicht einmal Tschägge, sondern nur altrote Erdäpfel kriegt! Mit klopfendem Herzen ging ich bei Seite, untersuchte lange mit Zähnen und Zunge, welchem meiner Eier am besten zu trauen sei und wagte es endlich mit einem gelben. Einen kleinen Buben suchte ich aus, um an ihm mein Glück zu probieren; er aber traute mir lange nicht. Endlich ließ er sich bereden und nachdem wir lange darum gemärtet hatten, wer schlagen solle, that ich mit bebender Hand den Schlag und, o Glück! gewann ein Ei, gewann später noch eins, zwei drei, eine ganze Tasche voll. In Wonne schwimmend, hatte ich die Zeit vergessen, hatte die Sonne nicht untergehen sehen; da wurde es dunkel auf dem Platze, die Leute verliefen sich und einsam war ich mit meiner Tasche voll Eier, niemand mehr da, der mit mir düpfen wollte. Traurig wanderte ich heim, Ei um Ei essend, aber meines Glückes mich nicht freuend, weil mit dem Glücke meine Wünsche sich gemehrt und die fliehende Zeit ihre Erfüllung unterbrochen hatte. Es ist eine eigene Sache mit den Wünschen, wie sie mit ihrer Erfüllung sich vervielfachen, wie ein erfüllter Wunsch ein Dutzend andere gebiert. Wem Ruhe und Frieden lieb sind, der hüte sich vor den Wünschen, sie sind nimmer satt und quälen ärger als Hunger und Durst. Und wie die Zeiten eilen, wenn sie unsere Wünsche krönen und glücklich machen, und wie sie langsam unerträglich schleichen, wenn sie Wünsche versagen, Hoffnungen töten, Schmerz spenden. Aber die Zeiten sind menschenfreundlich; mit schnellem Flügelschlag eilen sie samt dem Glück vorüber, damit das schwache Herz sich nicht selbst verliere; und langsamen Schrittes treten sie mit Unglück und Unerwünschtem ihn an, um den irdischen Sinn zu bekämpfen, die Seele zu läutern; langsam ziehen sie da an ihm vorüber, denn der Seele Reinigung ist ein langsam Werk.

      Wenn so ein glücklicher Augenblick oder Tag entschwunden ist, wer hat es nicht erfahren, wie da eine Leere, eine Öde im Herzen bleibt, wenn nicht im Hintergrunde der Zeit ein neuer Tag auftaucht, der neue Freuden verspricht, an den das Auge fest sich heftet über die trübe, unlustige Gegenwart hinweg. So hatte ich auch einen Tag, der mich die geschwundene Ostern und ihre Eier vergessen ließ, der mir neue Freuden, etwas noch Unerlebtes versprach. Es war der Sonntag nach Ostern, an welchem alle Jünglinge, welche die Erlaubnis erhalten hatten, nach der Kirche des Amtssitzes mußten, um da den Huldigungseid zu schwören. Was Huldigung sei und was sie zu bedeuten habe, darum bekümmerten wir uns wenig. Was sollten auch Buben von fünfzehn bis sechzehn Jahren wissen, was Huldigung sei, denen man nie etwas gesagt hatte, was ein Staat sei, was eine Obrigkeit zu bedeuten habe und welche Pfichten jedem Bürger obliegen; Buben, die nur von dem Landvogt gehört, entweder er sei ein freiner Schlufi, oder ein böser Tüfel, oder e grusam e stolze; Buben, die von keinen Gesetzen einen Begriff hatten und nun einen Eid des Gehorsams schwören sollten: ist das nicht Unsinn? Von uns kannte wohl kaum ein einziger den Namen des Landes, in dem er wohnte, geschweige denn seine Begründung, seine Einrichtung. Von einem Vaterland hatten wir nie gehört, wußten daher nicht, was ein solches Ding sei und doch sollten wir Vaterlandsverteidiger werden. Heißt das nicht, dem Lande, das nur der Vaterlandsliebe seine Begründung, dankt, den Boden unter den Füßen wegnehmen? Und doch ist es merkwürdig, daß von Ur-Ureltern her in jedem Schweizer Vaterlandsliebe schlummert, wie in jedem reinen Mädchen Mutterliebe, wie im Feuerstein der zündende Funke; daß des Schweizers Auge weint um sein Land, wenn es ihm entrissen wird, wie die Frau um ihr Kind; daß das Schweizerherz Funken sprüht des freudigsten Todesmutes, wenn ein gieriger Franzose oder ein wandschiger, gfüdleter Östreicher den Dalpen nach dem Vaterlande ausstreckt; — über Schwaben oder Savoyer lacht man und würde nur Haselstöcke nehmen statt des Stutzers oder der Sense. Wie gut man wußte, was man schwor, bezeugte gewöhnlich das Benehmen der schwörenden Buben am Tage selbst nach abgelegtem Eide.

      Das war nämlich der erste Tag, an welchem man der Welt zu zeigen gewohnt war, daß man nun Erlaubnis, d. h. mit dem Nachtmahl die Berechtigung empfangen habe, wie ein Erwachsener zu thun, zu Kilt und in die Wirtshäuser, die früher vom Pfarrer einem verboten gewesen, zu laufen, auf den Straßen wüst zu thun und sich zu prügeln nach Herzenslust; so nämlich legt man die Erlaubnis aus. Man übertrat also an diesem Tage, an welchem man der Obrigkeit den ersten Eid abgelegt hatte, ihnen und ihren Gesetzen unterthan zu sein, auch zum ersten Mal mit Bewußtsein ihre Gesetze, beging brühwarm einen Meineid. Diese Übertretung der beschwornen Gesetze wurde aber gewöhnlich nicht viel mehr als belacht, während ganz anders verfahren worden wäre, wenn einer nur den Schein des Zweifels an der Rechtmäßigkeit der Oberkeit hätte blicken lassen. Eine solche Scheidung, wo mehr Respekt für die Personen als für die Gesetze gefordert wird, ist schlimm. Sie begründet den noch immer unselig wirkenden Glauben, daß die Oberkeit um ihretwillen da sei, um ihres Nutzens, ihrer Ehre willen, und nicht zum Besten des Landes, zur weisen Handhabung weiser Gesetze. Für diesen Tag sorgte jeder Bube lange voraus, daß er einen Kreuzer Geld im Sack habe. Er sparte zusammen, bettelte den Eltern, СКАЧАТЬ