Название: Handbuch des Strafrechts
Автор: Bernd Heinrich
Издательство: Bookwire
isbn: 9783811456655
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Mit dem Betäubungsmittelgesetz vom 28. Juli 1981 (BtMG 1982)[54] werden die sich aus den Ratifizierungen der Suchtstoff-Übereinkommen von 1961 und 1971 ergebenden Konsequenzen für das nationale Recht umgesetzt. Während sich die bisherigen Gesetze im Wesentlichen als Fortschreibungen und Aktualisierungen der 1. Verordnung über den Verkehr mit Opium bezeichnen, bringt das Betäubungsmittelgesetz vom 28. Juli 1981[55] einige grundlegende Neuerungen: das Rechtsgebiet wird einer (retrospektiv kaum geglückten) Systematisierung zugeführt und vereinfacht.[56] Mit der Erweiterung des Strafrahmens von vorher zehn auf nunmehr 15 Jahre und durch die Einführung der Strafmilderungsmöglichkeit für Aufklärungsgehilfen („Kronzeugenregelung“, § 31 BtMG) bezweckt man den organisierten Drogenhandel zu bekämpfen. Die mittlere Kriminalität soll durch den Vorrang von Rehabilitationsmaßnahmen vor dem Strafvollzug zurückgedrängt werden, indem Vorschriften eingefügt werden, die eine Zurückstellung der Strafvollstreckung ermöglichen, wenn der Verurteilte sich einer Therapie unterzieht: Das Prinzip „Therapie statt Strafe“ findet Eingang ins Gesetz. Zudem soll bei Bagatelltaten (wozu insbesondere der Erwerb zum Eigenkonsum in geringen Mengen zählt) auf Strafverfolgung verzichtet werden. Anders als das BtMG 1972 enthält also das BtMG 1982 erste liberale Tendenzen: Dementsprechend gibt die (ab diesem Zeitpunkt wesentlich häufigere) Gesetzgebung ein drogenpolitisch ambivalentes (bzw. mehrdimensionales) Bild ab, wenn einerseits drakonische Strafandrohungen durch Qualifikationstatbestände zum Zwecke der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (OrgKG vom 15. Juli 1992,[57] Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994[58]) Eingang in das BtMG finden, andererseits die Möglichkeit der Abgabe steriler Einmalspritzen, das Zurückstellen der Vollstreckung bei Therapie des Verurteilten, die Möglichkeit der Einrichtung von Drogenkonsumräumen oder die Substitutionstherapie institutionalisiert werden (BtMGÄndG vom 9. September 1992,[59] Gesetz zur diamorphingestützten Substitutionsbehandlung vom 15. Juli 2009[60]).
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Diese Entwicklungen rücken die Schwächen des Ansatzes einer supranationalen Bekämpfung des Drogenmissbrauchs in das Bewusstsein der Vertragsstaaten. Ein völkerrechtlicher Vertrag kann sich, wenn er nicht kontinuierlich „gepflegt“, mithin aktualisiert wird, als rechtspolitische „Zwangsjacke“ entpuppen,[61] welche auch der Rechtsentwicklung abträglich ist. Einige Länder umgehen die in der Convention 1988 enthaltene Kriminalisierungsverpflichtung (insbesondere der Konsumenten), indem sie das materielle Recht schlicht ruhen lassen und sich mit dem Umstand abfinden, dass ein Straftatbestand existiert, der faktisch als nicht geltend wahrgenommen wird (indem eines der Hauptprozessmaximen, das Legalitätsprinzip ausgeschaltet wird). Liberale Regierungen können das repressive Modell durch Gegenmaßnahmen (wie im Falle des BtMG 1982) abfedern. Andere Staaten wiederum, die an einer repressiven Drogenpolitik festhalten wollen, können diese unabhängig von den Verträgen realisieren, da diese ja nur „Mindestvorgaben“ hinsichtlich etwaiger Verbote machen. Für beide Seiten hat der Rückgriff auf die Verpflichtung aus den Suchtstoffübereinkommen dann eher den Charakter einer „Ausrede“, obwohl man sich darüber einig ist, dass ein Austritt und Wiedereintritt unter Vorbehalt völkerrechtlich möglich ist.[62] Allein die Angst vor einem „Politikum“ bzw. „diplomatischer Druck“ kann nicht der Grund dafür sein,[63] dass von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch gemacht wird, wenn man bedenkt, dass Staaten mit geringerer politischer Einflussnahme ihren eigenen Weg gehen (man denke an Bolivien,[64] Portugal oder Niederlande) und auch die Sanktionspraxis erheblich divergiert.[65]
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Nicht verkannt wird, dass es auch eine Frage der konkreten Maßnahme ist, ob überhaupt ein Austritt notwendig ist oder nicht. Die Konventionen erfordern nicht durchweg strafrechtliche Sanktionen, sondern stellen partiell lediglich Verbote auf.[66] Schließlich werden auch keine Ober- und Untergrenzen der Strafe festgelegt. Ähnliche Unklarheiten bestehen auch auf EU-rechtlicher Ebene, wo etwa i.R.d. Art. 87 AEUV immer wieder darüber gestritten wird, inwiefern die strafrechtliche Intervention „unerlässlich“ ist (zu den europarechtlichen „Maßnahmen“ vgl. bereits Rn. 19). In Anbetracht dieser Ausgangslage und der zu beobachtenden Entwicklungen ist es nicht nachvollziehbar, dass bis heute kein „Update“ der internationalen Suchtstoffübereinkommen vorgenommen wurde (und damit verbunden auch einige Klarstellungen, was die Verpflichtungen als solches angeht).[67]
6. Neuere Entwicklungen – Weltweiter Paradigmenwechsel?
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Zumindest aber scheint man sich auch auf supranationaler Ebene einer Modifikationsbedürftigkeit der übergeordneten, gemeinsam ausgerufenen Ziele bewusst geworden zu sein, wenn die Global Commission on Drug Policy 2012 nunmehr – ein ganzes Jahrhundert nach der Haager Opium-Konferenz 1912 und knapp 50 Jahre nach der Ratifizierung der Single Convention – einen internationalen Paradigmenwechsel proklamiert:[68] „Der weltweite Krieg gegen die Drogen ist gescheitert, mit verheerenden Folgen für die Menschen und Gesellschaften rund um den Globus. 50 Jahre, nachdem die Vereinigten Nationen das Einheits-Übereinkommen über die Betäubungsmittel initiiert haben, und 40 Jahre, nachdem die US-Regierung unter Präsident Nixon den Krieg gegen die Drogen ausgerufen hat, besteht in der nationalen und weltweiten Drogenpolitik dringender Bedarf nach grundlegenden Reformen“.[69] Oberste Priorität müssten gesundheits- und sozialpolitische Maßnahmen haben, insbesondere müsse der Zugang zu Medikamenten, speziell Opiaten als Schmerzmittel, sichergestellt werden. Ferner tritt die Kommission für eine Entkriminalisierung des Erwerbs und Besitzes von Betäubungsmittel zum Eigenkonsum ein und baut auf Alternativen zur Inhaftierung jener, die Teil des Drogenmarktes waren, dabei jedoch gewaltfrei geblieben sind.
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Die mit Spannung erwartete UNGASS 2016 (Sondertagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen zum Thema Drogen) hat in ihrem Abschlussbericht indessen für Ernüchterung gesorgt, jedenfalls aus europäisch-drogenpolitischer Sicht. Lag der Fokus der Global Commission on drug policy ausweislich ihres September 2014 veröffentlichten Berichts zumindest auch[70] auf Verbesserungen im repressiven Bereich (Entkriminalisierung des Konsums und Besitzes,[71] gesetzlich garantierte Besserstellung der Kuriere[72] und eine damit erzwungene Verfolgung der Hintermänner[73]), stehen unter dem Strich – freilich weltpolitisch von höherer Bedeutung – die Notwendigkeit von Verbesserungen im präventiven und gesundheitspolitischen Bereich im Vordergrund. Vornehmlich wird eine Verbesserung der medizinischen Versorgung in den Entwicklungsländern[74] und die Einrichtung von Schadensreduzierungsmaßnahmen angestrebt.[75] Jedenfalls in Bezug auf Cannabis scheint sich die grundsätzliche Haltung zugunsten einer weniger strengen Handhabe zu wandeln, nachdem im November 2018 die wissenschaftliche Arbeitsgruppe der WHO im Rahmen einer Untersuchung zu den Risiken von Cannabis, THC und CBD zu dem Ergebnis kam, dass die aktuelle Einstufung von Cannabis (das mit Heroin auf einer Stufe steht), nicht gerechtfertigt СКАЧАТЬ