Название: Handbuch des Strafrechts
Автор: Bernd Heinrich
Издательство: Bookwire
isbn: 9783811456655
isbn:
C. Die Strafvorschriften des BtMG im Einzelnen und ihre Voraussetzungen
31
Die zentrale Strafvorschrift des § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG knüpft an das verwaltungsrechtliche Verbot des § 3 BtMG. Die übrigen Nummern zählen „genuin“ strafrechtliche, weil nicht erlaubnisfähige Verhaltensweisen auf: Überwiegend handelt es sich um verselbstständigte Beihilfehandlungen, bei denen eine Teilnehmerstrafbarkeit mangels deliktischer Haupttat nicht konstruiert werden kann (Verschaffen einer Konsumgelegenheit, Bereitstellen von Geldmitteln, § 29 Abs. 1 Nr. 11, Nr. 13 BtMG), oder bei denen Strafverfolgungsbehörden der Nachweis der Haupttat erspart werden soll (Verschaffen einer Erwerbsgelegenheit, § 29 Abs. 1 Nr. 10 BtMG).
I. Der Begriff des Betäubungsmittels als gemeinsames Tatbestandsmerkmal
32
Die Geltung des verwaltungsrechtlichen Verbots (und der Strafvorschriften) hängt von der Frage ab, ob überhaupt der Gegenstand des Gesetzes „betroffen“ ist, sich das fragliche Verhalten also auf ein Betäubungsmittel bezieht. Das BtMG legt dies bereits in den §§ 1, 2 BtMG fest und beginnt nicht – wie es für das Verwaltungsrecht typisch wäre – mit einer einleitenden Vorschrift, welche das Ziel des Verbotsgesetzes deklaratorisch wiedergibt.
1. Konstitutive Wirkung der Positivliste
33
Vom Verbot des Umgangs mit Betäubungsmitteln nach § 3 BtMG sind gemäß § 1 Abs. 1 BtMG diejenigen Stoffe betroffen, die in den Anlagen des Gesetzes abschließend und konstitutiv aufgezählt werden.[82] Diese „Positivliste“ grenzt das (illegale) Betäubungsmittel von anderen Drogen ab. Die Anlagen sind dreigeteilt, im Übrigen alphabetisch geordnet. Änderungen der Anlagen I bis III können von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates im Verordnungswege vorgenommen werden (§ 1 Abs. 2 BtMG, ggf. auch durch eine sog. „Dringlichkeitsverordnung“, vgl. § 1 Abs. 3 BtMG). Die Regelungsbefugnis wurde dem Verordnungsgeber übertragen, um den Veränderungen des Drogenmarktes flexibel begegnen zu können. Unlängst wurden mit der Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften (BtMRÄndV) vom 2. Juli 2018[83] zwei NPS, die nicht unter die Stoffgruppen des NpSG[84] fallen, in die Anlage II des BtMG aufgenommen (CUMYL-PEGACLONE und CUMYL-5F-P7AICA),[85] zudem einige redaktionelle Änderungen in der BtMVV vorgenommen. Weitere Ergänzungen der Anlagen des BtMG und NpSG erfolgten durch die Verordnung zur Änderung der Anlage des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes und von Anlagen des Betäubungsmittelgesetzes (NpSGuBtmGAnlÄndV) vom 12. Juli 2019,[86] insbesondere wurden drei neue „Ringsysteme“ bzw. Stoffgruppen eingeführt, aus denen allerdings auch bereits „etablierte“ Betäubungsmittel hervorgehen (Benzodiazepine, Tryptamine etc.).[87] Das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (AMVSÄndG) vom 9. August 2019[88] brachte eine materiellrechtliche Erweiterung des § 1 dahingehend mit sich, dass das vereinfachte Verfahren der Aufnahme von Stoffen nach der Ermächtigungsgrundlage in § 1 Abs. 4 BtMG auf Stoffe erstreckt wurde, welche unter die Definition von Drogen nach Art. 1 Nr. 1 des Rahmenbeschlusses 2004/757/JI des Rates vom 25. Oktober 2004[89] fallen.[90] Die Urfassung der Anlagen geht auf die Anlage der Single Convention zurück, die ihrerseits unter Mitwirkung der WHO zustande kam.[91] Sie wurde aber seitdem stetig erweitert (sei es infolge weiterer internationaler Übereinkommen, sei es durch den Gesetz- bzw. Verordnungsgeber). Anlage I enthält die nichtverkehrsfähigen Betäubungsmittel. Sie gelten als gesundheitsschädlich und für medizinische Zwecke nicht geeignet (Heroin, Cannabis und LSD). Anlage II enthält die verkehrsfähigen, aber nicht verschreibungsfähigen Betäubungsmittel. Sie dürfen nur in der Pharmaindustrie verwendet werden. Hierzu gehören Cocablätter, Codein (außer bei einem ganz geringen Wirkstoffanteil in Zubereitungen). Anlage III enthält die verkehrsfähigen und verschreibungsfähigen Betäubungsmittel.
2. Fundamentalkritik
34
Die Positivliste folgt keinem bestimmten Schema oder denkbaren Klassifizierungsmerkmalen. Eine rein chemische Einordnung nach Stoffklassen (insbesondere Alkaloiden einerseits, Terpenoiden andererseits) erfolgt ebenso wenig wie eine Einteilung nach ihrem Ursprung (biogen, halbsynthetisch, vollsynthetisch). Der potentiell therapeutische Einsatz spielt nur für die Einordnung eines Betäubungsmittels als „verschreibungsfähig“ (also Betäubungsmittel der Anlage III) eine Rolle; freilich finden sich aber auch in der Liste nicht verschreibungsfähiger Substanzen zahlreiche Wirkstoffe, die früher noch in der Medizin Anwendung fanden, doch inzwischen als pharmazeutisch überholt gelten. Die in der Liste aufgeführten Substanzen bilden damit auch das gesamte Spektrum an Wirkweisen ab, von Dissoziativa, Narkotika und Sedativa hin zu psychedelischen bzw. halluzinogen wirkenden Substanzen (Lysergsäure, Psylocybin) bis zu Stimulantia (Kokain).
35
Lediglich in der Verordnungsermächtigung (§ 1 Abs. 2 BtMG) finden sich vage Kriterien, die bei der Aufnahme eines Stoffes in die Liste Berücksichtigung finden müssen, namentlich die „Wirkungsweise eines Stoffes, vor allem im Hinblick auf das Hervorrufen einer Abhängigkeit“ sowie das Ausmaß „der mißbräuchlichen Verwendung“ und eine unmittelbare oder mittelbare „Gefährdung der Gesundheit“.[92] Als Zweckmäßigkeitsentscheidung unter Hinzuziehung von Sachverständigen ist die Entscheidung über die Aufnahme eines Stoffes kaum justiziabel, sodass sich etwaige Kriterien auch nicht durch eine Spruchpraxis entwickeln können. Dies wäre auch schwierig, da selbst die Gefährlichkeit ein- und desselben Wirkstoffs von der Konzentration dessen, seiner Applikationsart und Aufbereitung wie auch von der Konstitution des Konsumenten sowie dessen Konsumgewohnheiten[93] abhängig ist (Drug/Set/Setting[94]). Dies mag der Grund dafür sein, dass bis heute noch Stoffe mit ganz erheblich divergierendem Gefährlichkeits- und Abhängigkeitspotential einem einheitlichen Regelwerk unterstellt sind, umgekehrt viele Substanzen, die als Narkotika und Delirantia dem weiten Drogenbegriff unterfielen, nicht in der Liste auftauchen (Alkohol, Ketamin). Dieses schon seit Anbeginn der Prohibition bestehende Legitimationsproblem ist bis heute nicht überwunden und geht weiter als die damit oftmals assoziierte Frage, warum Cannabis illegal, Alkohol hingegen legal sei (hierzu noch Rn. 117, 122).
36
Dabei verfolgen die Suchtstoffübereinkommen, auf denen die Positivliste basiert, eigentlich einen akzeptablen Ansatz, wenn sie die aufgenommenen Stoffe nach ihrer Gefährlichkeit klassifizieren. Diese Differenzierung müsste sich allerdings auch in der Behandlung der Drogen, insbesondere im Hinblick auf den Umgang und ihrer Kriminalisierung diesbezüglich widerspiegeln. Allerdings wirkt sich die Differenzierung nach unterschiedlichen Graden der Verkehrsfähigkeit materiellrechtlich kaum aus, da sich das weitreichende Umgangsverbot auf alle Betäubungsmittel (Anlage I–III) bezieht (vgl. § 3 BtMG). Diese Gleichschaltung wird auch nicht im Rahmen der Strafvorschriften aufgehoben.
37
Differenzierungen lässt das geltende Betäubungsmittelstrafrecht СКАЧАТЬ