Название: Die Seele des Ruhrgebiets wäre dann weg
Автор: Thomas Hölscher
Издательство: Bookwire
Жанр: Социология
isbn: 9783750218901
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Wie gesagt: aus meiner Sicht ist der Bergbau hier am Ende. Ich habe eine ganze Reihe von Bekannten, die noch aktiv tätig sind, wir haben ein regelmäßiges Treffen ehemaliger Steiger, insgesamt erfährt man also noch recht viel über die augenblickliche Situation. Und da stehe ich mit meiner Meinung auch nicht allein. Wir wissen doch alle, was der Bergbau unter Tage kostet. Als ich z.B. 1960 den ersten Streb eingerichtet habe, da hat das ungefähr 1 Million Mark gekostet. Heute kommt man für den gleichen Streb nicht unter 20 Millionen Mark weg. Gut, heute braucht man für den gleichen Streb nur noch ein Fünftel der Leute oder sogar noch weniger, die Personalkosten sind also vielleicht geringer; aber das wird durch die immensen Kosten für die Maschinen wieder ausgeglichen. Heute wird doch nichts mehr mit Panne und Hacke gemacht; da stehen computergesteuerte Maschinen unter Tage, für deren Bedienung man schon fast das Abitur benötigt, um es mal so auszudrücken. In diesem Zusammenhang ist es natürlich erstaunlich, dass der Bergmann sich im Laufe der Jahre in diese neue Technik immer hineindenken konnte; wir haben zwar vonseiten der Zeche Zusatzausbildungen angeboten, aber im großen und ganzen ist der Bergmann immer mit der Technik gewachsen.
Aber was heute zählt, sind allein die Gesetze der Marktwirtschaft. Und da ist das alles eben eine einfache Rechnung. Wenn ein Unternehmer die Wahl hat zwischen einer Tonne Koks für 240 Mark und einer Tonne Koks für 90 Mark, dann ist doch wohl klar, welche Entscheidung er trifft. Und moralische Bedenken zählen auf dem Markt gar nichts. Als ich vor ein paar Wochen in der Gewerkschaftszeitung einen Bericht über die Kinderarbeit im kolumbianischen Bergbau gelesen habe, da kamen mir wirklich die Tränen. Deren Kohle wird hier bei uns verfeuert, weil die Tonne davon nur 50 Mark kostet. Aber das wird man nicht ändern. Selbst wenn wir hier sagen würden, diese Kohle nehmen wir nicht, weil sie durch Kinderarbeit gewonnen wurde, dann kaufen andere sie trotzdem; und morgen am Tag ist auch für uns wieder ein neuer Markt da, auf dem die Kohle zum gleichen Preis zu beziehen ist und wo wir uns von neuem fragen müssten, unter welchen Bedingungen denn diese Kohle gewonnen wurde.
Was in der augenblicklichen Situation für unsern Bergbau besonders dramatisch ist, das ist die Tatsache, dass man den Abbau der Förderung und der Belegschaft in Zukunft nicht mehr in dem Maße sozial absichern kann, wie man das bisher getan hat. Bisher ist ja noch niemand wie man so sagt ins Bergfreie gefallen; aber in Zukunft wird das nicht mehr möglich sein. Durch Verlegungen auf andere Zechen kann das kaum noch geschehen, und vor allem ist das Durchschnittsalter der Belegschaften heute derart niedrig, dass auch an irgendwelche Regelungen über den frühzeitigen Ruhestand nicht zu denken ist. Als wir die ausländischen Arbeitnehmer hierhin holten, da hatten wir z.B. auf "Hugo" noch eine ganz andere Altersstruktur. Das Durchschnittsalter lag damals bei 50 Jahren, die Belegschaft war völlig überaltert, und ohne die Ausländer hätten wir schon damals gar nicht weitermachen können. Damals war doch niemand von der jungen Generation noch bereit, gefährliche oder schmutzige Arbeit zu machen. Und natürlich gab es noch genügend andere Arbeitsplätze in der Industrie. Wir haben damals auch große Einbrüche gehabt, als z.B. in Bochum die Opel-Werke aufmachten, als VW in Kassel aufmachte. In der Zeit sind viele aus dem Bergbau abgewandert, vor allem junge und gut ausgebildete Leute waren von einem Tag auf den anderen weg.
Die augenblickliche Situation hat natürlich auch Konsequenzen für das Arbeitsklima. Was ich aus Gesprächen mit aktiven Kollegen mitbekomme, geht in die Richtung: Ich mache zwar meine Arbeit, aber mehr auch nicht. Der Tag X kommt doch sowieso. Und was ich auch tue, ich kann das nicht verhindern. Mit dem größten Engagement kann ich den Bergbau nicht retten. Diese Haltung habe ich in Gesprächen oft gehört. Und wenn ich mich einmal in die Situation eines heutigen Bergmanns hineinversetze, dann wüsste ich, was ich tun würde: Ich würde sofort eine Umschulung machen; denn eine Alternative gibt es doch gar nicht. Es sei denn, man will warten, bis man auf die Straße gesetzt wird. Man muss dabei auch sehen, dass den Bergleuten in puncto Umschulung im Augenblick noch einiges geboten wird. Die RAG zahlt doch sogar zum Unterhaltsgeld des Arbeitsamtes noch bis zur vollen Höhe des ursprünglichen Gehalts dazu. Und auch das wird wohl nicht ewig so bleiben.
Ich muss gestehen, dass ich, bedingt durch meine Krankheit, damals doch schnell einen gewissen Abstand zum Bergbau gewonnen habe. Oder anders ausgedrückt: Meine Erinnerungen beziehen sich noch auf die besseren, die relativ sorglosen Zeiten des Bergbaus. Es begann eigentlich erst nach 1985 sehr kritisch zu werden, fast kriminell. Ganze Anlagen wurden einfach geschlossen, die Belegschaften auf andere Zechen verteilt, persönliche Bande zerrissen. So etwas kann man doch nicht machen! In Kamen wird die Zeche zugemacht, die Leute müssen von heute auf morgen nach "Hugo", die Familien bleiben aber dort wohnen. Den Vater karren wir jeden Tag mit dem Bus hin und her, eine Stunde hin, eine Stunde zurück; so ein Mann ist jeden Tag mindestens zehneinhalb Stunden von zu Hause weg, und trotz all seiner Bemühungen werden sich seine Gedanken immer nur um die Frage drehen: Und wann macht "Hugo" dicht? Vor allem bei den etwas älteren wird es so gehen. Die jüngeren haben immer noch die Chance zur Umschulung, bei den älteren ist diese Unsicherheit, diese Existenznot wahrscheinlich ganz erheblich. Und so etwas lässt sich auch nicht auf den Arbeitsplatz begrenzen; das hat auch Konsequenzen für das Privatleben, für die eigene Familie.
Im Augenblick geht im Ruhrgebiet eben nicht nur der Bergbau kaputt, nicht nur einzelne Zechen. Da hängt doch viel mehr dran, eine ganze Tradition, zwischenmenschliche Beziehungen. Ich bin passionierter Radfahrer und fahre sehr viel kreuz und quer durch das Ruhrgebiet, und dann wird einem das Verschwinden des Bergbaus ganz deutlich vor Augen geführt. Plötzlich ist auch noch diese Zeche verschwunden, steht jener Förderturm nicht mehr. Vor ein paar Tagen bin ich mit meiner Frau auf den Rungenberg geklettert, und von da oben habe ich ihr gezeigt, da war mal ein Schacht, dort auch, da war diese Kokerei, die uns jedesmal die Wäsche so zugesaut hat, dass wir sie gleich reinholen und noch einmal waschen konnten. Da hinten war ein Zechengasthaus. Und plötzlich wird einem klar, das ist eigentlich schon alles weg. Und was noch besteht, das geht nun auch noch scheibchenweise den Bach runter. Schade ist das. In Mitteldeutschland, in Staßfurt, habe ich so etwas schon einmal erlebt. Auch dort habe ich erleben müssen, СКАЧАТЬ