Название: Der Preis für ein Leben ohne Grenzen - Teil I
Автор: Adalbert Dombrowski
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754938386
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Einige Quellen besagen, dass die Kriegshandlungen Kamień Pomorski zu 70% zerstört haben. Tatsache ist, dass das Rathaus ausgebrannt war, der Bahnhof zerstört war sowie die Molkerei und am meisten sichtbar war das Bombeneinschlagsloch in der örtlichen Brauerei unten am Kai. Kamień Pomorski war wie ausgestorben. Die leerstehenden Wohnungen waren noch vollständig eingerichtet, wie wenn sie auf neue Bewohner warten würden. In leeren Sraßen standen die Türen der verlassenen Häuser offen. Es machte großen Spaß, die Straßen entlang zu gehen und Fensterscheiben mit Steinschleudern einzuschlagen. Wir betraten die Wohnungen und zerrissen wunderschön gebundene, mit deutscher Gotik bedruckte Bücher. „To szwabskie - das ist deutsch!" Diese Worte waren die einzige Rechtfertigung unserer jugendlichen Gedankenlosigkeit. Wir gingen in die Keller, in denen reihenweise Eingemachtes in den Regalen stand. Mit Stöcken, die unabdingbare Gesellschafter unserer Expeditionen waren, schlugen wir enthusiastisch in Gläser voll mit Gutem aus Sommertagen.
Wenn wir etwas fanden, was uns gefiel, nahmen wir es mit, wie wenn es uns gehörte. Nicht selten trafen wir auf Erwachsene. Sie verjagten uns, nahmen aber selbst auch was sie irgendwie gebrauchen könnten. Die Szabersleut wüteten in den verlassenen Wohnungen und Häusern. Sie trugen alles heraus, womit man nur handeln konnte. Daher stammt das Wort „Szaberplac", also ein Platz, auf dem geplünderte Güter verkauft wurden. Auch die russische Armee trug zur Verwüstung dieser Gebiete bei. Sie eigneten sich alles an: Eisenbahngleise, eiserne Brücken, Maschinen, doch am liebsten nahmen sie ganze Fabriken auseinander, die sie bei sich wieder aufbauten. Doch zurück zu den ehemals deutschen Mietshäusern in Kamień Pomorski. Scheibenlose Fenster und Dächer, die nicht selten ihrer guten Dachziegel oder Bleche beraubt waren, konnten die Gebäude nicht mehr schützen vor Wind und Wetter. Sie verkamen zu Ruinen, bis schließlich die kommunistischen Herrscher die Überreste dieser Altbauten dem Erdboden gleichmachten und an gleicher Stelle sozialistische Wohnblöcke erbauten, wie sie bis heute stehen.
Es war Anfang Dezember 1945, Schnee war gefallen. Eines Abends durften wir unsere Wohnung nicht betreten. Unsere Nachbarin nahm uns zu sich und sagte, dass wir bei ihr schlafen würden, weil Mama krank sei. „Aber macht Euch keine Sorgen. Morgen gibts eine Überraschung", fügte sie geheimnisvoll hinzu. In der Früh des 5.Dezember kamen wir ins elterliche Schlafzimmer. Mama lag im Bett. Sie winkte uns zu, uns vorsichtig ihrem Bett zu nähern. „Ihr habt ein kleines Schwesterchen", flüsterte sie uns zu. „Wollt ihr sie sehen", schaute sie uns fragend an. Ich nickte. Mama beugte sich über das kleine Bettchen neben dem elterlichen. Zuerst beugte sich Rysia hochgespannt drüber, richtete sich aber sofort wieder auf und auf ihrem Gesicht erschien eine Grimasse: „Ganz schön hässlich und klein", sagte sie und ging zu ihren schönen und großen Puppen. Nach einem Augenblick erblickte auch ich das kleine Geschöpf. So winzig und so wehrlos! Und was für große Äuglein sie hat. Ich lächelte Mama zu. „Mami, sie ist wie ein kleiner Frosch (Żaba)", flüsterte ich. Żabcia, Żaba, Żabulek. Damals nannte niemand unser kleines Schwesterchen anders. Unser Mädchen sollte den Namen Joanna erhalten. In der Behörde schrieb der Sachbearbeiter Johanna auf und der nächste korrigierte den Fehler auf Hanna. Und so ists geblieben.
Schnell waren die ersten Nachkriegs-Weihnachtsfeiertage vergangen und das Neue Jahr 1946 wurde mit einem Knall aus von uns inszenierten Explosionen begrüßt. Überall lag Munition! Damals wühlten alle Jungs in Munition. Einige gingen an die Bucht und warfen die Ladungen ins Wasser, um die Fische zu ertauben. Schießpulver gab es im Überfluss - man musste es lediglich aus jeglicher Art von Geschossen aushülsen, die auf den Straßen, Höfen und in verlassenen Gebäuden zuhauf umherlagen. Warnungen unserer Eltern und Lehrer überhörten wir, solange es zu keiner Tragödie gekommen war.
Doch eines Tages kam es in unserer Straße zu einer ungeheueren, von einer riesigen Staubwolke begleiteten Explosion. Unweit der Schule stand ein langes, gemauertes Haus. Zwei Burschen, die in desem Haus wohnten hatten eine Panzerfaust gefunden. Sie nahmen sie mit in den Keller, wo es zur Tragödie kam. Beinahe gänzlich wurde das Haus zerstört. Die gesamte Nachbarschaft kam zusammengelaufen. Ich lief voraus, dort waren schließlich meine Freunde! Ätzender Rauch verschloss den Kellereingang. Lange konnten wir den Keller nicht betreten. Jedoch fand ich mich als erster unten und was ich dort vorfand, kann man nur schwer vergessen. Auch Rysia war unter den herbeigelaufenen Schulkindern. Von diesem Tag an fürchtete sie sich alleine einen Keller zu betreten. Dieser Unfall führte uns vor Augen, wie gefährlich unsere Spielchen waren. Trotzdem verschwanden die Schießpulversäckchen nicht aus unseren Hosentaschen.
Mit dem ersten Frühlingstauwetter zogen wir um in ein Zwei-Familienhaus mit abschüssigem Dach in der Konopnicka-Str. 12. Die andere Hälfte bewohnten die Herrschaften Wiśniewski. Den Innenhof teilte eine hohe, rissige Mauer. Parallel zum Wohnhaus befanden sich Wirtschaftsgebäude, die ebenfalls an die Mauer anlagen. Hinter dem Gebäude breitete sich der Obstgarten aus; mit einer Hecke vom Feld abgetrennt, welches auch zu uns gehörte. Zwei Stufen führten zur Eingangstür. Die Nachbarn waren sehr herzlich und ein breiter Riss in der Mauer erleichterte den Austausch der neuesten Nachrichten. Rysia und ich hatten zwei Zimmer im oberen Stockwerk: ein Spiel-, ein Schlafzimmer. In unserem Stock befand sich außerdem ein Badezimmer und eine ungenutzte Küche. Im Erdgeschoss befand sich die zweite Küche, das Speisezimmer und das Elternschlafzimmer. Am Flurende ging es in Papas wunderschönes Arbeitszimmer. Unter der Treppe in einer hölzernen Wand befanden sich zwei Türen. Eine führte in den Keller, die andere in eine beträchtliche, reich sortierte Speisekammer. Nach den hungrigen Kriegszeiten begannen wir nun wirklich herrlich zu essen. Wie Pilze nach dem Regen waren private Metzgereien, Bäckereien, Konditoreien und Geschäfte mit den schmackhaftesten Leckereien aus dem Boden gesprossen.
Mama hatte eine Unmenge an Verpflichtungen mit der Betreuung der kleinen Żaba sowie der Haushaltsführung und Papa - wie üblich - war wochenlang nicht da. Er beschäftigte sich nicht nur mit dem Schulwesen, sondern engagierte sich ebenfalls politisch. Im Namen des PSL (Polskie Stronnictwo Ludowe, welches für ein unabhängiges, demokratisches Polen einstand) gründete er WICI-Kreise, also die Jugendorganisation der PSL. Nach Hause kam Papa zu den unterschiedlichsten Uhrzeiten, doch meistens nachts, wenn wir schon schliefen. Nur selten sahen wir ihn. Wenn er mal da war, hielt er sein Motorrad immer im Garten hinter dem Wirtschaftsgebäude versteckt. Warum nicht im Schuppen, fragte ich mich.
Es war das Jahr 1946. Auf den Straßen lag noch schmutziger Schnee, doch es roch schon nach Frühling. Ich war auf dem Weg zum Schulsportplatz. Im Schulgebäude standen die Fenster weit offen. Plötzlich traf mich ein Schneeball. Auf solch eine Provokation musste ich reagieren, also packte ich in die Mitte meines Schneeballs einen Stein und warf ihn in Richtung der Provokateure in den Fenstern. Und wieder schlug ich eine Fensterscheibe ein. Zur Strafe durfte ich nicht am Unterricht teilnehmen. Ich war sauer, denn ich fühlte mich ungerecht behandelt. Ich hab doch nicht angefangen! Ich zeigs ihnen, dachte ich mir. Also ging ich zu den hölzernen Schultoiletten (Plumpsklos) am hinteren Ende des Sportplatzes. Aus meiner Hosentasche holte ich eine große, aufgerissene Patrone und ein Schießpulversäckchen, mischte eine kleine Sprengstoffladung zusammen und zündete sie an. Ich wusste: sobald dünne Flammen aus dem Geschoss zu sprühen begannen, heißt es werfen und sofort weglaufen. Also ließ ich das Geschoss in der ersten Kabine fallen und versteckte mich hinter der nahe gelegenen Böschung ... Bumm!!! Die Explosion war unerwartet effektiv: Holzstücke und brauner Brei flogen durch die Luft, es stank furchtbar. Lehrer und Schüler kamen aus der Schule gelaufen; ich lief heim. Der besorgten Mama habe ich schnell etwas geantwortet und ging von selbst brav Holz hacken, um mein schlechtes Gewissen rein zu waschen. In der Schule konnten sie sich schnell zusammenreimen, wer die Toiletten in die Luft gejagt hat. Boshaft winkte mir eine Schulfreundin mit einem Briefumschlag zu, als sie mir auf der Straße begegnete: „Ha! Ich habe von der Schule einen Brief an Deine Eltern! Du СКАЧАТЬ