Название: Der Preis für ein Leben ohne Grenzen - Teil I
Автор: Adalbert Dombrowski
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754938386
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Erst im Seniorenalter erfuhr ich von meiner Cousine Gercia: Ungefähr zwei Wochen lag mein Vater im Krankenhaus. Er konnte nicht essen und hat stark abgenommen. Aus Zembrze kam sein älterer Bruder Bolesław mit Gertruda, der Tochter seines jüngeren Bruders Józef, ihn besuchen. Papa bat Gercia (Gertruda) ihm Essen mitzubringen, denn dem was ihm im Krankenhaus serviert wurde, traute er nicht. Sie kochte bei ihrer Tante in Bydgoszcz und versuchte Papa mit zarten, aber nahrhaften Brühen zu Kräften zu bringen, doch es war zwecklos. Er litt sehr, doch er wusste, dass er im Krankenhaus nicht länger bleiben konnte, dass er fliehen musste. Mit letzter Kraft zog er sich an und verließ das Gebäude. Doch er war zu schwach und konnte sich nicht auf den Beinen halten. Schnell wurde seine Flucht bemerkt und man legte ihn zurück ins Bett. Am darauffolgenden Tag, am 12.November 1948 starb Papa. Er wurde nur 42 Jahre alt.
Am nächsten Tag rief Onkel Edek mich und Rysia zu sich und gab uns kurz und knapp bekannt: „Euer Vater hatte einen Unfall und ist nach der Operation gestorben. Morgen ist das Begräbnis. Danach bleibt Dychu in Bydgoszcz bei mir und wird hier zur Schule gehen”.
Was für ein Unfall? Ich dachte mit dem Motorrad … .
Im Grunde genommen kannte ich meinen Vater kaum: Zunächst war es der Krieg und das Oflag und danach die Arbeit und politische Tätigkeit, welche mir nicht erlaubten, ihn besser kennenzulernen. Er war nie da. Wie geht es jetzt weiter? Soll ich in Bydgoszcz bleiben? Was passiert mit meinem Hund? Und meine Freunde, wir hatten doch so viele Pläne!? Was wird aus Mama? Bittere Tränen liefen mir übers Gesicht. Meine kleine Welt war wieder zusammengefallen. Punkt, Ende, so soll es sein, es ist wie es ist! Es gab keine Diskussion. Ich fühlte mich wie ein weggeworfenes Staubkorn, ein Holzblock, eine unbedeutende Person, die niemandem wichtig ist … .
Papas Begräbnis: Die weinende Mama, Antosia – Onkel Edeks Magd – mit Żaba in ihren Armen, Rysia und ich. Neben uns stand Onkel Edek und Tante Basia. Aus Legnica war Tante Ola, Mamas jüngste Schwester, in schönem Pelzmantel angereist. Papas Brüder Bolek aus Zembrze und Józef aus Radoszki waren auch da. Aus Tuchola waren Oma Ludwika und Opa Kazimierz gekommen. Erst nach vielen Jahren erfuhr ich von Tante Ola, die dann in Gdańsk-Wrzeszcz lebte, die Wahrheit über den Tod meines Vaters; die so sorgfältig verborgene Wahrheit. Es war Mord. Die Geheimpolizei hatte meinem Vater eine Falle gestellt. Fünf Schüsse wurden auf ihn abgefeuert. Es spielte sich in den Jahren 1945-48 ab, als den Händen des NKWD (aus dem 1954 der KGB hervorging) und der Geheimpolizei („Sicherheitsbehörde”) KBW (Korpus Bezpieczeństwa Wewnętrznego – Korpus für Innere Sicherheit) so viele Menschen zum Opfer fielen wie nie. Zugehörigkeiten zur Polnischen Heimatarmee oder andere als kommunistische Ansichten über die neueste Geschichte wurden streng bestraft durch die unterwürfigen Gerichte. Für Oppositionsgeist bekam man nicht nur - wie in späteren Jahren - eine „vier-acht“ (also 48 Stunden Arrest) oder schlimmsten Falls eine mehrjährige Gefängnisstrafe. „Volksfeinde“ erwartete eine Kugel oder eine Deportation nach Sibirien, das unmenschliche Land.
Mein Vater bekam eine tödliche Serie in den Bauch. Wir wurden zu Waisen. Mama wurde ihr Leben zerstört. Meine glückliche Kindheit nahm ein jähes Ende. Ich war zwölf.
Bitteres Waisenbrot – Bydgoszcz
Beim Onkel in Bydgoszcz wollte ich nicht sein, das war nicht mein zu Hause! Machtlos versuchte ich mich dagegen aufzulehnen. Schließlich wohnte ich doch in seiner geräumigen Wohnung, Platz jedoch gab es dort für mich keinen. Mal stellten sie mir ein Bett im Salon oder Speisezimmer auf, mal in der Küche - wenn sie Besuch hatten. Außerdem gab es Onkels Arbeitszimmer und ein Schlafzimmer, doch da hatte ich keinen Zutritt. In der Küche regierte Marysia, den Haushalt führte Antosia. Marysia war eine ältere Dame, die ich aber schon aus Kriegeszeiten kannte. Als Großelterns Pflegekind wohnte sie bei uns in Tuchola. Auch Antosia stammte aus Tuchola. Der Biskup (der Onkel) hatte sie als 19-jähriges Mädchen eingestellt.
Die Wohnung war riesig: vier Zimmer, zwei Bedienstetenkammern, eine Küche, eine Speisekammer, ein Bad und eine Toilette. Es gab zwei Eingänge: einen festlichen aus dem marmornen Treppenhaus und den Bediensteteneingang zur Küche. Das Gebäude, in dem sich die Wohnung befand war ebenfalls riesig. Die steinernen Balkone gingen auf die Focha-Str. hinaus, wo sich auf der Schmalspur die klappernden Straßenbahnen entlang schoben. Gegenüber des Hauses fließt die Brda und über sie drübergeworfen war eine Brücke. Auf der anderen Flussseite sah man die alten Speicher und die gothische Backsteinkathedrale. Vielleicht war es auch schön in Bydgoszcz, doch ich sehnte mich nach Kamień Pomorski. Onkel Edek mochte ich nicht. Seine Frau, Tante Basia, hingegen war mir sympathisch. Sie war hübsch, fröhlich und sang gerne; nur gelegentlich wirkte ihr Frohsinn etwas aufgesetzt. So schön hatte sich ihre Filmkarriere angekündigt, sie erhielt verschiedenste Rollen im Theater und Spielfilmen (z.B. in „Pieśniarz Warszawy“ - 1934), doch plötzlich war sie Hausherrin in einer Provinzstadt, Ehefrau eines Arztes. Kein Wunder, dass sie sich nach ihrem damaligen Künstlerleben und der vom Krieg unterbrochenen Karriere sehnte.
Am liebsten hatte ich es wenn der Onkel nach Warszawa fuhr. Dann schlich ich in sein Arbeitszimmer und sah mir neugierig die auf dem schönen, stilvollen Schreibtisch aufgestellten Gegenstände an. Das schöne Tintenfäßchen samt marmornen Untersetzer, eine Federrinne, eine Schatulle für Stahlfedern, ein Papiermesser und eine schwere Löschwiege: alles in einer Ordnung aufgestellt, für die nur der Onkel bekannt war. Nichts durfte umgestellt werden. Nicht selten ermahnte er Antosia ihrer „nachlässigen" Putzweise wegen: keinesfalls durfte sie seine unbezahlbaren Gegenstände auch nur ein Stückchen verstellen. Mit der Zeit begannen des Onkels Bemerkungen auch mich zu betreffen. Für alles was ich getan oder nicht getan habe, wurde ich bissig zurechtgewiesen. Ich stellte mich auf die Hinterbeine, lebte aber mit dem Gefühl verletzt und ungerecht behandelt worden zu sein.
In dieses zu Hause kehrte ich nur ungern zurück. Solange wie möglich trieb ich mich in den Straßen umher. Einmal ging ich an der Brdabrücke vorbei. „Was soll ich nur tun? Kann ich was ändern“, fragte ich mich. Ich hielt am eisernen Brückengeländer und schaute auf die gemächlich vorbeifahrende Barkasse. Ich beugte mich weit vor und bemerkte hervorstehende eiserne Haken. „Ich zeigs dem Onkel, soll er sich mal etwas Sorgen um mich machen! Menschen sind hier viele, also werden sie mich bemerken und vielleicht dringt der Trubel wegen dem, was ich mache auch zu ihm durch! Vielleicht würden sie sogar auf den Balkon gehen, um nachzusehen, was die Menschenansammlung auf der Brücke zu bedeuten habe.“
Ich kletterte über die Barriere und setzte mich auf einen hervorstehenden Haken. Die Beine baumelten hinunter und ich glotzte ins Wasser. Wie erwartet bemerkten die Passanten sofort meine Klettereinlage und es versammelten sich viele Menschen auf der Brücke. Sie warnten mich, dass ich runterfallen und ertrinken würde. Einen Augenblick lang beobachtete ich die Leute, griff mit den Händen nach dem Haken und ließ mich herabgleiten. Eine Zeit lang hing ich an meinen Armen. Die Leute versteinerten vor Entsetzen. „Oh nein! Ob sie wohl denken, dass ich springen werde? Na, genug von dieser Vorstellung“, dachte ich und zog langsam die Beine wieder hoch, so dass ich wieder bequem auf dem Haken sitzen konnte. Nun konnte ich problemlos die Barriere ergreifen und sprang zurück auf den Gehsteig der Brücke. Die Leute traten zurück, es wurde still und ich lief davon. Als ich abends in die Wohnung kam, wussten bereits alle von meiner Vorstellung. Insbesondere Basia war erschrocken, dennoch sagte niemand ein Wort. Aber in der Tat wurde es zu Hause viel angenehmer.
Abwechslung in den monotonen Tagesablauf brachte Tante Ola und Onkel Paweł Wolski aus Kamień Pomorski. Sie erzählten mir, dass Mama mit Rysia und Żaba nach Piła umgezogen war, um näher bei ihrer Lieblingscousine, Aneta Skibicka, zu sein. Unser vollständig eingerichtetes Haus hatte sie СКАЧАТЬ