Die Seele des Ruhrgebiets wäre dann weg. Thomas Hölscher
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Название: Die Seele des Ruhrgebiets wäre dann weg

Автор: Thomas Hölscher

Издательство: Bookwire

Жанр: Социология

Серия:

isbn: 9783750218901

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СКАЧАТЬ orientiert man sich natürlich vor allem an bestimmten Daten und Zahlen, und dann komme ich zu dem Ergebnis, dass über einen sehr langen Zeitraum noch Steinkohle benötigt wird, zur Verstromung, zur Wärmeerzeugung und zu all dem, was aus Steinkohle noch produziert wird. Ich bin also trotz allem eher optimistisch. Wenn man die Entwicklungen der letzten Zeit betrachtet, dann muss man doch die Unsicherheitsfaktoren bei den Energien erkennen, die wir im Augenblick importieren. Nehmen wir z.B. unsere Gasversorgung aus Russland: Ist die auf dem Hintergrund der politischen Instabilität dort wirklich so sicher? Oder nehmen wir den ehemaligen Ostblock insgesamt: Wenn in den jetzt veränderten Staaten die Wirtschaft einmal ans laufen kommen sollte, dann werden die ihre eigenen Energien in viel größerem Ausmaße selber benötigen und nicht mehr zu Tiefstpreisen exportieren. Wir würden uns dann wohl andere Märkte suchen müssen und spätestens, wenn wir diese Märkte nicht mehr finden, fragen, wo wir noch eigene Rohstoffe und Bodenschätze haben. Wir werden wieder auf unsere eigenen Rohstoffe zurückgreifen müssen, unabhängig davon, ob die Kosten dafür etwas höher sind oder nicht.

      - Als Sie in den 50er Jahren im Bergbau abgefangen haben, hätten Sie sich da vorstellen können, dass es einmal mit dem Bergbau in Deutschland zu Ende geht?

      So etwas konnte ich damals gar nicht beurteilen. Ich hatte allerdings gerade ausgelernt, da hatten wir schon die ersten Feierschichten. Ganz konkret hatten wir hier auf dem Bergwerk in den Jahren '58 und '59 einmal 32, einmal 35 Tage arbeitsfrei, weil wir unsere Produkte schon damals nicht loswerden konnten. Eigentlich hat die Krise aber schon 1956-57 begonnen, zumindest im politischen Bereich; denn damals sind auf Bundesebene die Entscheidungen gefallen zum Aufbau der Kernenergie und zur verstärkten Nutzung von Öl. Beide Produkte, die man damals für den deutschen Markt zugelassen hat, waren schon zu jener Zeit viel billiger als unsere eigene Energie. Das war der eigentliche Einstieg in die Krise des Bergbaus. Damals hatten wir noch fast 700000 Beschäftigte im Bergbau; heute sind wir noch knapp über 110000 Beschäftigte.

      - Hat sich durch die augenblickliche Krise das Arbeitsklima auf der Zeche verschlechtert?

      Nein. Insgesamt spannt die augenblickliche Situation natürlich an, weil sie ja doch die Gefahr in sich birgt, von Arbeitslosigkeit betroffen zu sein. Verständlicherweise kostet diese Unsicherheit jeden ein paar Nerven. Aber auf das Verhältnis untereinander hat das keine negativen Auswirkungen. Unter dem Gesichtspunkt der Kostenminimierung ist der Druck im Betrieb zwar gestiegen, es gibt viel mehr Situationen von Stress oder sogar Dauerstress, und dementsprechend gibt es natürlich auch mehr Reibungspunkte; und doch hat, was früher Gültigkeit hatte, auch heute noch Gültigkeit. Mit der Einschränkung allerdings, dass sich die Gesellschaft insgesamt verändert hat. Wir sind alle größere Egoisten geworden, das verspürt man schon. Wenn ich einmal davon ausgehe, dass wir, schon eine ganze Zeit in der Bergbaukrise steckend, immer noch Anwerbung von ausländischen Mitarbeitern betrieben haben, weil die andere Industrie boomte und die Bergleute in größerem Maße den Bergbau verlassen haben, als der Bergbau das damals verkraften konnte, dann kommen wir in der Zusammensetzung, in der wir uns im Bergbau heute befinden, eigentlich ganz hervorragend miteinander aus. Das betrifft alle Nationalitäten. In den 50er Jahren kamen Italiener und Spanier, Anfang der 60er Jahre Jugoslawen, Türken, Marokkaner, Tunesier. Die zahlenmäßig stärkste Gruppe sind ja die Türken gewesen, die wir noch bis '72, '73 angeworben haben. Selbst die letzten, die wir angeworben haben, sind mittlerweile also schon über 20 Jahre hier. Und die Verantwortung unter Tage hat bei allen Kollegen das Zusammensein und das Zusammenhalten geprägt. Wir kommen gut miteinander aus.

      - Im Bergbau gibt es also keine Ausländerfeindlichkeit?

      Nein, im Untertagebereich gibt es so etwas nicht. Da gibt es natürlich Reibungspunkte, unter Deutschen und Ausländern, unter Deutschen und Deutschen, aber die gibt es auch unter den Ausländern selber. Gerade bei den türkischen Kollegen kann man hin und wieder sehr deutlich spüren, aus welchen Regionen ihres Heimatlandes sie kommen, da gibt es nämlich erhebliche Unterschiede. Aber in aller Regel bleibt alles bei verbalen Auseinandersetzungen, und großartige Drohungen wie "Warte mal bis vor dem Zechentor!" - was ich schon während meiner Ausbildung hier und da gehört habe, - hört man eigentlich selten.

      Auf unserer Anlage hatten wir maximal 26 verschiedene Nationalitäten, und man muss einfach sehen, dass wir ohne die ausländischen Kollegen den Bergbau damals nicht mehr hätten weiterführen können. Wir haben heute einen Ausländeranteil, der sogar noch höher ist als vor 10, 15 Jahren; das hängt damit zusammen, dass auch die Kinder in der zweiten und teilweise schon dritten Generation ihre Ausbildung bei uns beginnen. Insgesamt beträgt der Anteil der Ausländer an der Gesamtbelegschaft knapp 30 Prozent. Ich kann mir nicht vorstellen, dass, wenn bei uns die ausländischen Kollegen nicht mehr da wären, dafür Deutsche in den Bergbau hineingingen. Die Arbeit ist nach wie vor schwer, sie verlangt jedem einzelnen viel ab. Hinzu kommen die Klimabedingungen, die sich mit jedem Meter ändern, den wir weiter in die Teufe gehen; es ist da oft nicht nur warm, es ist wirklich heiß, und auch Staub gibt es nach wie vor da unten. Kurzum: ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass diejenigen, die heute bei uns arbeitslos sind, im Zweifelsfall unter Tage arbeiten würden. Wobei wir allerdings bestimmte Symptome aus der Vergangenheit kennen: früher kam es oft vor, dass wir jeweils in den Wintermonaten sog. Saisonarbeiter hatten. So wie die Sonne höher stieg, waren diese Leute verschwunden, im Herbst waren sie wieder da. Das lief einfach unter dem Motto: auf der Zeche ist es wenigstens nicht kalt, und man hat ein Dach über dem Kopf. Sogar ein sehr dickes. Mehrere hundert Meter.

      - Können Sie die Stimmung unter den ausländischen Mitarbeitern angesichts der schlechten wirtschaftlichen Situation und der zunehmenden Ausländerfeindlichkeit beurteilen?

      Da muss man deutliche Unterschiede machen. Ich nehme noch einmal die stärkste Gruppe, die türkischen Kollegen. Die ersten sind ja bereits Anfang '63 gekommen. Sie sind in einem bestimmten Alter hier hingekommen und haben zumeist schon große Kinder mitgebracht. Es sind mittlerweile über 30 Jahre vergangen, dort wird jung geheiratet, so dass wir im Augenblick tatsächlich schon von der dritten Generation sprechen können. Ganz allgemein weckt das, was wir heute an Ausländerfeindlichkeit in der Bundesrepublik beobachten, Ängste bei diesen Menschen. Das verspürt man deutlich. Oft sagen sie, selbst wenn wir im Arbeitsleben und teilweise auch im Privatleben gut miteinander auskommen, dann gibt es diese Ausländerfeindlichkeit eben immer noch. Viele der türkischen Kollegen hatten anfangs gedacht, ohnehin wieder in die Türkei zu gehen; aber das wurde und wird natürlich von Jahr zu Jahr schwieriger. Bei der Anwerbung hat sicherlich niemand auch nur geahnt, dass daraus ein ganzes Arbeitsleben in Deutschland wird. Wir sitzen immer noch mit denjenigen Kollegen zusammen, die ihre letzte Schicht verfahren, und seit Mitte der 80er Jahre waren auch die ersten ausländischen Kollegen dabei. Und bei dieser Gelegenheit habe ich dann den einen oder anderen gefragt, was er denn nun machen will und ob der ursprünglich beschriebene Weg wieder nach Hause auch durchgeführt wird. Und dann haben eine ganze Reihe der Männer gesagt, ich will eigentlich immer noch nach Hause; aber die Frau geht sowieso nicht mit, weil die Kinder hier sind und hier Arbeit haben. Und damit ist eigentlich entschieden, dass ich auch hier bleiben muss. Sie nehmen sich dann meistens vor, einen Teil des Jahres hier, einen Teil in der Türkei zu verbringen. Einerseits wollen die älteren ihre Verbindungen, die sie noch zur Türkei haben, aufrecht erhalten; andererseits bleibt so der Kontakt zur Familie bestehen. Denn die Familie will in aller Regel nicht wieder zurück. Dieser Weg ist ihnen einfach durch die Entwicklung und durch die Zeit versperrt. Es gibt eine ganze Reihe türkischer Kollegen, die immer gesagt haben, wir gehen hier auf jeden Fall wieder weg. Und sie sind alle noch hier. Einige haben mir sogar gesagt: Anscheinend habe ich in meinem Leben alles falsch gemacht. Für die Zeit nach meinem Arbeitsleben habe ich mir in der Heimat ein Haus gebaut, oft ein zweites Haus gebaut, manchmal sogar in einem Urlaubsgebiet auch noch eine Ferienwohnung gekauft, und jetzt steht das alles da, und ich muss hier bleiben. Und die Kinder haben überhaupt kein Interesse daran, das alles einmal anzunehmen. Diese Menschen werden hier bleiben trotz der Angst, die sie wegen der zunehmenden Ausländerfeindlichkeit bei uns haben.

      - Sie sagten, die Stimmung unter den Kollegen sei angespannt. Was überwiegt: Hoffnung oder Resignation?

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