Der Traum: mehrbuch-Weltliteratur. Herbert George Wells
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Название: Der Traum: mehrbuch-Weltliteratur

Автор: Herbert George Wells

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783753199054

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СКАЧАТЬ ganz klein war, und ich sagte sie jeden Abend auf, manchmal auch des Morgens. Sie hielt offenbar die altehrwürdigen Worte viel zu sehr in Ehren, als daß sie sie mir erklärt hätte. Als ich einmal nicht nur um das tägliche Brot, sondern auch um etwas Butter dazu bat, schalt sie mich heftig. Sehr gerne hätte ich sie gefragt, was wohl mit der guten Königin Victoria geschehen würde, sobald das Reich Gottes käme, doch fand ich nie den Mut dazu. Ich hatte die sonderbare Idee, daß dann eine Heirat geschlossen werden müßte, daß aber noch niemand an diese Lösung gedacht habe. Ich muß damals noch recht jung gewesen sein, denn Victoria die Gute starb, als ich fünf Jahre alt war, während des sogenannten Burenkrieges, eines heute fast vergessenen, aber ziemlich langwierigen Kampfes in Afrika.

      Meine kindlichen Zweifel wuchsen, doch als ich das Alter erreicht hatte, in dem Kinder die Kirche und die Sonntagsschule zu besuchen begannen, machten sie einer Art selbstschützerischer Gleichgültigkeit Platz.

      Der Sonntag-Morgen bedeutete für meine Mutter die allergrößte Anstrengung der ganzen Woche. Den Abend vorher bekamen wir allesamt in der unterirdischen Küche eine Art Bad, die Eltern ausgenommen, die sich, glaube ich, niemals am ganzen Körper wuschen – ich kann das aber nicht mit Bestimmtheit behaupten –, und am Sonntag-Morgen standen wir etwas später auf als gewöhnlich und zogen reine Wäsche an sowie die besten Kleider, die wir besaßen. (Man trug in jenen Tagen eine erschreckende Menge von Kleidungsstücken. Jedermann war infolge schwächlicher Gesundheit überaus empfindlich gegen Nässe oder Kälte.) In Erwartung größerer Dinge war das Frühstück ein hastiges und durchaus nicht feiertägliches Mahl. Dann mußten wir uns hinsetzen und still verhalten, damit unsere Kleider weder schmutzig würden noch sonst irgendwie Schaden nähmen, und dabei so tun, als ob wir eines der zehn oder zwölf Bücher, die unser Heim besaß, mit Interesse betrachteten oder läsen – bis es Zeit war, zur Kirche zu gehen. Die Mutter bereitete das Sonntagsmahl, meist eine bestimmte Art von Fleischgericht, das Prudence zu einem benachbarten Bäcker trug, wo es gebraten wurde, während wir dem Gottesdienst beiwohnten. Der Vater erhob sich noch später als wir anderen und erschien, seltsam verwandelt, in einem schwarzen Rock, mit Kragen, Vorhemd und Manschetten und mit niedergebürsteten, gescheitelten Haaren. In der Regel gab es irgendeinen unvorhergesehenen Zwischenfall, der unseren Abgang verzögerte. Eine meiner Schwestern hatte ein Loch im Strumpf, oder meine Schuhe waren noch nicht zugeknöpft und der Schuhknöpfer nirgends zu finden, oder eines der Gebetbücher war verlegt worden. Solches verursachte allgemeine Verwirrung, und es gab angstvolle Augenblicke, wenn die Kirchenglocken zu läuten aufhörten und ein monotones Bimmeln ertönen ließen, das den Beginn des Gottesdienstes anzeigte.

      ›Ach, nun kommen wir wieder zu spät!‹ rief meine Mutter. ›Nun kommen wir wieder zu spät!‹

      ›Ich geh' mit Prue voraus‹, pflegte der Vater zu sagen.

      ›Und ich geh' auch mit‹, sagte Fanny.

      ›Nicht, ehe du mir den Schuhknöpfer gefunden hast, Fräulein Hurlebusch,‹ schrie meine Mutter, ›ich weiß genau, du hast ihn gehabt.‹

      Fanny zuckte die Achseln.

      ›Warum hat der Junge nicht Schnürstiefel wie andere Kinder, das möcht' ich wissen‹, meinte Vater unfreundlich.

      Und Mutter, blaß vor Aufregung, erwiderte zusammenfahrend: ›Schnürstiefel in seinem Alter! Abgesehen davon, daß er die Schnürbänder zerreißen würde.‹

      ›Und was ist das dort auf der Kommode?‹ rief Fanny dann plötzlich.

      ›Aha, natürlich weißt du, wo er ist.‹

       ›Ich gebrauch' eben meine Augen.‹

      ›Um eine Antwort bist du nie verlegen, du schlechtes Geschöpf!‹

      Fanny zuckte wieder die Achseln und schaute zum Fenster hinaus. Zwischen ihr und Mutter bestand eigentlich eine weit bösere Verstimmung als dieser Zwist wegen des verlegten Schuhknöpfers. Am Abend vorher war ›Fräulein Hurlebusch‹ noch lange nach Einbruch der Dämmerung außer Haus gewesen, ein arges Vergehen, vom Standpunkt einer Mutter aus betrachtet, wie ich euch später noch erklären werde.

      Schwer atmend und mit strenger Miene knöpfte mir Mutter die Schuhe zu, und dann zogen wir endlich los. Prue hängte sich an den Vater, der vorausging, Fanny schritt, verächtlich dreinblickend, etwas abseits dahin, und ich bemühte mich unterwegs, meine in weißen Baumwollhandschuhen steckende kleine Hand dem festen Griff meiner Mutter zu entwinden.

      Wir besaßen einen eigenen Platz in der Kirche, eine Bank mit Binsenmatten darauf; an der Rückseite der Bank vor uns war unten eine breit vorspringende Leiste angebracht, auf der wir zum Gebete niederknieten. Wir schoben uns auf unsere Plätze, knieten einen Augenblick nieder, erhoben uns dann und waren nunmehr bereit für den sogenannten Sonntagsmorgen-Gottesdienst.«

      »Dieser Gottesdienst war nun auch etwas sehr Sonderbares. Wir lesen in unseren Geschichtsbüchern über die alten Kirchen und den damaligen Gottesdienst und vereinfachen und idealisieren das Bild, das wir gewinnen. Wir nehmen alles für bare Münze. Wir sind der Meinung, daß die Menschen die absonderlichen Glaubensbekenntnisse der alten Religionen verstanden und wirklich glaubten; daß sie voll einfältiger Inbrunst zu ihrem Gott beteten; daß ihr Herz erfüllt war von geheimnisvollen Tröstungen und Illusionen – Vorstellungen, die mancher von uns heute wieder zu gewinnen strebt. Doch das Leben ist stets komplizierter als ein Bericht darüber, als jedwede Schilderung. Der menschliche Geist dachte damals trüber und verworrener, er vergaß seine primären Betrachtungen über sekundären, nahm häufig wiederholte, gewohnheitsmäßige Handlungen für beabsichtigte und verlor seine ursprünglichen Regungen aus dem Gesicht. Das Leben ist im Laufe der Zeit klarer und deshalb einfacher geworden. Wir damaligen Menschen hatten ein komplizierteres Leben, weil wir selbst verworrener waren. Und so saßen wir am Sonntagmorgen in den Kirchenbänken, fügsam, aber gleichgültig, ohne wirklich an das zu denken, was wir taten, die Vorgänge um uns mehr mit dem Gefühl als mit dem Verstande erfassend – und unsere Gedanken kamen und gingen, wie Wasser durch ein undichtes Gefäß sickert. Wir beobachteten die anderen verstohlen, aber genau und waren uns stets bewußt, daß wir ebenso beobachtet wurden. Wir standen auf, beugten die Knie und setzten uns, wie es die rituellen Gepflogenheiten erforderten. Ich erinnere mich noch lebhaft an das lange andauernde und vielfältige Geräusch, das entstand, so oft die versammelte Gemeinde sich hinsetzte oder erhob.

      Der Vormittagsgottesdienst bestand aus Gebeten der Priester – Vikar und Kurat nannten wir sie – und aus Wechselreden zwischen ihnen und der Gemeinde, ferner wurden Hymnen in Versen gesungen und einzelne Stellen aus der hebräisch-christlichen Bibel gelesen; und schließlich folgte eine Predigt. Von dieser Predigt abgesehen, hatte der Gottesdienst eine genau festgelegte Form, die vorschriftsmäßigen Gebete, Wechselreden und so weiter standen in den Gebetbüchern, doch war die Abfolge nicht immer dieselbe, wir mußten oft Seiten überschlagen oder zurückblättern, und für mich kleinen Jungen, der ich noch dazu zwischen einer übergeschäftigen Mutter und Prue saß, war das Auffinden der richtigen Stellen eine schwere geistige Anstrengung.

      Der Gottesdienst hob traurig an und behielt in der Regel bis zum Ende sein düsteres Wesen. Wir waren allesamt elende Sünder, weit entfernt vom Heile, und wir äußerten eine gelinde Verwunderung darüber, daß unser Gott uns gegenüber nicht zu gewaltsamen Maßregeln griff. In einem umfangreichen Teil des Gottesdienstes, die Litanei genannt, zählte der Priester mit offensichtlichem Wohlbehagen alles erdenkliche Unheil auf, das die Menschheit betreffen kann, Krieg, Pestseuchen, Hungersnot und so weiter, und die Gemeinde rief in gleichmäßigen Abständen ›O Herr, erlöse uns‹ dazwischen. Eigentlich hätte man meinen sollen, daß derlei nicht so sehr das höchste Wesen als vielmehr die Verwalter unserer internationalen Beziehungen sowie unseres Gesundheits- СКАЧАТЬ