Название: Der Preis für ein Leben ohne Grenzen - Teil I
Автор: Adalbert Dombrowski
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754938386
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Derweilen war Mamas Bruder Edek Biskup nach Tuchola gekommen. Er wollte nicht zurück in die zerstörte Warszawa. Seine Arztpraxis eröffnete er im Erdgeschoss eines mehrstöckigen Hauses. Selbst zog er mit seiner wunderhübschen Frau Barbara Gilewska ins 1.OG. Tante Barbara (Basia) war Schauspielerin, Sängerin und Tänzerin. In den Jahren 1931-1934 trat sie unter anderem an den Revue-Theatern „Qui Pro Quo“ und „Morskie Oko“ in Warszawa auf. Bekannt wurde sie durch ihre Rollen in den Filmen ”Pieśniarz Warszawy” (Der Sänger von Warszawa) und „Kochaj tylko mnie” (Liebe nur mich). An der Seite von Filmgrößen wie Jadwiga Smolarska oder Eugeniusz Bodo trat sie auf. Bodo wurde im Zweiten Weltkrieg aufgrund falscher Anschuldigungen als „Spion des Westens“ vom sowjetischen NKWD verhaftet, verhört und in ein russisches Straflager gebracht, wo er Hunger und Erschöpfung erlag.
Im Salon bei Tante und Onkel thronte der Flügel an dem Tante Basia Melodien komponierte. Ab und an begleitete sie Onkel Edek aus dem Gedächtnis und stichelte sie dann scherzhaft: „So spielt man!“
Tante Basia sang wunderschön. Ich hatte sie sehr gern, weshalb ich oft bei Tante und Onkel war. Manchmal blieb ich zu Mittag. Eines Tages kam Onkel Edek aus seiner Praxis direkt ins Esszimmer. In der Hand hielt er ein metallisches Geschirr, eine sog. Nierenschale. Von organisatorischen Fragen vereinnahmt setzte er sich an den Tisch und stellte dieses Geschirr neben seinen Teller. Ich warf einen Blick drauf und sah, dass zwei menschliche Finger drin lagen. Der Onkel hingegen achtete nicht weiter drauf. Er aß sein Mittagessen und den Dessert, stand auf, nahm die Nierenschale mit samt ihrem Inhalt und verschwand wieder. Meine Großeltern kehrten nicht mehr zurück in ihre Wohnung im dritten Stock. Die sowjetische Armee hatte die Wohnung zwar verlassen, doch als meine Großeltern sie betraten sahen sie lediglich Spuren der Gemälde und Möbel an den verschmutzten Wänden. Omas geliebte, schöne Möbel, das Tafelservice, die Bettwäsche, einfach alles wurde in den Osten gebracht; irgendein Offizier wahrscheinlich hat sich mit unseren Einrichtungsgegenständen sein zu Hause verschönert.
Tage und Wochen vergingen während das Leben dabei war, seine verloren gegangenen Gleise wiederzufinden. Etwas jedoch hatte sich zu Hause verändert. Unbeschwert konnte ich nun in all unseren Zimmern umhertoben. Papa war nicht da, Gäste kamen keine mehr zu Besuch. Mama war ganz anders und weinte häufig. Was war passiert?
Papa war verhaftet worden. Er hatte das Bürgermeisteramt verloren, weil er sich mit den Russen nicht einigen konnte. Die anfängliche „Freundschaft“ offenbarte ihr wahres Gesicht. Es fielen Dinge vor, für die mein Vater kein Verständnis fand – nicht zuletzt trat er auch gegen das Unrecht der Wohnungsausräumung bei seinen Schwiegereltern ein.
Mama und ich wollten Papa im Gefängnis (gegenwärtig das Gebäude der Staatsanwaltschaft) besuchen. Der Wachmann öffnete uns das große Eingangstor, ließ uns aber nicht unseren Besuchstermin wahrnehmen. Wir gingen zu den Großeltern, wo wir alle auf dem Boden niederknieten um zu beten: „Erbarme Dich unser“, wiederholten wir immer wieder – die Knie schmerzten schon lange. In Tuchola sah ich meinen Vater nie wieder.
Ich zog zu Tante Basia und Onkel Edek - traurig war ich deshalb aber nicht. Aus Wrocław war zu ihnen Tantes Neffe gekommen. Ich freute mich über meinen neuen Freund. Grzegorz erwies sich als ein äußerst sympathischer und intelligenter Junge. Er war ein paar Jahre älter als ich. Eines Tages setzte uns Tante Basia gleich nach dem Mittagessen aufs Sofa und begann mir zu erklären, weshalb ich bei ihnen und nicht in meinem Elternhaus bin: Papa sei aus dem Gefängnis entlassen worden unter der Bedingung, dass er sich in den zurückerlangten Gebieten (im Westen Polens) niederließe, im kleinen Städtchen Kamień Pomorski. Mama und Rysia seien schon gemeinsam mit Papa hingefahren und wollen, dass ich zu ihnen dazustoße. „Alleine lass ich Dich nicht, aber unter Grzegorzs Aufsicht, ist das etwas anderes“, beendete sie ihren Monolog.
Schon wenige Tage später packte Tante Basia unsere Sachen in kleine Pappkoffer. Selbstverständlich nahm ich meine Ski mit. Onkel Edek fuhr uns mit seinem schwarzen Automobil zum Bahnhof und kaufte uns Fahrkarten. Am Bahngleis fuhr eine enorme Lokomotive mit einer Schnur an Waggons vor. Sie keuchte, Rauch stieg aus ihrem Schornstein auf. Der Onkel setzte uns ins Abteil und unter Aufsicht meines älteren Freundes fuhr ich zu meinen Eltern; ins fremde Kamień Pomorski.
Die Fahrt dauerte lang. Eilig betriebsam schleppten Menschenmassen ihr Hab und Gut in Koffern und Paketen mit sich: erschöpfte Menschen. Es war eine Völkerwanderung! Nach mehrmaligem Umsteigen und einem wunderbaren, heißen Tee mit darin umher tanzenden Zitronenflocken, setzte sich unser Zug Szczecin-Stargrad für die letzte Etappe unserer Reise in Bewegung. Bei jedem Halt wurden die Abteilstüren sperrangelweit geöffnet. Fahrgäste kamen und gingen mit ihrem ungewöhnlichen Gepäck. Gregorz und ich setzten uns ans Fenster, dennoch ließ uns dieses Gewusel nachts nicht schlafen. Tagsüber sogen wir dafür förmlich die sich vor unseren Augen verschiebenden Landschaften auf. Ich konnte nicht mehr sitzen und musste auf die Toilette, also kämpfte ich mich den Durchgang entlang durch die aneinander gedrängten Reisenden und ihr Gepäck. Durch das Türfenster des letzten Waggons beobachtete ich die Gleise. Wir fuhren über eine Brücke - über die Oder; eine furchteinflößende Brücke. So unendlich lang, nur aus Gleisen, die nur auf einer schmalen Unterlage befestigt waren. Wie wenn diese Unterlage schweben würde über dem faul dahinließenden grauen Fluss. So zart war diese kunstvolle Konstruktion, dass sie unter dem tosenden Zug jeden Augenblick mit uns in den Fluss stürzen könnte. Ich hatte ganz vergessen wofür ich mich bis hierher durchgekämpft hatte. Es war eine lange Reise, meine Erinnerungen daran verschwimmen mit dem monotonen Zugrattern. Das letzte Stück nach Kamień Pomorski, bis zur verlassenen Ruine seines stilechten Bahnhofs fuhren wir mit dem Pferdewagen. Die Russen hatten die Bahngleise, welche die Ortschaft mit der Welt verbindeten mitgehen lassen.
Mein geliebtes Kamień Pomorski
Mama und Rysia erwarteten uns. Nach einem kurzen Marsch durch die menschenleeren Straßen erreichten wir unsere Wohnung: drei Zimmer und eine Küche im zweiten Stock; in einem der drei Grundschulgebäude – gegenwärtig die Jan-Długosz-Str. Nach einiger Zeit wurde Grzegorz abgeholt, zurück zu seiner Mutter, die nicht nach Warszawa zurückgekehrt war, sondern sich in Wrocław wiedergefunden hatte. Zwar verliefen entlang der Schule Bahngleise, doch hier fuhren keine Züge. Etwas weiter entfernt befanden sich Gebäude und Anlagen der Lokschuppen. Die Gebäude standen leer. Genau hierhin zog es uns Jungs, umso mehr, da es beim Lokschuppen ein Kran zum Beladen der Dampflokkohlewägen gab. Er erinnerte an ein Karussell und so nutzen wir ihn auch. Eine Reihe Wägelchen stand auf der Schmalspur, die zur Kohleverladestelle führte. Wir hoben das mit einem Stahlseil an den Kran befestigte Wägelchen an. Wie man einen Eimer aus dem Brunnen mit einer Kurbel herauszieht, gab es hier zwei Kurbeln, an denen je zwei Jungs benötigt wurden, um das Wägelchen, in dem der Glückliche saß, anzuheben und das Karussell drehen zu können. Mit Sperrklinken wurden die Kurbeln gesichert. Aus ganzer Kraft schoben wir nun den Wagen an. Jeder wartete auf seine Reihe, um dieses faszinierende Kettenkarussell zu erleben. Doch eines Tages rutschte mir beim Anheben des Wagens die Kurbel aus den Händen, brach mir die Finger meiner linken Hand und schnitt die Haut auf. Mit einem Lappen verband ich meine Hand, damit man das Blut nicht sah, damit die Eltern davon nicht erfuhren. Ihr Gerede, ihre Verbote und Einschränkungen meiner Freiheit brauch ich nicht. Meine Hand verheilte, doch ein Finger ist bis heute krumm gebliben, denn so wollte es die Natur. Meine Eltern haben nichts von alledem mitbekommen. Sie waren von den außergewöhnlichen Nachkriegsjahren vollends in Anspruch genommen.
Rysia und ich besuchten die nahe gelegene Schule. Ich kam in die zweite Klasse, jedoch beschlossen die Lehrer nach einiger Zeit mich in die dritte Klasse zu versetzen. Zwar war ich viel jünger als die anderen Drittklässler, doch der Unterbrechung ihrer Schulzeit des Krieges wegen, hatten sie viel aufzuholen. Außerdem versprachen sich die Lehrer von meiner Höherstufung, dass mich der Einfluss meiner älteren Mitschüler zügeln würde. Und tatsächlich, in der Schule trieb ich keinen Unfug mehr, dafür boten mir die älteren Jungs Zigaretten an. Doch es sollte nicht sein, dass ich in die Fänge der Sucht falle. Den stickigen СКАЧАТЬ