Название: Die Seele des Ruhrgebiets wäre dann weg
Автор: Thomas Hölscher
Издательство: Bookwire
Жанр: Социология
isbn: 9783750218901
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Wir haben ja politisch eine Beschreibung in der Kohlerunde bis zum Jahr 2005, auch wenn die Politik zur Zeit ihr gegebenes Wort nicht unbedingt einhalten will. Wer sich mit Energiepolitik oder auch Fragen der Großindustrie befasst, der weiß, dass hier Beschreibungen für einen langen Zeitraum nach vorn getätigt werden müssen, damit Planungssicherheit gegeben ist. Kraftwerke z.B. stellt man nicht von heute auf morgen irgendwohin, sie brauchen eine Vorlaufzeit, die wegen der stetig wachsenden Beteiligung der Öffentlichkeit immer länger wird. Mittlerweile vergehen zwischen ersten Überlegungen und der Realisierung eines solchen Vorhabens zwischen 10 und 15 Jahre. Die Politik muss also Orientierungen nach vorne geben; bei der Kohle hat sie das - trotz aller augenblicklichen Diskussionen - schließlich auch getan. Und diese relativ lange Zeitspanne kann auch ein Gefühl von Sicherheit vermitteln; vor allem muss man das vor dem Hintergrund der gesamtwirtschaftlichen Situation sehen: In welcher Branche gibt es denn heute überhaupt noch eine verlässliche Arbeitsplatzgarantie über Jahre hinaus? Außerdem hat es die IGBE bis heute verstanden, eine Politik zu betreiben, die sich tatsächlich an den Menschen orientiert. Trotz aller Schwierigkeiten wurde bis heute noch niemand einfach entlassen, es wurden immer Ersatzarbeitsplätze im Bergbau gesucht. Bis heute ist das jedenfalls gelungen. Und natürlich gibt auch das den Bergleuten ein Stück Sicherheit und lässt vielleicht auch junge Leute denken, es lohnt sich immer noch, dort anzufangen. Und wenn nun die Beschreibungen der Politiker bis zum Jahr 2005 eingehalten werden, dann wird es hier auch über diesen Zeitpunkt hinaus noch Bergbau geben. Ich hoffe sogar, dass wir dann auch noch in der Größenordnung existieren, in der wir uns heute bewegen. Und diese Hoffnung beruht auf Zahlen und Fakten, an denen wir uns orientieren müssen. Wie lange ist bei jetzigem Verbrauch und bei heute erschlossenen Vorräten noch Gas vorhanden, Öl vorhanden, Steinkohle vorhanden? Wie lange müssen wir die Kernenergie noch sehr kritisch betrachten? Gerade in den letzten Tagen haben wir doch erlebt, dass es bezüglich der Sicherheit und der Zumutbarkeit dieser Energie erhebliche Differenzen zwischen Bundes- und Landespolitik gibt. Außerdem steht wohl fest, dass die regenerierbaren Energien den großen Sprung nach vorne nicht machen werden, den einige erhofft hatten. Wasser, Sonne und Wind haben, glaube ich, im Augenblick in der Bundesrepublik einen Anteil von nur knapp zwei Prozent des gesamten Primärenergieaufkommens, und man schätzt vorsichtig ein, dass dieser Anteil sich auf vielleicht fünf oder sechs Prozent bis zum Jahr 2010 oder 2020 steigern lassen wird. Und wenn man sich nun noch vorstellt, dass die Kernkraftwerke in absehbarer Zeit außer Betrieb genommen werden müssten, dann braucht man auch für diesen Bereich Ersatz durch andere Energien. Allein aufgrund der Situation anderer Energiearten sehe ich eine reelle Chance für unsere Kohle.
- Wer trägt nach Ihrem Dafürhalten die Schuld an der augenblicklichen Krise des Bergbaus?
Wenn ich davon ausgehe, dass Politik auch gestalterisch tätig sein kann, dann ist die Verantwortung für die augenblickliche Krise in sehr starkem Maß bei der Politik zu suchen. Ich gewinne allerdings immer mehr den Eindruck, dass die Politik bei uns von der Industrie bestimmt wird. Oder noch deutlicher gesagt: Händler bestimmen heute unsere Politik. Und damit ist eine solche Situation, in der wir uns befinden, nicht verwunderlich. Das hat übrigens gar nichts mit der deutschen Einheit zu tun, und es ist auch Unsinn, wenn immer wieder gesagt wird, es sei kein Geld mehr vorhanden, wir müssen umdenken. Geld ist in diesem Land in Masse vorhanden, es müsste nur anders verteilt werden. Zumindest auf Zeit müsste die Politik nun einfach den Mut haben, finanzielle Mittel so umzuverteilen, dass es den Menschen hier hilft. Dass man vor allem nicht länger mit der Angst der Menschen vor der Arbeitslosigkeit spielen kann, wie man das im Augenblick tut. Denn was daraus resultiert, spüren wir ja nun in immer stärkerem Maße: Gewalt und Kriminalität nehmen in erschreckendem Maße zu.
- Konkret bedeutet das doch: die Kohle muss Ihrer Meinung nach auch in Zukunft subventioniert werden?
Ja natürlich, subventioniert werden muss immer, wobei diese Subventionen aber näher zu beschreiben sind. Sind es direkte Steuern, oder sind es indirekte Steuern?, wenn man das einmal so bezeichnen will. Der sog. Kohlepfennig ist ja eine Gesetzesvorgabe, die jeden Stromverbraucher trifft. Unsere Subventionen werden also nicht von den direkten Steuern genommen. Richtig ist natürlich, dass unsere Kohle heute mehr als dreimal so teuer ist wie die Kohle, die auf dem Weltmarkt zu beziehen ist. Aber diesen Vergleich kann man so nicht einfach stehen lassen, darüber muss man diskutieren. Nur die Preise zu vergleichen, ist ein großer Fehler. Wenn ich nur einmal unsere Normen zum Arbeitsschutz, zur Sicherheit betrachte, dann frage ich mich, ob diese Normen, die ja mit großen Kosten verbunden sind, auch anderswo gelten. Ferner wäre zu denken an viele soziale Komponenten, die für die Bergleute hier selbstverständlich sind. Das Vergleichen des Preises allein ist eine große Ungerechtigkeit, solange eben diese anderen Dinge außer acht gelassen werden. Man denke nur daran, dass in Kolumbien die Kinderarbeit im Bergbau an der Tagesordnung ist. Und da macht ja auch keiner einen Hehl draus, das wissen alle, auch die, die bei uns politisch die Verantwortung tragen. In dem Alter, in dem wir erst den Höhepunkt unserer Schaffenskraft erreichen, sind die Menschen in Kolumbien schon verbraucht. Aber um einen möglichst niedrigen Kohlepreis zu haben, nimmt man so etwas hin. Genauso nimmt man hin, dass internationale Arbeitsnormen, Sicherheitsvorschriften, Arbeitszeitbegrenzungen und alles, was in den sozialen Bereich hineingehört, in keiner Weise eingehalten wird; man blicke nur nach Südafrika oder China. Es herrschen unglaubliche Zustände für die Arbeitnehmer in diesen Ländern, die aber gar nicht erst in unser Blickfeld geraten, wenn wir ausschließlich den Weltmarktpreis zum Kriterium nehmen. Ferner muss man noch berücksichtigen, unter welchen Bedingungen abgebaut wird. In Australien z.B. wird Steinkohle fast ausschließlich im Tagebau abgebaut, d. h. man nimmt dort nur die verkaufsfähigen Produkte aus den riesigen Kohleflözen und hinterlässt eine Landschaft, die den Braunkohlegebieten in der ehemaligen DDR entspricht. Dort sprach man ja völlig zu Recht von Mondlandschaften. Der Raubbau an der Natur wie in Australien ist eine Katastrophe, die hier schon aufgrund sehr strenger und damit wieder kostensteigernder Umweltschutzbestimmungen gar nicht möglich wäre. Und auch dies müsste bei der Bestimmung eines ehrlichen Kohlepreises mit in Rechnung gestellt werden. Erst wenn man all diese Faktoren berücksichtigt, kann man einen fairen Preisvergleich anstellen. Und so etwas ist Aufgabe von Politik, nicht von Händlern, die den Weltmarkt beherrschen.
Es sieht doch im Augenblick konkret so aus, dass allein die großen Industrienationen über Wohl und Wehe und Not und Elend auf dieser Welt entscheiden. Und alle Prognosen sagen eigentlich, dass trotz aller Zuwächse die Armut auf der Welt eben nicht abgeschafft wird. Die Länder der Dritten Welt werden Länder der Dritten Welt bleiben, die Zuwächse, die etwa im Energiebereich auf 50 bis 60 Prozent in den nächsten 20 Jahren geschätzt werden, verbraucht man anderswo. In den armen Ländern wird auch weiterhin nur Ausbeutung stattfinden, ihre Rohstoffe, ihre Arbeitskräfte werden billig benutzt werden. Ich bin davon überzeugt, dass es ein großer Irrtum ist, zu meinen, eine solche Ausbeutung armer Länder betreiben zu können, während man sich hier gänzlich dem Sektor "Dienstleistung" widmet. Das ist - neben allen moralischen Bedenken - schon deshalb ein Irrtum, weil auch wir die Menschen dafür nicht haben; denn dann müssten wir ein Volk von ausschließlich hochqualifizierten, studierten Menschen sein. Zur Welt kommen aber Gottseidank immer noch ganz normale Menschen. Wir brauchen also auch hier weiterhin industrielle Produktion, СКАЧАТЬ