Die Seele des Ruhrgebiets wäre dann weg. Thomas Hölscher
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Название: Die Seele des Ruhrgebiets wäre dann weg

Автор: Thomas Hölscher

Издательство: Bookwire

Жанр: Социология

Серия:

isbn: 9783750218901

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СКАЧАТЬ kam, sagte der nur: Sie tragen sich doch mit Fluchtgedanken. Sie wollen doch nur in den Westen rüber. Die hatten also meine Post abgefangen. Das war übrigens Anfang 1948. Ich muss noch hinzufügen, dass die Betriebsräte auf der Schachtanlage in Staßfurt so rot waren, wie es roter nicht ging; und bei denen kam ich ohnehin nie auf den grünen Zweig. Ganz offensichtlich hatten die mich schon auf ihrer Liste vorgemerkt, und bei der kleinsten Kleinigkeit sollte ich dann dran sein. Ich wusste das von einem guten Bekannten, der ebenfalls im Betriebsrat saß und mir immer mitteilte, was dort hinter meinem Rücken gegen mich lief.

      Im Juli 1948, kurz nach der Währungsreform, wurden in Aue, im Uranbergbau, Bergleute gebraucht. Ich kam zur Zeche, hatte Mittagsschicht, musste zum Betriebsführer, und der sagte mir: Melden Sie sich mal beim Fahrsteiger, der hat für Sie eine Mitteilung! Dann bekam ich einen Zettel, Sie haben für zwei Tage Marschverpflegung und Decken mitzubringen; morgen früh um sechs Uhr melden Sie sich hier auf dem Zechengelände und werden von dort mit dem Lkw nach Aue gebracht. Dort können Sie ja dann Ihr Praktikum beenden. Das Praktikum war natürlich nur das offizielle Mäntelchen, um mich dort hinzuschicken. Aue stand damals schon in einem sehr schlechten Ruf. Der Uranbergbau wurde dort mit geradezu mittelalterlichen Mitteln betrieben. Auf die Gesundheit der Menschen wurde nicht die geringste Rücksicht genommen. An dem Abend bin ich dann nach Hause gekommen, habe zu meiner Mutter gesagt: für mich ist die Zeit hier abgelaufen, habe meinen Rucksack genommen und bin mit dem letzten Zug aus Staßfurt rausgefahren in Richtung Westen, so weit wie ich kam. Bei Nacht und Nebel bin ich dann die letzten 20 Kilometer bis zur Grenze gelaufen; auf DDR-Seite gab es ja diese sog. Sperrzone an der Grenze, die man überhaupt nur mit Sonderausweisen betreten durfte. Ich bin bis kurz vor die Grenze bei Helmstedt gekommen; noch auf östlicher Seite hatte ich einen guten Bekannten wohnen, der im Westen im Braunkohletagebau arbeitete. Das war damals noch möglich; die Arbeiter pendelten jeden Tag über die Grenze. Diesem Bekannten habe ich mich anvertraut und habe dort noch einige Stunden schlafen können. Er meinte, du nimmst morgen früh mein Fahrrad, meinen Rucksack, ziehst meine Kleidung an, und dann fährst du einfach rüber. Ich weiß es noch ganz genau, es war ein schreckliches Wetter, regnerisch, für die Jahreszeit viel zu kühl, und als ich an die Grenze kam, dachte ich, mein Herz bleibe jeden Augenblick stehen. Dann war aber doch alles ganz einfach, die Vopos spielten Skat, und ich war drüben. Hinter der Grenze habe ich mir erstmal eine Zigarette angesteckt, und dann war das ein Gefühl wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten an einem Tag.

      In Helmstedt wohnte wieder ein guter Bekannter von mir aus Schlesien, der auch im Braunkohlebergbau arbeitet. Der hat mir 20 Mark gegeben, und das war 1948 natürlich viel Geld. 18 Mark kostete dann die Fahrkarte nach Gelsenkirchen, zwei Mark blieben mir, um noch ein paar Briefe zu schreiben - das Porto betrug damals 20 Pfennig. Nachdem ich mich in Gelsenkirchen auf der Zeche "Bismarck" gemeldet hatte, bin ich schließlich mit 20 Pfennig in der Tasche im Durchgangslager Bochum-Hiltrop eingetroffen. Ich hatte die Zusicherung, auf "Bismarck" anfangen zu können, aber durch dieses Lager musste ich dennoch.

      Am 2.August 1948 habe ich dann tatsächlich auf "Bismarck" angefangen zu arbeiten, hier in Erle auf der alten Schachtanlage. Gewohnt habe ich zwei Jahre lang im Lager am Forsthaus, wo heute der Fußballplatz von Erle 08 liegt. Dann bin ich auf die Suche gegangen nach einem Kosthaus und habe das in Erle auf der Waldstraße auch gefunden. Dort habe ich neun Jahre mit einem Kollegen zusammen gewohnt und war dort wirklich wie bei Muttern untergebracht. Bis 1956 habe ich dann auf der Schachtanlage hinter dem Kanal an der Uechtingstraße gearbeitet, habe in der Zwischenzeit meine Bergvorschule gemacht, weil das, was ich drüben an Ausbildung schon absolviert hatte, hier im Westen nicht zählte. Nach der Bergvorschule habe ich auf "Hugo" angefangen, habe in Essen die Steigerschule besucht, war im Oktober 1958 Lehrsteiger, und im April 1959 habe ich als Steiger auf "Hugo-Ost" angefangen. Dort bin ich bis zu meiner letzten Schicht 1986 geblieben. Ich musste frühzeitig ausscheiden, weil ich einen schweren Herzinfarkt bekommen habe und danach grubenuntauglich war.

      Ich sagte gerade schon, ich war mit Leib und Seele Bergmann. Früher hätte ich mir das selber nicht vorstellen können; denn als wir noch in Schlesien wohnten und ich dort zur Schule ging, da war der Bergbau für mich doch ganz weit weg. Nicht unbedingt räumlich; von uns aus waren es vielleicht 60 Kilometer bis zu den ersten Gruben in Gleiwitz. Aber mit dem Bergbau war für mich immer etwas fast Mystisches verbunden, die Gefahr, die Tiefe, das Dunkle, und das alles war absolut nichts für mich. Es gab auch in unserer gesamten Familie nicht einen einzigen, der jemals etwas mit dem Bergbau zu tun gehabt hätte. Da gab es eigentlich nur Geschäftsleute, Kaufleute. Mein erster Berufswunsch als Junge war übrigens, Förster zu werden; das bot sich eigentlich auch an, weil mein Vater Inspektor auf einem Gut war. Den Ausschlag für den Bergbau hat letztlich nur die Situation nach dem Krieg gebracht, die sich vor allem auf einen Begriff reduzieren lässt: Hunger. Hunger bis in die Kniekehlen. Und natürlich die Verpflichtung meiner Familie gegenüber. Der Bergbau lag plötzlich einfach nahe: Das begann mit dem Deputat, das es damals gab. Das waren 100 Zentner Briketts, und die hatten damals drüben einen enormen Wert: für drei Zentner Brikett gab es zwei Zentner Kartoffeln. Dann bekam ich unbegrenzt Rohbraunkohle, so dass wir selber die Briketts gar nicht zum Feuern brauchten, sondern alle verkaufen konnten. Ferner gab es zwei Flaschen Schnaps und 100 Zigaretten im Monat; es gab Sonderzuteilungen an Verpflegung, mal eine Kiste Harzer-Roller, mal Margarine oder Marmelade zusätzlich. Jedes halbe Jahr gab es Stoff für einen Anzug oder irgendetwas anderes. Es gab jeden Tag - wie hier damals auch - die zwei Doppelten, also Butterbrote, bei der Anfahrt, außerdem einen Topf Suppe. Ich hatte zudem einen guten Bekannten, der auf der Zeche in der Küche arbeitete, und der gab mir immer noch einen Topf Suppe extra, den ich nach Hause mitnehmen konnte. Solche Gründe waren für mich damals ausschlaggebend, um in den Bergbau zu gehen. Hinzu kam, dass es auch kaum eine Alternative gab; es bestand fast keine Möglichkeit, irgendeinen anderen Beruf zu erlernen. Außerdem bot der Bergbau auch noch die Chance, dass ich weiterlernen konnte: Grundausbildung, drei Jahre Praktikum, anschließend noch einmal drei Jahre Schulbesuch, um dann als Bergingenieur zu arbeiten.

      Zunächst einmal war es also einfach die Not nach dem Krieg, die mich zum Bergbau gebracht hat. Aber das erklärt noch nicht, weshalb ich schließlich mit Leib und Seele Bergmann war. Ich hatte wirklich ein fast unverschämtes Glück: Meine erste Schicht habe ich auf der Braunkohlengrube "Löderburg" verfahren, wo die Braunkohle, die nur 60 Meter tief lag, im Tiefbau abgebaut wurde. Ringsum gab es überall nur Tagebau, nur auf dieser Grube Tiefbau. Gleich am ersten Tag wurde ich einem alten Meisterhauer zugeteilt, der ein so gestandener Bergmann war, wie man ihn sich nur vorstellen kann. Und der hat es eben verstanden, mich für den Bergbau zu begeistern. Ich war außerdem sehr lern- und wissbegierig, und das gefiel ihm. Ich habe rund ein halbes Jahr bei ihm die Ausbildung geradezu genossen, und in der Zeit war er für mich fast wie ein Vater. Wir haben vieles mitgemacht, z.B. einen Wassereinbrauch am Heiligen Abend, bei dem wir schon meinten, jetzt könnten wir unser letztes Vaterunser beten. Oder auch einen Gebirgsschlag, bei dem fast 500 Meter Strecke zusammengebrochen sind und wir in einer kleinen Nische festsaßen. Und trotz solcher Dinge habe ich bei diesem Mann nie das Gefühl gehabt, Angst haben zu müssen. Wie er dieses Gefühl rübergebracht hat, kann ich gar nicht erklären. Dieser Mann war einfach mit dem Berg verwachsen; der wusste auf jede Frage, die der Berg stellte, eine Antwort. Leicht war die Arbeit allerdings nicht. Die Zeche war schon ziemlich alt, fast 250 Jahre; während des Krieges hatte man schon einmal moderne Maschinen im Einsatz gehabt, aber das hatte sich letztlich nicht rentiert. Die Kohle musste also von Hand gemacht werden. Außerdem gab es nur offenes Geleucht, eine Karbidlampe über dem Kopf. Der Schacht war wie gesagt 60 Meter tief, es durfte keine Seilfahrt durchgeführt werden; nur die Kohle durfte am Seil nach oben gezogen werden, wir mussten morgens über Leitern 60 Meter nach unten, mittags über Leitern wieder nach oben. Und das alles mit Rucksack, in dem wir unsere Marschverpflegung verstaut hatten, manchmal ein paar Kartoffeln, oder eine Wasserrübe, denn Brot war ja knapp. Auf der Rückfahrt sollte der Rucksack eigentlich leer sein; aber dann steckte z.B. ein 1,60 m langer Holzstempel von 15 cm Durchmesser, klein gesägt, im ehemaligen Luftwaffenrucksack, und das Gewicht schleppte man mittags über 60 Meter nach oben.

      Es war wirklich sehr mühsam. Ich sagte gerade schon, dass ich mich heute nicht mehr für den Bergbau entscheiden würde. Der Stand der Mechanisierung im heutigen Bergbau ist dafür ein wichtiger Grund. СКАЧАТЬ