Der Traum: mehrbuch-Weltliteratur. Herbert George Wells
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Der Traum: mehrbuch-Weltliteratur - Herbert George Wells страница 10

Название: Der Traum: mehrbuch-Weltliteratur

Автор: Herbert George Wells

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783753199054

isbn:

СКАЧАТЬ St. Osyth-Kirche wurde von einem Geistlichen, namens Thomas Benderton, geleitet, dessen Gemeinde von Jahr zu Jahr abnahm, weil er die Leute durch Drohungen mit den Schrecknissen der Hölle in Angst zu versetzen pflegte. Er hatte meine Mutter in die St. Jude-Kirche hinübergescheucht, indem er in seinen Drohpredigten immer wieder den Teufel erwähnte. Sein Lieblingsthema war die Sünde der Götzendienerei, und wenn er davon sprach, bezog er sich stets im besonderen auf das Gewand, das Mr. Snapes bei Zelebrierung der Kommunion trug, überdies auch auf eine dunkle Prozedur mit Brot und Wein während dieser Zeremonie.

      Was die Kongregationalisten und Methodisten in ihren Gotteshäusern und Sonntagsschulen taten und lehrten, weiß ich nicht genau, denn meine Mutter wäre in einen Paroxismus religiösen Entsetzens verfallen, wenn ich irgendeiner Versammlung einer fremden Sekte beigewohnt hätte. Ich weiß aber, daß ihre Riten nichts als eine Vereinfachung unserer Kirchengebräuche waren, wobei sie sich noch etwas weiter von der alten Messe entfernten, dafür aber um so zäher am Teufel festhielten. Die Methodisten insbesondere legten großen Nachdruck auf den Glauben, daß die meisten Menschen nach den Entbehrungen und dem Elend dieses Lebens in die Hölle kommen und dort die entsetzlichsten Qualen zu erdulden haben würden. Ich wurde darüber genau belehrt, als ein Junge aus einer Methodistenfamilie, ein wenig älter als ich, mir eines Tages während eines gemeinsamen Spazierganges nach Cliffstone von seinen Befürchtungen in dieser Hinsicht erzählte.

      Es war etwas Geducktes in seiner Haltung, und er hatte eine eigentümliche Art, die Luft durch die Nase zu ziehen. Gewöhnlich trug er einen langen, weißen Schal um den Hals, eine Erscheinung wie die seine gibt es nun seit Jahrhunderten nicht mehr auf der Welt. Wir schlenderten über die Strandpromenade, die sich längs der Klippen hinzog, an einem Musikpavillon vorbei und an Reihen von Strandstühlen, auf denen Leute saßen oder lagen. Scharen von Menschen in den sonderbaren Festtagskleidern der damaligen Zeit bevölkerten die Strandpromenade, dahinter erhoben sich die blaßgrauen Häuser, in denen sie wohnten. Und mein Gefährte sprach: ›Mr. Molesly sagt, das Jüngste Gericht kann jeden Augenblick hereinbrechen – kann anbrechen in feuriger Pracht, bevor wir noch bis hinunter ans Ende des Strandwegs gelangt sind. Und dann werden all die Leute gerichtet ...‹

      ›So wie sie da sind?‹

      ›Ja, so wie sie da sind! Die Frau dort mit dem Hund und der Dicke, der da in seinem Stuhl schläft, und – der Polizist.‹

      Er hielt inne, selbst ein wenig erstaunt über die hebräische Kühnheit seiner Gedanken. ›Auch der Polizist‹, wiederholte er. ›Sie werden gewogen und zu leicht befunden werden, und dann kommen die Teufel und martern sie. Martern den Polizisten, verbrennen ihn und schneiden ihn in Stücke. Und jeden andern auch. Schreckliche, schreckliche Martern ...‹

      Ich hatte bis dahin die Anwendung der christlichen Lehre niemals in solcher Weise ausmalen gehört und ich war bestürzt.

      ›Ich würde mich verstecken‹, sagte ich.

      ›Er würde dich aber sehen. Er würde dich sehen und dich den Teufeln zeigen‹, sagte mein kleiner Freund. ›Er sieht auch jetzt die bösen Gedanken in uns.‹«

      »Ja, aber glaubten denn die Menschen derartigen Unsinn?« rief Heliane.

       »Soweit sie überhaupt an etwas glaubten«, erwiderte Sarnac. »Ich gebe zu, es ist schrecklich, aber es war so. Könnt ihr euch vorstellen, welch verkrampfte Gemüter sich unter solchen Lehren in unseren unterernährten und infizierten Körpern entwickelten?«

      »Nur wenige können das groteske Märchen der Hölle wirklich geglaubt haben«, meinte Beryll.

      »Mehr Menschen, als man denken sollte, glaubten es«, sagte Sarnac. »Selbstverständlich beschäftigten sich nur wenige andauernd damit – sonst wären sie ja wohl verrückt geworden –, aber latent schlummerte es in vielen Gemütern. Und die anderen? Bei den meisten hatte diese grauenhafte Auffassung der Welt und des Daseins eine Art passiver Abwehr zur Folge. Sie leugneten jene Vorstellung nicht, unterließen es aber, sie ihrem Gedankenkreis wirklich einzuverleiben. So entstand etwas wie eine tote Stelle in ihnen, eine Narbe, da, wo ein Empfinden für das Menschheitsschicksal hätte sein sollen, eine Vision des Lebens über die individuelle Existenz hinaus ...

      Es fällt mir schwer, den Gemütszustand zu schildern, in den wir hineinwuchsen. Geist und Gemüt der Kinder nahmen durch jene Lehre Schaden; ein normales geistiges Wachstum wurde durch sie unmöglich gemacht, es wurde, in einer Hinsicht zumindest, unterbunden. Vielleicht nahmen wir das groteske Märchen von der Hölle gar nicht völlig in uns auf, glaubten nicht ernstlich daran; trotzdem bewirkte es, daß wir ohne lebendigen Glauben und ohne Lebensziel aufwuchsen. Der Kern unseres religiösen Empfindens war eine unterdrückte Angst vor der Hölle. Die wenigsten Menschen wagten es, diese Furcht ans Tageslicht zu bringen. Es galt als geschmacklos, von solchen Dingen oder überhaupt von irgendwelchen wesentlichen Fragen des Daseins zu sprechen, einerlei ob gläubig oder zweifelnd. Man durfte höchstens versteckt darauf anspielen oder darüber scherzen. Fortschrittliche Äußerungen wurden zumeist unter der Maske der Scherzhaftigkeit gemacht.

      Geistig war die Welt in den Tagen des Mortimer Smith völlig verirrt; wie ein Hund, der sich verlaufen und jede Spur verloren hat. Wohl waren die damaligen Menschen, ihrer Veranlagung nach, den heutigen durchaus ähnlich, aber sie waren krank an Geist und Körper, sie hatten keinen Halt, keinen festen Boden unter den Füßen. Wir, die wir im Licht wandeln und vergleichsweise einfache und gerade Wege gehen, können die Verworrenheit, die verschlungene Vielfältigkeit des damaligen Denkens und Handelns kaum begreifen. Es gibt heute kein geistiges Leben mehr auf der Welt, das sich mit jenem vergleichen ließe.«

      »Ich glaube, ich habe die Hügelkette der Downs bereits erwähnt, die die Welt meiner Kinderzeit gegen Norden hin abschloß. Lange, bevor ich imstande war, hinaufzuklettern, beschäftigte mich der Gedanke, was wohl jenseits dieser Bergkette liegen möge. Im Sommer ging die Sonne hinter ihrem westlichen Ende unter, goldene Pracht über sie verbreitend. In meinen kindlichen Phantasien tauchte die Vorstellung auf, daß das Jüngste Gericht auf jenen Hügeln gehalten werden würde, und daß hinter ihnen jene himmlische Stadt liegen müsse, in die uns Mr. Snapes eines Tages – in einer Prozession selbstverständlich und mit fliegenden Fahnen – führen werde.

      Ich muß acht oder neun Jahre alt gewesen sein, als ich zum ersten Male den Kamm jener Schranke meiner Kindheitswelt bestieg. Ich erinnere mich nicht, mit wem ich hinaufging, weiß auch sonst keine Einzelheiten mehr, doch ist mir die Enttäuschung sehr lebhaft im Gedächtnis, die ich empfand, als ich auf der anderen Seite der Hügel einen langen, sanften Abhang erblickte und nichts sah als Felder und Hecken und einzelne Gruppen weidender Schafe. Ich weiß nicht mehr, was ich eigentlich erwartet hatte. Das erste Mal betrachtete ich übrigens offenbar nur den Vordergrund des Bildes, das sich bot, und erst nach etlichen derartigen Ausflügen nahm ich die weitläufige Mannigfaltigkeit der Gegend nördlich der Downs in mich auf. Man hatte dort oben eine sehr weite Fernsicht, an einem klaren Tag sah man eine blaue Hügelkette, die dreißig bis vierzig Kilometer entfernt war, und der Blick schweifte über Wälder und Wiesen, über braungefurchtes Ackerland, das zur Sommerzeit goldenes Korn trug, über Dorfkirchen zwischen grünen Bäumen und über glitzernde Seen und Teiche. Im Süden hob sich der Horizont, indem man die Hügel emporstieg, und der Meeresgürtel wurde breiter. Darauf machte mein Vater mich aufmerksam, als ich einmal mit ihm über die Downs ging.

      ›Steig so hoch du willst, Harry,‹ sagte er, ›die See steigt mit dir. Da ist sie, siehst du, in gleicher Höhe mit uns, und trotzdem sind wir jetzt viel höher als Cherry Gardens. Dabei überschwemmt sie Cherry Gardens aber nicht. Warum überschwemmt sie es nicht, wenn sie es doch überschwemmen könnte? Sag mir das einmal, Harry.‹

      Ich wußte keine Erklärung.

      ›Die СКАЧАТЬ