Название: Der Preis für ein Leben ohne Grenzen - Teil I
Автор: Adalbert Dombrowski
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754938386
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Mittlerweile war ich in Piła angekommen, durch die Haustür und dann nach rechts, die Erdgeschosswohnung: dunkel und überall feucht ist es im Haus. Die Wohnungstür stand offen, ich ging hinein und hörte Żabas Weinen, Rysias Geschrei. Sehr gut kannte ich den Charakter meiner älteren Schwester, also wusste ich sofort, was los war. Sie bewies dem Kleinkind ihre Überlegenheit. Ich fiel ins Zimmer, befreite das kleine Mädchen und warf Rysia zu Boden. Mit meinen Knien drückte ich ihre Hände zu Boden, dass sie sich nicht bewegen konnte. Mit meinen Fingern berührte ich ihr Gesicht und sagte leise aber ausdrucksstark: „Wenn Du noch einmal Hania anfasst, dann schlage ich Dich zusammen, dass Du aussehen wirst wie ein verfaulter Apfel. Ich warne Dich!” Rysia hat die Drohung verstanden, eine vergleichbare Situation wiederholte sich nie wieder. Ehe ich nach Bydgoszcz zurückkehrte, hackte ich für Mama noch den Holzvorrat für den ganzen Winter und räumte die Kohle, die noch vor dem Haus lag, in den Keller.
Die wunderbare Frau Marta
Es war ein wunderschöner, warmer Herbst. Einige Monate musste ich noch aufs Gymnasium in Bydgoszcz gehen. Tante Ola war zu Besuch. Sie half Basia bei den Umzugsvorbereitungen. Nach arbeitsreichen Tagen, spielten die Erwachsenen abends meistens Bridge. Eines Tages war Tante Olas gute, schon lange nicht mehr gesehene Bekannte Marta mit von der Partie. „Marta spielt hervorragend Bridge, also brauchen wir nicht mehr mit edem „Opa” spielen”, fügte sie hinzu und alle setzten sich an den Tisch. Marysia brachte Tee und hausgemachtes Kleingebäck. Basia mischte und verteilte gekonnt die Karten. Ich saß daneben und beobachtete das Spiel oder eher die vierte Person. Nur schwer konnte ich sie nicht anschauen, sie zog meinen Blick förmlich an. Sie war sehr hübsch, unglaublich nett und lachte mich wunderbar an. Ich setzte mich auf die Armlehne des Sessels und tat so, wie wenn ich das Spiel beobachten würde. Auf die Frage des Gastgebers hin nach ihrer Arbeit erklärte sie ausführlich was sie macht und beschrieb dann detailgetreu, wo sich ihr Büro befindet, fügte sodann hinzu, dass sie von ihrem Schreibtisch die eintretenden Antragsteller sehe. Dabei blickte sie wie nebenbei zu mir, so, dass mich ein Gefühl überwältigte, diese Beschreibung sei nur für mich.
Am nächsten Tag folgte ich Frau Martas Wegbeschreibung. Außen an dem neuen Bürogebäude - einem mehrstöckigen Pavillon - stieg ich die Treppen hinauf in der Hoffnung, von dieser interessanten Frau bemerkt zu werden. Plötzlich öffnete sich eine Tür: lächelnd stand Frau Marta vor mir. Ja, sie lächelte tatsächlich mich an! Wir begrüßten einander und ich hörte, worauf ich unterbewusst gehofft hatte: „Im Grunde kann ich jederzeit die Arbeit verlassen, also könnten wir außerhalb der Stadt fahren und uns ungezwungen unterhalten.” Mit ihrer Syrenka, diesem Wunderwerk der Motorisierung fuhren wir die Gdańska-Str. immer geradeaus, bis hinter die Bahngleise in einen kleinen Wald. Bezaubert hörte ich zu, wie Frau Marta sprach und sie sprach unaufhörlich, während sie den Wagen lenkte. Wir parkten an einer Waldlichtung und aus dem Kofferraum holte Frau Marta eine Decke, welche sie auf der Wiese ausbreitete. Wir setzten uns und plauderten nett. Ohne den Faden zu verlieren, verlor sie ebensowenig Zeit. Ihre Hand bewegte sich sanft auf meinem Oberschenkel, immer höher und höher, während ihre zarten Finger mit schmetterlingsähnlichen Berührungen meine Hose aufknöpften. Solche Ausflüge wurden unsere bevorzugte Freizeitbeschäftigung, bis ich nach Warszawa umzog.
Umzug nach Warszawa
Den gesamten Umzug erledigte der Onkel: Die Sachen wurden verpackt, die Laster fuhren davon. Basia, Marysia und ich fuhren mit dem Zug. Vom Hauptbahnhof fuhren wir mit der Straßenbahn nach Muranów. Am Banken-Platz stiegen wir aus (zu Zeiten der Volksrepublik Polen – 1944-1989 – war dies der Dzierżyński-Platz mit seinem Denkmal; benannt nach Feliks Dzierżyński, dem Gründer des sowjetischen Terrorapparats, dem ersten Leiter einer sowjetischen Geheimpolizei, welche – nicht nur in Polen - Massenmorde an sog. „Volksfeinden” zu verantworten hat: an der politischen Opposition, sog. „klassenfremden” Gutsbesitzern, Unternehmern und Geistigen; auf diese Weise verdiente er sich seine Spitzennamen „blutiger Feliks” oder „roter Henker”; bei seinem Begräbnis trugen u.a. Stalin und Trocki seinen Sarg; ein viel sagender Ausspruch Stalins lautet: „Keine Menschen, keine Probleme”.) und gingen am Mostowski-Palast vorbei zum ersten Gebäude der neu entstehenden Wohnsiedlung Muranów, zur Nowolipiki-Str. 9. Hinter dem Haus erstreckte sich der Blick über das dem Boden gleich gemachte Warschauer Getto, nur der Turm der St. Augustin Kirche war als einziger zu sehen am Horizont der tragischen Eintönigkeit und erinnerte an die Tragödien, welche hier stattgefunden haben. Die grausam verkrüppelte Hauptstadt, voll von Stümpfen ausgebrannter Gebäude, pulsierte aber wieder mit Leben. Überall sah man Baustellen, neue Siedlungen, Verkehrswege und Straßen wurden abgesteckt. Die neue Wohnung erinnerte in keinster Weise an die in Bydgoszcz: drei Zimmer, Küche und Bad, doch die Zimmer waren klein und niedrig - ein typisch sozialistischer Neubau. Zwar war diese Wohnung zu klein, für mich war kein Platz, doch wir blieben hier. Der Onkel teilte mir mit, dass ich Schüler des General-Sowiński-Gymnasium in der Młynarska-Str. 2 bin, gleich hinter dem Straßenbahndepot des Stadtteils Wola. Der Schulweg war sehr lang. Das große, graue Gebäude beherbergte zwei Schulen sowie Sportplätze. Neben den Unterrichtsräumen und einer Turnhalle befanden sich im Gymnasium zwei Aulen, eine kleine und eine große, in denen verschiedene Feierlichkeiten stattfanden. Im Sekretariat im Erdgeschoss fragte eine freundliche Dame nach meinem Namen und sagte nur: „Klasse 8b.”
Meine großartige Schulklasse
Irgendwie war meine neue Schulklasse anders. Die Jugendlichen waren ernster und ruhiger, verglichen mit denen in Bydgoszcz. Neben mir in der Schulbank saß - so blieb es bis zur Matura - der ebenso ruhige Rysiek Chaba. Rysiek wohnte mit seinen Eltern in einer Holzbaracke im Stadtteil Koło – ein Teilbezirk des Stadtteils Wola, gleich an der Straßenbahnschleife der „Dreizehner”-Linie. Rysieks Familie hatte Łuck verlassen müssen, nachdem es sich außerhalb der Grenzen Polens wiedergefunden hat. Mit Straßenschuhen durften wir die Schule nicht betreten, wir mussten sie in der Garderobe im Souterrain lassen und Hausschuhe anziehen. Sie waren fester Bestandteil unseres Schulalltags: in ihnen konnte man hervorragend durch die polierten und gebohnerten Gänge rutschen, was selbstverständlich verboten war. Außerdem konnte man mit ihnen Streitigkeiten schlichten, wobei natürlich der Ernst der Klasse verflog. Während Jungs diese Auseinandersetzungen führten, bekamen die Mädels gelegentlich fehlgeleitete „pantoffelne Fluggeräte” ab. Leicht hatten es die Mädchen nicht mit uns, aber ganz so schlimm war`s auch wieder nicht, einige in der Klasse zusammengekommene Pärchen sind mittlerweile schon über ihr goldenes Jubiläum hinaus zusammen. Unaufhörlich dauerten die Kämpfe an, die Pantoffeln schwirrten nur so durch die Luft. Der Trubel in der Klasse übertönte nicht selten die Schulglocke: Unerwartet tauchten in der offenen Tür zusammengerollte Landkarten auf, unterm Arm unseres Geographielehrers Professor Reszke - ein kleiner Mann mit stattlichem Bäuchlein. Sein rundes Gesicht schmückte eine Brille aus hörnernem Rahmen und eine Frisur aus Haaren, die sich schon vor langer Zeit verabschiedet hatten. Unglücklicherweise kreuzte sich sein Weg, mit der Flugbahn eines unserer Fluggeräte, das ihn geradewegs an seiner gehaltvollen Backe traf und eine Spur staubigen, dunkelgrauen Umrisses hinterließ. Wütend drehte er auf der Ferse um und knallte die Tür hinter sich zu. Es wurde still. Sofort stellten wir die Bänke wieder in Reihe und warteten leise und brav, wie wenn nichts geschehen wär. Lautes Getrampel kündigte an, was СКАЧАТЬ