Am Rande. Eine Bemerkung. Anna Lohg
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Название: Am Rande. Eine Bemerkung

Автор: Anna Lohg

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783742722935

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СКАЧАТЬ das Gesicht des Krieges sehen. Der Schrecken war an diesen Heimkehrern deutlich zu erkennen, manche zitterten noch, schüttelten sich, Krieg, das war nichts, wo irgendjemand hingehen sollte.

      Noch während dieses ruhigen Friedens, früh am Morgen eines sonnigen Tages, mein Großvater saß in diesem großen, dunkeln Gemäuer vor der Tafel, da hörten sie es kommen, zuerst noch leise, dann lauter werdenden. Ein donnerndes Grollen näherte sich dem Dorf. Die Kinder wussten es sofort, auf ihren Stühlen waren sie nicht mehr zu halten, noch nie zuvor hatten sie eines gesehen, aber längst davon gehört und jetzt sollte es kommen, von den Hügel her über das Dorf sausen. Da standen sie dort unten, die ganze Schule war auf den Schulhof gelaufen und alle starrten gebannt in den blauen Himmel. Das stille Staunen sollte schallendem Jubel weichen, als dieses Flugzeug im Tiefflug über den Hof donnerte. Die Kinder winkten und winkten ihm nach und es schien als strecke jemand dort oben am Himmel die Hand aus, zum Gruß. Das, so dachte mein Großvater, nachgerade davon war er überzeugt und mit ihm vermutlich all die anderen Kinder, das sei die Zukunft. Eine blendende Zukunft, die ihnen aus einem Flugzeug zu winkte! Was für eine großartige Welt würden die Erwachsenen ihnen noch bereiten? Mit was für wunderbaren Sachen würden sie die Kinder noch überraschen? Im Grunde waren es doch herrliche Spielsachen, diese Radios, diese Automobile, nun Flugzeuge. Was wäre als nächstes dran? Vielleicht ein Flug zum Mond, der Sonne, den Sternen?

      Damals, dort auf diesem Schulhof, hatte mein Großvater keinen blaßen Schimmer, dass dies wunderbare Flugzeug irgendwo in der Ferne krachend eine Bombe abwerfen würde, damit die da unten alle stolpern oder so aussehen wie der Nachbar. Erwachsene basteln sich eben ganz herzergreifende Spielsachen, denken sich ganz possierliche Spielchen aus und ziehen sogleich in die nächste Schlacht, in den Kampf um die Ehre, Stolz, weiß der Kuckuck. Dabei versteht kaum ein Krieger dasselbe unter Ehre und jeder Krieger hat seinen ganz eigenen Stolz. Wenn wie zum Trotz endlich etliche massakriert wurden, Frauen und Kinder vergewaltigt sind, Dörfer dem Erdboden gleichgemacht und Städte niedergebrannt, dann, ein paar Jahre später, ruht friedlich auf dem einst blutverschmierten Schlachtfeld ein Parkplatz. Für Autos zum Stehen.

      Kurz nach dem Flugzeug kamen die Feinde ins Dorf. Feinde, das sind immer diesselben Leute, letztlich kaum voneinander zu unterscheiden, kann ausnahmslos jeder damit gemeint sein. Feinde, wenn nicht im Spiegel, machen sich vornehmlich dadurch bemerkbar, dass die ohne Rücksicht auf Verluste durch die Rabatten marschieren. Das ist denen ja sowas von scheißegal, ob die den jungen Kohl platttreten oder die Kartoffeln zertrampeln. Und die kamen wie immer, auch diese Feinde waren über denselben Hügel gekommen: vom Friedhof aus betrachtet, die Kathedrale im Rücken, links.

      Mein Großvater hatte noch nie einen Feind gesehen und tatsächlich, ohne Vorbehalte, räumte er schnell, sehr schnell ein, wie sehr ihm dieser Feind imponierte. Gleich beim ersten Mal hatte nur hingucken gereicht. Da stand der Feind, gänzlich unerwartet, im Garten, als mein Großvater von der Schule nach Hause kam. Fröhlich pfeifend, vermutlich die Hymne seines siegreichen Landes, stand er am Zuber mit nacktem Oberkörper und wusch sich. Meinem kleinen Großvater fiel die Kinnlade runter, so dermaßen verblüfft war er. Der wusch sich, der Kerl, ganz ungeniert, den Bauch, immer noch pfeifend unter den Achseln, die Arme, schließlich das Gesicht. Mit Wasser. Endlich fand mein Großvater seine Sprache wieder.

      "Bat öhs dat dann?", schrie er.

      "N' Neja.", sagte seine Mutter, die neben ihm gestanden hatte und mindestens genauso erstaunt diesem Schauspiel gefolgt war. Sie hatte schon öfter so einen gesehen, wenn mal wieder die drei heiligen Könige durch das Dorf gezogen waren, aber der schwarze König wusch seine Farbe nach der Aufführung stets wieder ab. Doch die Farbe da, die ging nicht ab. Ganz zaghaft näherte sich mein Großvater dem Feind, vorsichtig, fast zärtlich strich er über dessen Arm.

      "Hey, boy.", lächelte der schwarze Mann und beachtlich schnell wurden aus Feinde Freunde, eben wie umgekehrt.

      Keine Ahnung, warum dieser Feind unter dem Banner der Streifchen und Sternchen in den Krieg gezogen war, was sollte es ihn kümmern, wenn die Barbaren Europa verwüsteten? Es hätte ihm eigentlich nur recht sein können, wenn sich in Europa die Weißen gegenseitig die Köpfe einschlugen: sollen die doch, bis keiner mehr von denen übrig ist. Wie meist in solchen Fällen wird es das Geld gewesen sein, stolzer Ehrenkram spielt dabei keine Rolle. Für Geld sind viele bereit, sich den Kopf einschlagen zu lassen, um sich anschließend vielleicht ein Stück Land zu kaufen, ein Haus drauf zu bauen, um darin eine Familie zu gründen, in Frieden Kinder groß zu ziehen, auf das jene es dann besser haben, was so viel meint, wie: die Kinder sollten es nicht nötig haben, sich für Geld den Kopf einschlagen zu lassen.

      Jedenfalls wurden der große schwarze Mann und der kleine weiße Großvater Freunde, für die Zeit, in welcher der Soldat im Ziegenstall des kleinen Hauses einquartiert war. Während die weißen Soldaten das prachtvolle Haus des Apothekers okkupierten oder sich selbst im stattlichen Haus des Fabrikant unterbrachten, hatten sie den einzigen schwarzen Mann der kleinen Einheit in einen Ziegenstall verbracht. Als sei er minderwertig durfte er zwar mit den Weißen im Schützengraben sterben, aber sich doch bitte in einer extra Unterbringung möglichst suhlen. Sowas wird vornehm Segregation genannt, nach dieser blöden Angewohnheit, Scheiße nicht beim Namen zu nennen. Mein Großvater konnte das Wort Segregation nicht einmal aussprechen und so verfiel er unbekümmert dem Rassismus, unbesehen alle Schwarzen extra klasse zu finden. Als wären alle so drauf wie dieser eine Soldat: ein guter Freund, der seine Ration schwarze, süße Schokolade mit einem kleinen Großvater teilt.

      Es war die erste Schokolade seines Lebens und nie wieder würde eine besser schmecken, von all den Unmengen, die er noch probieren sollte. Es blieb der unwiederbringliche Geschmack einer süßen Erinnerung an eine unbekümmerte Kindheit, in der die Welt lauter tolle Sachen für meinen Großvater bereit hielt. Und süß würde auch die Erinnerung an den Soldaten bleiben, mochte ihre Freundschaft nur ein paar Wochen angedauert haben, Großvaters Begeisterung sollte lange währen. Noch Jahre später sollte er amerikanischen Soladten unbedingt vertrauen, auf deren Großzügigkeit und auf deren amerikanischen Frohsinn. Vertrauen auf den schwarzen Mann, der seine weißen Zähne zeigt und breit lacht.

      "Okay!"

      Von Amerika hat mein Großvater dagegen nie geschwärmt, als würden ihn unbegrenzte Möglichkeiten nicht interessieren oder er glaubte einfach nicht daran. Reichte ihm die Welt zwischen den Hügeln und hinter den Wäldern vollkommen aus, dort sollte er stur einfach bleiben, sich nicht vom Fleck rühren, selbst dann nicht, als es angeraten gewesen wäre, mag rühmlich etwas anderes sein.

      

      Sein Vater, ein paar seiner Onkels, seine Brüder, etliche Nachbarn und abertausend Andere sind während jener vermeidbaren Episode umgekommen und ich, die Enkeltochter, weiß nicht einmal, um welche Wurst es bei diesem Großen Krieg eigentlich ging. Keine Ahnung, jedenfalls kurz danach sollte die Dorfschule meinen Großvater wieder ausspucken, neben Lektionen mit dem Rohrstock hatte er provisorisch lesen, schreiben und rechnen gelernt, viel mehr war nicht drin. Als hätte er ausgelernt, fragte mein Großvater auch nicht nach mehr. Auf die Idee, eine weitere Schule zu besuchen, sollte er nicht kommen, denn diese Möglichkeit lag nicht nur jenseits der Hügel, sondern vielmehr jenseits des Denkbaren und es gibt nichts, das noch weiter weg wäre. Da stand er dann also auf der Straße vor der Schule und hatte keine Vorstellung von irgendwas, aber vielleicht ist es übertrieben zu meinen, er hätte sich treiben lassen. Er ging erstmal nach Hause.

      Nach dem Großen Krieg war das kleine Haus geräumiger geworden und Erwin, der mittlere Bruder, erhob nun Anspruch darauf, hatte die Gunst des Krieges ihn zum ältesten Sohn gemacht. Dem Erwin sollte das reichlich zu Kopf steigen. Mit seiner Ehefrau bezog er umgehend das kleine Haus und machte es zu seinem Reich. Gut gelaunt verbannte Erwin seinen jüngsten Bruder und seine Mutter in die Kammern unter dem Dach, befruchtete unentwegt seine Ehefrau, auf das diese sodann putze, koche und den Garten bestelle. Der verbliebene Onkel nahm seine Ziege СКАЧАТЬ