Der Traum: mehrbuch-Weltliteratur. Herbert George Wells
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Название: Der Traum: mehrbuch-Weltliteratur

Автор: Herbert George Wells

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783753199054

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СКАЧАТЬ – und schließlich eines, das eine gute Ernte erflehte. Ich schloß daraus, daß die göttliche Vorsehung all die genannten Personen sowie auch die Ernte gefährlich vernachlässige. Die Gemeinde verstärkte die Anstrengungen des Priesters, indem sie immer wieder im Chor dazwischen rief: ›Wir flehen zu dir, o Gott! Erhöre uns.‹ Die Hymnen waren von verschiedener Art, die meisten jedoch brachten ein überschwengliches Lob unseres Schöpfers zum Ausdruck, und eine wie die andere wimmelte von unrichtigen Reimen und falschen Silbenmaßen. Wir dankten dem Himmel für seine Wohltaten, und zwar ohne jedweden ironischen Hintergedanken, doch hätte uns eine allmächtige Gottheit den Dank für den recht unsichern Kohlen- und Gemüsehandel in Cherry Gardens, sowie für all die Arbeit und Sorge meiner Mutter und die Mühe meines Vaters wohl erlassen können.

      Im Grunde schob dieser Gottesdienst bei aller äußerlichen Lobhudelei dem angebeteten göttlichen Wesen die Schuld an jedwedem Unglück auf Erden zu und machte es verantwortlich für den Zustand der Verworrenheit und des Elends, in dem sich die Menschheit befand. Sonntag für Sonntag wurde da dem Geiste junger Menschen, soweit der Gottesdienst ihre instinktive, selbstschützerische Gleichgültigkeit zu durchbrechen vermochte, durch Gesang, Gebet und Gebärde eingeprägt, daß die Menschheit nichtswürdig und hoffnungslos sei, das hilflose Spielzeug eines launischen, reizbaren, eitlen und unwiderstehlichen höheren Wesens. Die Macht dieser Suggestion verdunkelte ihnen die Sonne des Lebens, verbarg das Wunderbare vor ihrem Blick und nahm ihnen allen Mut. So fremd jedoch blieb diese Lehre der Erniedrigung dem Menschenherzen, daß der größte Teil der Gemeinde, in den langen Reihen der Kirchenbänke sitzend, stehend oder kniend, ganz mechanisch nur Sätze hersagte oder Lieder sang und dabei an tausend näherliegende Dinge dachte, die Nachbarn beobachtete, Geschäfte und Vergnügungen plante oder sich in Träumereien erging.

      Manchmal, aber nicht immer, wurden in den Sonntagsmorgen-Gottesdienst Teile einer anderen Kirchenzeremonie, der sogenannten Kommunion, eingeschoben. Die Kommunion war ein zusammengeschrumpftes Überbleibsel der katholischen Messe, die wir aus unsern Geschichtsbüchern kennen. Wie ihr wißt, quälte sich die Christenheit neunzehn Jahrhunderte, nachdem das Christentum angehoben hatte, immer noch vergebens, den eingewurzelten Gedanken eines mystischen Blutopfers loszuwerden, jene Tradition der Opferung eines Gottmenschen zu vergessen, die so alt war wie der Ackerbau und die Seßhaftigkeit des Menschen. Die englische Staatskirche war so sehr ein Gebilde des Kompromisses und der Tradition, daß in den beiden Gotteshäusern, die sie in Cherry Gardens besaß, das Problem jenes Opfers in ganz verschiedener Weise betrachtet wurde. Das eine, die neue und prächtige St. Jude-Kirche, übertrieb die Wichtigkeit der Kommunion, nannte sie Messe, nannte den Tisch, an dem sie zelebriert wurde, Altar, nannte den Geistlichen, Mr. Snapes, Priester und betonte im allgemeinen die altheidnische Auslegung der ganzen Sache. Das andere hingegen, die alte kleine St. Osyth-Kirche, nannte ihren Priester einen Prediger, ihren Altar den Tisch des Herrn und die Kommunion das heilige Abendmahl, leugnete jede mystische Bedeutung dieser Zeremonie und ließ sie nur als eine Erinnerung an das Leben und den Tod Christi gelten. Diese Gegensätze zwischen dem uralten Tempelkult des Menschengeschlechtes und der neuen geistigen Freiheit, die seit drei oder vier Jahrhunderten emporzudämmern begann, gingen zur Zeit, da ich als kleiner Junge in der Kirche saß und bemüht war, mich anständig zu betragen, weit über meinen jungen Verstand. Für mich bedeutete die Zeremonie der Kommunion nichts weiter als eine arge Verlängerung des normalerweise schon sehr beschwerlichen Gottesdienstes. Ich war damals von einem rührenden Glauben an die Kraft des Gebetes erfüllt, und ohne zu bedenken, wie wenig schmeichelhaft der Inhalt meiner Bitte war, pflegte ich während der Eingangsgebete des Gottesdienstes zu flüstern: ›Lieber Gott, laß heute keine Kommunion sein! Lieber Gott, laß heute keine Kommunion sein!‹

      Zum Schluß kam die Predigt. Sie war eine Originalkomposition des Geistlichen, Mr. Snapes, und das einzige im ganzen Gottesdienst, das nicht vorschriftsmäßig festgesetzt und nicht schon tausende Male wiederholt worden war.

      Mr. Snapes war ein rosiger junger Mann, mit rötlichblondem Haar; sein glatt rasiertes Gesicht zeigte rundliche Formen wie ein Büschel Champignons und trug einen Ausdruck glückseliger Selbstzufriedenheit; seine Stimme klang fettig. Er hatte eine Art, den weiten Ärmel seines weißen Priesterrockes zurückzuschlagen, indem er eine gezierte Handbewegung nach oben machte, die in mir eine jener unerklärlichen Abneigungen erweckte, wie Kinder sie zuweilen haben. Ich haßte diese Gebärde, lauerte auf sie und krümmte mich, so oft sie kam.

      Die Predigten gingen so sehr über meinen Verstand, daß ich eigentlich nichts über ihren Inhalt sagen kann. Snapes sprach von Dingen wie den ›Tröstungen des allerheiligsten Sakramentes‹ oder der ›Tradition der Kirchenväter‹. Sehr weitläufig ließ er sich über die Kirchenfeste aus, über die Adventzeit, den Tag der heiligen drei Könige und Pfingsten, und er benützte eine stehende Formel des Übergangs zur Betrachtung unserer Zeit: ›Und auch wir, liebe Brüder, haben unsere Adventzeit und unser Fest der heiligen drei Könige.‹ Dann kam er auf den bevorstehenden Besuch König Eduards in Lowcliffe zu sprechen, oder auf Kontroversen, die den Bischof von Natal oder den von Zanzibar betrafen. Ihr könnt euch kaum vorstellen, wie fernab das alles von den wichtigen Angelegenheiten unseres täglichen Lebens lag.

      Und dann, wenn ich armer kleiner Kerl bereits kaum mehr zu hoffen wagte, daß die glatte Stimme jemals zu reden aufhören werde, kam plötzlich eine kleine Pause und gleich darauf die erlösenden Worte: ›Und nun, im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes –‹

      Es war überstanden! Eine Bewegung ging durch die Kirche. Wir erhoben uns, knieten noch einen Augenblick, scheinbar betend, hin, suchten dann nach Hüten, Überröcken und Regenschirmen und traten schließlich ins Freie hinaus. Da gab es ein großes Fußgetrappel auf dem Pflaster, die Leute zerstreuten sich da und dort hin, Bekannte begrüßten einander steif, Prue lief zum Bäcker, um den Sonntagsbraten zu holen, und wir anderen gingen geradewegs nachhause.

      Gewöhnlich gab es köstliche Bratkartoffeln zur Fleischspeise, manchmal auch eine Obsttorte. Im Frühling aber war diese gewöhnlich aus Rhabarber gemacht, was ich nicht leiden konnte. Es hieß, Rhabarber sei mir besonders zuträglich, und ich mußte immer besonders viel von der Rhabarbertorte essen.

      Am Nachmittag war Sonntagsschule oder ›Kindergottesdienst‹, und von der Gegenwart der Eltern befreit, begaben wir drei Kinder uns ins Schulgebäude oder wieder in die Kirche, um in den Besonderheiten unseres Glaubensbekenntnisses unterrichtet zu werden. In der Sonntagsschule lehrten Personen, die für diese Aufgabe weder vorbereitet, noch sonst im geringsten geeignet waren; werktags kannten wir sie als Ladenverkäufer oder dergleichen, einer war Schreiber bei einem Auktionator, ein anderer ein schwerhöriger Greis mit buschigem Haar. Sie teilten uns in Klassen auf und hielten uns Vorträge über das Leben und die recht zweifelhaften Taten des Königs David von Israel, Abrahams, Isaks und Jakobs, über die schlechte Aufführung der Königin Jesabel und dergleichen Themen mehr. Auch sangen wir leichte Hymnen im Chor. Mitunter erzählten uns unsere Lehrer auch von Christus, aber ohne jedwedes Verständnis; sie schilderten ihn als eine Art Zauberkünstler, der Wunder wirkte und die Toten auferweckte. Somit habe er uns ›erlöst‹, behaupteten sie – trotz der offenkundigen Tatsache, daß wir wahrhaftig nicht erlöst waren. Ihr wißt ja, daß die Lehre Christi zwei Jahrtausende hindurch unter einem Wust von Geschichten über Auferstehung und Wundertaten begraben lag. Er war ein Licht, das in der Finsternis schien, und die Finsternis wußte nichts davon. Von der großen Vergangenheit des Menschen, von den langsamen Fortschritten der Völker und Rassen auf dem Gebiete des Wissens, von ihren trüben Ängsten, ihrem dunklen Aberglauben und den ersten Siegen der Wahrheit, von der Niederkämpfung und Veredlung der menschlichen Leidenschaften im Verlaufe langer Zeitalter, von Forschung und Entdeckung, von den schlummernden Kräften unseres Körpers und unserer Sinne und von den Gefahren und den Aussichten, unter denen wir selbst, die Menschenscharen unserer Zeit, dumpf dahinlebten, schwer irrend und doch immer wieder von Hoffnung und Verheißung erfüllt: von all dem erfuhren wir nichts. Man deutete uns nicht im entferntesten an, daß es eine Gemeinschaft aller menschlichen Wesen gebe und letzten Endes ein gemeinsames Schicksal der ganzen Menschheit. Unsere Lehrer wären entsetzt gewesen, wenn man derlei in der Sonntagsschule erwähnt hätte.«

      »Und СКАЧАТЬ