Am Rande. Eine Bemerkung. Anna Lohg
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Am Rande. Eine Bemerkung - Anna Lohg страница 14

Название: Am Rande. Eine Bemerkung

Автор: Anna Lohg

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783742722935

isbn:

СКАЧАТЬ so kurz nach der Schule immer noch ein halbes Kind, wähnte sich mein Großvater erwachsen. Kaum meinte er damit, nunmehr ein Mann zu sein und irgendwelche Mätzchen der vermeintlichen Stärke aufführen zu müssen. Stöpselig wie er war, hätte ihm ein solches Gehabe sowieso niemand abgenommen, er sich selbst auch nicht. Das Ende der Schulzeit bedeutete ihm lediglich reine Ausgelassenheit, endlich ungestört mit Freunden abhängen. So trat er schon bald der Dorfkapelle bei, denn das waren die Jungs, die immer mittendrin standen, wenn es irgendwo was zu feiern gab. Musikalische Talente dürften in der Kapelle nicht zu finden gewesen sein, mochte mein Großvater stets standfest anderes behaupten und seinen eigenen Part ganz besonders glamourös beschreiben. In der Kapelle stand er ganz hinten, letztlich nicht zu sehen, hatte er um seinen stöpseligen Körper eine enorme Pauke geschnallt. Bums Tätärä, galt es bei Marschmusik den Takt zu finden. Hin und wieder schlug er sanft auf die Triangel. Ein Heidenspaß, hätte sein ganzes Leben so weiter gehen können. Immerhin, er hat ziemlich lange auf die Pauke gehauen.

      Ob seiner ausgeprägten Sorglosigkeit ging er schließlich sogar arbeiten, weil er nur auf diese Weise weiter den ganzen Tag mit den Jungs abhängen konnte, von denen die meisten sich längst im Wald verdingt hatten. Also wurde mein Großvater Forstarbeiter. Tagsüber den Wald aufräumen, dringend benötigtes Holz für die Energieversorgung sammeln, abends an der Pauke, so definierte er den Ernst des Lebens. Die Welt meinte es gut mit ihm, selbst dann, als andere dachten, sie würde nun endgültig zu Grunde gehen. Während er lustig musizierte, vermeinten andere dem Untergang beizuwohnen. Eigentlich passierte gar nichts Schlimmes, es gab kein vernichtendes Erdbeben, kein Meteoriteneinschlag, keine anhaltende Dürre, bloß das Geld verlor seinen sowieso fragwürdigen Wert.

      Fern ab des Geschehens im Wald hatten die entfernten Herrschaften aus dem Hauptnest des stets glorreichen Reiches wundersam das Geld vermehrt, um den angerichteten Schaden zu begleichen, wurde der Große Krieg nun zum teuren Vergnügen. Deshalb ließen die entfernten Herrschaften Unmengen an Scheinen drucken, wäre auch mein Großvater nicht auf eine bessere Idee gekommen, denn vom Kopf her macht es keinen Unterschied, ob entfernte Herrschaft oder Forstarbeiter, unterm Strich bleibt alles immer höchst menschlich. Doch mit der Magie des Geldes verhält es sich so, dass Überfluss stets irgendwo zum Verlust führt, wie beim Humankapital gilt, je mehr es davon gibt desto weniger ist es wert. Nebenbei ging dann auch noch irgendwo in Amerika eine Bank pleite, aber das kümmerte kaum irgendwen, war es selbst kundigen Zeitungen, wenn überhaupt, nur eine Randnotiz wert, eine Nachricht ohne Belang. Schien es wie der reinste Okkultismus, als schließlich die unkontrollierten Ströme des Geldes weltweit alles mit sich rissen, folgte auf die große Überraschung ein noch größerer Ruin, vor allem weil so irre viele Scheine im Umlauf waren, zu viel reinste Fiktion auf Papier. Immerhin waren jetzt jene froh, die gar kein Vermögen hatten, wie mein Großvater, der ohne Geld mit ungetrübt heller Freude an dem beschleunigten Verfall Anteil nahm

      "Ein Pfund Kaffee hat mehr als eine Millarde gekostet, mal kurz weg geguckt und schon kostete es ein paar Millionen mehr.", erzählte er mir, als könne er den Aberwitz immer noch nicht glauben. "Kannst du dir das vorstellen?", fragte er höchst freudig. Humorlos konnte ich nicht mal bis Zehn zählen und dachte mein Opa spinnt.

      Ob nun eine Milliarde, zwei oder drei, Kaffee hatte sich mein Großvater sowieso nie leisten können, das ließ ihn die rasende Verteuerung ganz beruhigt urkomisch finden. Doch die raffinierte politische Maßnahme der Geldvermehrung gepaart mit der engen Weitsicht der herrschenden Herrschaften sollte ganz unkomisch bis tief hinein in das kleine Haus reichen, als sich Erwins mühsam zusammen geklaubte Ersparnisse unter seiner Matraze galoppierend in Luft auflösten. Für diesen Verlust musste natürlich irgendjemand die Verantwortung tragen und ein Schuldiger war schnell gefunden, war Erwin bald nicht mehr der einzige, der dem Juden von nebenan an allem die Schuld gab, beschleunigten sich damit lediglich die desaströsen Verhältnisse. Bloß mein Großvater hatte nichts verloren und dafür musste er niemandem die Schuld geben, nicht einmal den ganz entfernten Herrschaften aus dem Reichshauptnest.

      Und in genau dieser Zeit, in der viele gebannt den Atem anhielten, entsprechend das Denken flächendeckend aussetzte, passierte, was passieren musste, schienen die Dinge unbeirrt ihren Lauf zu nehmen, als sich mein ungetrübter Großvater unsterblich verliebte. Zwar verliebt sich nicht jeder Mann in eine Frau, aber jene die es tun, verlieben sich immer in die gleiche, also immer in die schönste von allen. Mein Großvater blieb da keine Ausnahme, auch er verliebte sich in die schönste Frau, versteht sich im ganzen Dorf, ach was, hügelweit gab es keine, die je hätte schöner sein können. Bei einem Fest, auf der Tanzfläche, da hatte er sie zum ersten Mal gesehen. Wie das allerdings passieren konnte, bleibt rätselhaft, weil er doch ganz hinten in der Kapelle stand, fast völlig von der Pauke verdeckt, lauter große Kerle vor sich, mit Tuba, Trompete und Posaune. Wenn es schon nicht Liebe auf den ersten Blick gewesen sein konnte, so doch eine Liebe, die ihn hat durch alle hindurch sehen lassen oder größer werden, sowas in der Art.

      Nun, und diese schönste aller Frauen, die tanzte leichtfüßig zum suchenden Takt der Kapelle, tanzte, als würde sie ihr Leben lang nur tanzen wollen, einen Hüftschwung vollführen, der Blicke an sich bindet. Sie, sie liebte die Verführung, das Stattliche, das Prächtige, den Flitter und Glitter. Grazil tänzelte sie über den Morast hinweg, der die Tanzfläche bildete, weil es den ganzen Tag geregnet hatte. An jenem Abend warf sie dem adretten Sohn des Bürgermeisters kaum verschämte Blicke zu, seine Aufmerksamkeit wollte sie erregen, und ja, er zeigte sich erregt. Von meinen Großvater nahm sie keine Notiz, wie auch, dort hinter all den Blechblasinstrumenten.

      

      Es war Mias erstes Fest im Dorf, das erste, welches sie endlich alleine besuchen durfte, jetzt, kurz nachdem sie das Internat verlassen hatte. Dort hatte sie ihre gesamte Schulzeit verbracht und auch einen Beruf erlernt, versteckt im Wald zwischen Hügeln, in einem der zahllosen Frauenklöster der Gegend. Eine vergnügliche Zeit ist es ihr gewesen, unter lauter Mädchen, feste, beste Freundinnen, die ihre Vorlieben miteinander teilten. Ihre Mutter hatte sie und ihre jüngere Schwester Agnes, die beiden einzigen Kinder, dorthin geschickt, dafür allen Grund verkauft, sich sogar Brot, Butter sowieso, vom Mund abgespart, um den Mädchen diese kostspielige Erziehung zu gönnen. Nur eine rechte Bildung könne Unabhängigkeit ermöglichen, sollten wenigstens ihre Töchter emanzipierte Frauen werden. Nun mag sich Emanzipation kaum entfalten können, zwischen keuschen Bräuten eines polygamen Sohn Gottes, aber letztlich war es die weltliche Herrschaft, welche für die Frauen nur die Unmündigkeit bereit hielt. Nach Recht und Gesetz sei das Weib dem Manne untertan, sie bringe ihn auf die Welt, gebe ihm die Brust, pudere ihm das Popöchen und halte ihm sodann die Beine breit hin, damit er eitel seine Macht geniesse. Und um seine armselige Überlegenheit zu festigen, werde die höhere Bildung nur Auserwählten gewährt, damit die sich dann rühmen können, wie ungebildet alle anderen seien, lenkt das nämlich ungemein von der eigenen Unzulänglichkeit ab. In diesen Verhältnissen hatte Mias Mutter keine andere Wahl und mit der kargen Rente einer Witwe durch irgendeinen verlorenen Krieg blieb ihr auch sonst nicht viel übrig. In diesem Kloster könnten ihre Töchter zumindest mehr lernen als in der Dorfschule, dort könnten sie zudem eine Ausbildung machen und all dies fern ab vom anderen Geschlecht, welches die Mädchen unweigerlich auf die schiefe Bahn bringen würde. Das hatte sich Mias Mutter so ausgerechnet, jedoch kann selbst das schlüssigste Kalkül stramm an der gestellten Aufgabe vorbei schlittern.

      Zuerst ging die Rechnung mit Agnes nicht auf. Die hatte sich an einem Wochenende, vom Internat zu Besuch zu Hause, mit dem Sohn vom Klempner auf irgendeinem Heuboden vergnügt und davon einen dicken Bauch bekommen. Ihre Mutter seufzte, hatte sie doch genau das verhindern wollen. Agnes brach ihre klösterliche Ausbildung zur Haushälterin vorzeitig ab und heiratete, ausgerechnet den Sohn vom Klempner, klagte ihre Mutter, wenn schon eine Partie, dann wenigstens eine lohnende.

      "Du musst nicht heiraten. Ich kann dir mit dem Kind helfen.", bot ihr die Mutter an. Ein großzügiges Angebot, galten doch Leibesfrüchte als sakramentale Angelegenheit, entsprechend kamen uneheliche Kinder einem Aussatz gleich, geduldet nur als Frucht einer unbefleckten Empfängnis. СКАЧАТЬ