Der Traum: mehrbuch-Weltliteratur. Herbert George Wells
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Название: Der Traum: mehrbuch-Weltliteratur

Автор: Herbert George Wells

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783753199054

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СКАЧАТЬ sich in einer Reihe mit einer Anzahl anderer; die Häuserzeile war genau so wie eine gewöhnliche Häuserzeile im Ort, nur hatte man die Erdgeschoßräume zu Laden gemacht. Mein Vater erwarb seinen und unseren Lebensunterhalt, indem er seine Waren so billig einkaufte, als er konnte, und möglichst viel dafür zu bekommen trachtete. Es war ein sehr ärmlicher Verdienst, denn Cherry Gardens hatte außer ihm noch einige Krämer aufzuweisen, tüchtige Kerle, und wenn er zuviel Profit auf seine Waren schlug, gingen seine Kunden weiter und kauften bei seinen Konkurrenten, und er verdiente dann überhaupt nichts.

      Ich, mein Bruder und meine beiden Schwestern – meine Mutter hatte sechs Kinder geboren und vier davon waren am Leben – verbrachten unsere Tage in diesem Laden oder in dessen nächster Nähe. Im Sommer waren wir meist vor dem Hause oder in einem Zimmer oberhalb des Geschäftes, in der kalten Jahreszeit aber kostete es zuviel Geld und zuviel Mühe, in jenem Zimmer Feuer anzumachen – man heizte in ganz Cherry Gardens mit offenem Kohlenfeuer – und da mußten wir denn in die finstere unterirdische Küche, in der meine Mutter, die Ärmste, kochte, so gut sie es verstand.«

      »Ihr wart ja Höhlenbewohner!« rief Salaha.

      »Tatsächlich. Wir nahmen alle unsere Mahlzeiten in dem unterirdischen Raum ein. Im Sommer waren wir wohl sonnverbrannt und rotbäckig, im Winter aber wurden wir infolge dieses – Höhlenlebens blaß und recht mager. Mein Bruder, der zwölf Jahre älter war als ich und mir riesengroß erschien, hieß Ernst, meine beiden Schwestern Fanny und Prudence. Ernst fing bald an, außer Haus zu arbeiten, etwas später ging er dann nach London, und ich sah ihn nur selten, bis zu der Zeit, da ich selbst nach London kam. Ich war das jüngste Kind. Als ich neun Jahre alt war, faßte mein Vater Mut, verwandelte Mutters Kinderwagen in einen kleinen Schubkarren und benützte ihn fortan zur Lieferung von Kohlen und ähnlichen Waren.

      Fanny, die ältere von meinen beiden Schwestern, war ein sehr hübsches Mädchen; ihre zarte Hautfarbe stand in lieblichem Gegensatz zu den natürlich gewellten braunen Haaren, die ihr Gesicht anmutig umrahmten, und sie hatte sehr dunkle blaue Augen. Auch Prudence hatte eine helle, aber viel mattere Gesichtsfarbe, und ihre Augen waren grau. Sie neckte mich viel oder nörgelte an mir herum, Fanny hingegen beachtete mich entweder gar nicht oder war sehr freundlich mit mir, und ich liebte sie innig. Merkwürdigerweise kann ich mich an das Aussehen meiner Mutter nicht deutlich erinnern, obwohl sie selbstverständlich die Hauptrolle in meinem jungen Leben spielte. Sie war mir wohl zu vertraut, als daß ich ihr die Art von Aufmerksamkeit zugewendet hätte, die dem Gedächtnis ein Bild einprägt.

      Ich lernte von meiner Familie, und zwar hauptsächlich von meiner Mutter sprechen. Keiner von uns sprach gut. Die Redewendungen, deren wir uns bedienten, waren dürftig und schlecht, wir sprachen vieles falsch aus, und lange Wörter vermieden wir, denn sie waren uns zu gefährlich und dünkten uns anmaßend. Ich hatte sehr wenig Spielzeug; ich entsinne mich einer kleinen Blechlokomotive, einiger Zinnsoldaten und einer recht spärlichen Menge von hölzernen Bauklötzen. Niemand wies mir einen bestimmten Platz an, wo ich hätte spielen können; hatte ich mein Spielzeug auf dem Wohnzimmertisch ausgebreitet, so kam sicherlich gerade eine Mahlzeit und fegte mir alles hinweg. Ich weiß noch ganz genau, wie gerne ich mit Gegenständen aus dem Laden gespielt hätte, besonders mit den Brennholzbündeln, die es da gab, und mit gewissen radförmigen Zündspänen, die sehr verlockend auf mich wirkten. Mein Vater aber entmutigte derartige Wünsche. Er sah mich nicht gern im Laden, solange ich noch zu klein war, um ihm zu helfen, und so hielt ich mich, wenn ich nicht ins Freie durfte, meist in dem erwähnten oberen Zimmer auf oder in dem Kellerraum, der als Küche diente. Wenn der Laden geschlossen war, wurde er für meine Knabenphantasie ein kalter, dunkler, höhlenartiger Ort; düstere Schatten lauerten darin, in denen Schreckliches verborgen sein mochte, und selbst wenn ich auf dem Weg zur Schlafstube die Hand meiner Mutter ganz fest hielt, fürchtete ich mich hindurchzugehen. Es war da auch immer ein unangenehm dumpfer Geruch von verfaulendem Zeug; er änderte sich stets ein wenig, je nach dem Obst oder Gemüse, das gerade am meisten verlangt wurde, das Petroleum war aber ein ständiges Element darin. An Sonntagen, wenn der Laden den ganzen Tag geschlossen blieb, machte er einen andern Eindruck auf mich. Er war dann nicht so drohend dunkel, nur sehr, sehr still. Wenn ich zur Kirche oder zur Sonntagsschule geführt wurde, kam ich hindurch. (Ja, ja, von der Kirche und der Sonntagsschule will ich euch sofort erzählen.) Als ich meine Mutter auf dem Totenbette liegen sah – sie starb, da ich noch nicht ganz sechzehn Jahre alt war –, kam mir alsbald der sonntägliche Laden in den Sinn ...

      So war das Heim geartet, liebste Heliane, in dem ich mich im Traume sah. Und ich glaubte fest, daß mein Leben dort angehoben habe. Es war der tiefste Traum, den ich jemals träumte. Sogar dich hatte ich vergessen.«

      »Und wie wurde das zufällig in die Welt gesetzte Kind für das Leben vorbereitet?« fragte Beryll. »Wurde es in einem Kindergarten erzogen?«

      »Es gab damals keine Kindergärten, wie wir sie heute besitzen«, sagte Sarnac. »Man hatte sogenannte Elementarschulen, und eine solche besuchte ich, nachdem ich das sechste Lebensjahr vollendet hatte; meine Schwester Prudence brachte mich zweimal täglich hin.

      Auch hier fällt es mir schwer, euch ein getreues Bild der Wirklichkeit zu vermitteln. Unsere Geschichtsbücher berichten euch von den Anfängen einer allgemeinen Erziehung in jener fernen Zeit und von dem eifersüchtigen Groll der alten Priesterschaften und gewisser privilegierter Personen gegen die neue Art von Lehrern; doch können sie euch keine lebendige Vorstellung von den elend ausgestatteten Schulhäusern geben, in denen eine viel zu spärliche Zahl von Lehrpersonen wirkte, noch von der tapferen Arbeit dieser schlecht bezahlten und für ihre Aufgabe schlecht vorbereiteten Männer und Frauen, denen die Menschheit die ersten rohen Versuche auf dem Gebiete der Volkserziehung zu danken hat. In der Schule zu Cherry Gardens hatte ein hagerer, dunkelhaariger Mann, der immer hustete, die größeren Knaben unter sich, und ein sommersprossiges kleines Frauchen von etwa dreißig Jahren plagte sich mit den kleineren ab. Heute sehe ich ein, daß sie Märtyrer waren. Wie er geheißen, habe ich vergessen, der Name des kleinen Frauchens war Miß Merrick. Sie hatten riesengroße Klassen zu leiten und bewerkstelligten den Unterricht größtenteils mit Hilfe von Stimme und Gebärde und mit einer schwarzen Tafel, auf der sie mit Kreide schrieben. Ihre Ausstattung mit Lehrmitteln war erbärmlich. Die einzigen, die ihnen in genügender Menge zur Verfügung standen, waren abgegriffene schmutzige Lesebücher, Bibeln und Gesangbücher und eine Anzahl von kleinen Schiefertafeln in Holzrahmen, auf denen wir mit Griffeln schrieben, um Papier zu sparen. Zeichenmaterial hatten wir eigentlich gar nicht; die meisten von uns lernten niemals zeichnen. Ihr könnt es mir glauben! Viele normal entwickelte Erwachsene jener Zeit waren nicht imstande, auch nur eine Schachtel zu zeichnen. Es gab in jener Schule nichts, woran die Schüler hätten zählen lernen können; es gab auch keinerlei geometrische Modelle. Bilder waren nur sehr spärlich vorhanden: eines, das die Königin Victoria darstellte, und ein Blatt mit Tieren; zwei sehr vergilbte Landkarten von Europa und Asien waren um zwanzig Jahre veraltet. Die Grundregeln der Mathematik lernten wir, indem wir sie im Chor aufsagten. Wir standen in Reihen und leierten ein sonderbares Lied, das Einmaleins genannt:

      ›Einmalzwei–sinzwei,

       zweimalzwei–sinvier,

       dreimalzwei–sinsechs,

       viermalzwei–sinacht.‹

       Wir sangen auch im Chor – einstimmig – meist religiöse Hymnen. Die Schule besaß ein altes, aus zweiter Hand gekauftes Klavier, auf dem man unser Geheul begleitete. Als dieses Instrument erstanden wurde, gab es in Cliffstone und Cherry Gardens große Aufregung, man nannte den Kauf einen Luxus, eine Verwöhnung der arbeitenden Klassen.«

      »Eine Verwöhnung der arbeitenden Klassen!« wiederholte Iris. »Es wird wohl stimmen. Aber es ist mir völlig unbegreiflich.«

      »Ich kann euch nicht alles und jedes erklären«, sagte Sarnac. »Aber ihr dürft mir's glauben: СКАЧАТЬ