Название: Der Traum: mehrbuch-Weltliteratur
Автор: Herbert George Wells
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783753199054
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Als ich etwa dreizehn Jahre alt war, faßten Vater und Onkel den Plan, daß ich nach Chessing Hanger übersiedeln und dort Gärtnergehilfe werden sollte. Mir mißfiel dieser Gedanke durchaus; nicht nur, daß ich den Onkel nicht gern hatte, ich fand auch Graben und Jäten und alle Gartenarbeit außerordentlich ermüdend und langweilig. Ich las sehr gerne und liebte Sprachen, hatte wohl auch etwas von der Redseligkeit meines Vaters geerbt, und ein kleiner Aufsatz hatte mir kurz vorher in der Schule besonderes Lob eingetragen. Dies hatte eine ehrgeizige Hoffnung in mir erweckt – ich wollte schreiben, Zeitungsartikel, wenn möglich sogar Bücher. In Cliffstone gab es eine sogenannte Leihbibliothek, die Einwohner des Ortes konnten dort lesen oder auch Bücher entlehnen – ich holte mir in der Ferienzeit fast jeden Tag ein neues Buch –; in Chessing Hanger gab es nichts dergleichen. Meine Schwester Fanny ermutigte mich, viel zu lesen; auch sie verschlang Bücher, namentlich Romane, und sie teilte meine Abneigung gegen den Plan, daß ich Gärtner werden sollte.
In jenen Zeiten, müßt ihr wissen, machte man keinerlei Versuch, die natürlichen Fähigkeiten eines Kindes abzuschätzen. Man erwartete von jedem menschlichen Wesen, daß es für eine beliebige Gelegenheit, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, dankbar sei. Die Eltern zwangen ihre Kinder zu dieser oder jener Beschäftigung, die sich aus äußeren Umständen ergab, und infolgedessen hatten die meisten Menschen einen Beruf, der ihnen nicht taugte, ihren natürlichen Gaben keine Entfaltungsmöglichkeit bot und sie in der Regel zu verkrampften und unharmonischen Geschöpfen machte. Schon dies allein verbreitete eine latente Mißzufriedenheit über die ganze Welt. Die Mehrzahl der Menschen litt unter einem Zwang, der ihnen jede Möglichkeit positiven Glücks raubte. Die meisten jungen Menschen, Mädchen sowohl als auch Knaben, erfuhren, indem sie heranwuchsen, zu einem bestimmten Zeitpunkt eine schmerzliche Verkürzung ihrer Freiheit; sie sahen sich plötzlich ohne eigene Wahl zu irgendeiner Berufsarbeit gezwungen, aus der sie nur schwer wieder herauskonnten. In meinem Leben kam ein Sommer-Ferientag, an dem ich meine bisherigen Freuden, meine Spiele und die beglückende Beschäftigung des Lesens in Cliffstone aufgeben und über die Hügel zu Onkel John Julip wandern mußte, um bei ihm zu bleiben und zu sehen, ob er mich brauchen könne. Ich kann heute noch den bitteren Widerwillen nachempfinden, das Gefühl, geopfert zu werden, das mich erfüllte, während ich mein kleines Köfferchen über die Downs nach Chessing Hanger schleppte.
Lord Bramble war einer jener Grundbesitzer, Beryll, die unter den hannoveranischen Königen bis zur Regierungszeit der Königin Victoria eine so große Rolle spielten. Weite Gebiete Englands gehörten ihnen als Privatbesitz; sie konnten damit tun, was ihnen beliebte. In den Tagen Victorias der Guten und ihrer unmittelbaren Vorgänger führten diese Grundbesitzer, die als Mitglieder des Oberhauses des englischen Parlaments das Reich regiert hatten, einen aussichtslosen Kampf um die Vorherrschaft gegen die neue Klasse der Industriellen. Diese Industriellen beschäftigten um ihres persönlichen Gewinnes willen die große Masse des Volkes in der Eisen- und Stahl-, Woll- und Baumwoll-Industrie sowie in der Bierbrauerei und der Schiffahrt. Sie wichen schließlich einem anders gearteten Spekulantentypus, der das Annoncenwesen, die politische und finanzielle Ausbeutung der Zeitungen und neue Finanzmethoden entwickelte. Die alten Grundbesitzerfamilien mußten sich den neuen Mächten anpassen oder wurden beiseite geschoben. Lord Bramble war einer der Beiseitegeschobenen, ein verbitterter, altmodischer, verarmter Gutsbesitzer, der tief in Schulden steckte. Sein Besitz, der viele Quadratkilometer umfaßte, bestand aus Bauerngehöften nebst den dazugehörigen Äckern und Wiesen, aus Wäldern, einem großen, unbequemen Wohnhause, das für seine zusammengeschrumpften Mittel viel zu weitläufig war, und aus einem Park von einigen Quadratkilometern. Der Park war arg vernachlässigt; viele der alten Bäume waren vom Holzschwamm zerfressen und faulten, es wimmelte darin von Kaninchen und Maulwürfen, und große Teile waren von Disteln und Nesseln überwuchert. Junge Bäume gab es überhaupt nicht. Die Umfriedungen und Tore waren übel zusammengeflickt, da und dort zogen sich schlecht gepflegte Straßen hin. Dafür waren aber zahlreiche Tafeln angebracht, auf denen drohende Warnungen an Unbefugte, insbesondere immer wieder die Aufschrift » Verbotener Durchgang« zu lesen stand. Denn die Bewegungsfreiheit des gewöhnlichen Mannes einschränken zu können, war das Vorrecht des britischen Grundbesitzers, an dem sein Herz am meisten hing, und Lord Bramble behütete seine Wüstenei mit Inbrunst. Weite Gebiete guten Grunds und Bodens in England befanden sich damals in einem ähnlichen Zustand der Abgeschlossenheit und des malerischen Verfalles.«
»In diesen Gebieten wurde gejagt«, sagte Beryll.
»Woher weißt du das?«
»Ich habe einmal ein Bild gesehen, das Jäger der damaligen Zeit darstellte. Sie standen in einer Reihe längs des Waldsaumes, die herbstliche Färbung der Bäume auf dem Bilde ließ einen leisen Fäulnisgeruch und einen Hauch von Feuchtigkeit in der Luft vermuten. Ich glaube, man schoß mit Bleikügelchen auf Vögel.«
»Ganz richtig. Und die sogenannten Treiber – ich wurde einige Male zu diesem Dienst gezwungen – trieben ihnen die Vögel; insbesondere Fasane, zu. Jagdgesellschaften pflegten regelmäßig nach Chessing Hanger zu kommen, und dann wurde einen Tag um den anderen gejagt. Die Schießerei vollzog sich mit großer Feierlichkeit.«
»Warum aber taten die Leute das?« fragte Salaha.
»Ja«, sagte Beryll. »Warum nur?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Sarnac. »Ich weiß nur, daß zu gewissen Jahreszeiten die Mehrzahl der englischen Herren, die als die Führer der Intelligenz des Landes galten, die angeblich sein Schicksal leiteten und seine Zukunft in Händen hatten, in die Wälder und in das Heideland hinauszogen, um dort mit Hilfe ihrer Schießwaffen Vögel verschiedener Art in Scharen hinzumorden, Vögel, die nur zum Zwecke dieser sogenannten Jagd unter beträchtlichem Kostenaufwand gezüchtet wurden. Die edlen Jäger wurden von Wildhütern begleitet; sie stellten sich in Reihen auf, und bald widerhallte der Wald vom Knall ihrer Gewehre. Die Höchstgestellten des Landes beteiligten sich würdevoll an dieser nationalen Funktion und handhabten ihre Mordwaffen mit vornehmem Ernst. Diese Klasse war tatsächlich gerade nur soweit über völlige geistige Stumpfheit hinaus, als nötig ist, um am Geknall eines Schießgewehres und am Anblick eines verwundet herabstürzenden Vogels Freude zu haben. Sie wurden dieses Vergnügens nicht müde. Der Knall eines Gewehres war anscheinend eine wunderbare Sensation für diese Leute. Es ging ihnen nicht um das Töten allein, denn dann hätten sie ja dem Schlachten von Schafen, Ochsen oder Schweinen beiwohnen können; diesen Sport überließen sie jedoch Männern einer niedrigeren sozialen Klasse. Das Wesentliche war ihnen das Schießen, insbesondere Vögel im Fluge zu schießen. Wenn Lord Bramble nicht gerade daran war, Fasane oder Waldhühner zu töten, dann schoß er in Südfrankreich auf angstvoll flatternde Tauben mit gestutzten Flügeln, die man eben erst aus ihren Käfigen herausgelassen hatte. Oder er jagte – es handelte sich dabei nicht um eine wirkliche Jagd, nicht um einen ehrlichen Kampf mit Bären, Tigern oder Elefanten in einem Dschungel – er machte Jagd auf Füchse, übelriechende kleine Tiere mit rötlichem Fell von der Größe eines Wasserhundes, deren Aussterben man eben wegen der Sportfreuden der adeligen Herren sorgfältig verhütete. Man jagte sie auf bebautem Grund und Boden, die Jäger waren zu Pferd und von einer Hundemeute begleitet. Lord Bramble kleidete sich für dieses famose Unternehmen stets sehr sorgfältig in eine rote Jacke und Kniehosen aus Schweinsleder. Seine übrige Zeit verbrachte der gute Mann mit Kartenspielen; er liebte besonders ein Spiel, Bridge genannt, das so beschränkt und mechanisch war, daß heutzutage jedermann nach einem Blick auf die Karten das wahrscheinliche Resultat der Partie vorauswüßte. Einen großen Teil seiner Zeit verbrachte er übrigens auch damit, Pferderennen beizuwohnen. Die Pferde, die für diese Rennen СКАЧАТЬ