Название: Les Misérables / Die Elenden
Автор: Victor Hugo
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754173206
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Tholomyès brach ab.
»Verpuste Dich, Tholomyès!« rieth Blachevelle.
Zu gleicher Zeit gab er der Rührung, die Tholomyès Weisheit in ihm erzeugt hatte, angemessenen Ausdruck, indem er, sekundirt von Listolier und Fameuil, ein erbauliches Lied anstimmte. Sinn hatte es nicht, denn es bestand aus zusammengewürfelten Wörtern; aber es wurde nach einer wehmüthigen, feierlichen Bänkelsängermelodie vorgetragen, die der weihevollen Stimmung des Augenblicks angepaßt war. Leider übte es keinen Einfluß auf Tholomyès, der wieder sein Glas füllte und fortfuhr:
»Nieder mit der Weisheit und Vernunft! Vergeßt Alles, was ich gesagt habe. Ich bringe einen Toast aus auf die Freude! Gesellen wir dem Jus den Ulk und den Suff zu. Vermählen wir Justinian mit der Fidelität! Freue dich, Weltall! Ich bin glücklich. Wie die Vögel sich amüsieren! Sei mir gegrüßt, Sommer. O Parke und Gärten, wie schön seid ihr, mit euern döseligen Kommisjungen und allerliebsten Kindermädchen, die nicht blos die Kinder, die schon da sind, warten, sondern auch das Fundament zu anderen legen! Die Pampas könnten mir gefallen, aber ich ziehe die Arkaden des Odeons vor. Umarme mich, Fantine!«
Er irrte sich aber und küßte Favourite.
VIII. Tod eines Pferdes
»Bei Bombarda ist es hübscher als bei Edon«, behauptete Sephine.
»Bewahre!« entgegnete Blachevelle. »Edon ist luxuriöser eingerichtet. Fast asiatisch. Bei Bombarda sind die Messerhefte aus Silber, bei Edon aus Horn.«
»Dort«, sagte Tholomyès und zeigte auf den Invalidendom, »sind Welche, die nicht für das Silber schwärmen. Diejenigen, denen man silberne Kinnbacken eingesetzt hat.«
Nach einer Pause fragte Fameuil:
»Wen ziehst Du vor, Descartes oder Spinosa?«
»Desaugiers!« entschied Tholomyès, trank sein Glas aus und fuhr fort:
»Ich habe nichts gegen das Leben einzuwenden. Es ist nicht alles zu Ende auf der Welt, so lange man noch Unsinn reden kann. Den unsterblichen Göttern danke ich dafür. Man lügt, aber man lacht. Man behauptet, aber man zweifelt. Aus dem Syllogismus entwickelt sich Unerwartetes, und das ist schön. Noch giebt es hienieden Menschen, die mit der Vexirschachtel des Paradoxes umzugehen wissen. Was Sie jetzt so gleichgültig trinken, meine Damen, ist Madeira, Coural das Freiras, das 317 Klafter über dem Meeresspiegel liegt, und diese 317 Klafter verkauft ihnen der splendide Restaurateur Bombarda für vier und einen halben Franken. Gepriesen sei Bombarda. Er könnte sich messen mit Munophis von Elephanta, wenn er mir eine Bajadere zulegen und Thygelion von Chäronea, wenn er mir eine Hetäre nachweisen könnte, denn, o meine Damen, es gab Bombardas in Griechenland und Aegypten. Dies theilt uns Apulejus mit. Immer dasselbe und nie etwas Neues! Das ist der Lauf der Welt. Nil sub sole novum, sagt Salomo. In der Liebe sind alle gleich! sagt Virgil.«
So hätte Tholomyès noch lange schwabbeln können, wenn nicht draußen auf dem Pflaster plötzlich ein Pferd gestürzt wäre, was einen Auflauf verursachte. Bei dem Lärm liefen Alle auf die Fenster zu und Tholomyès verstummte.
»Armes Thier!« seufzte Fantine.
Worauf Dahlia spöttelte:
»Jetzt jammert Fantine gar um ein Pferd! Wie kann man so dämlich sein!«
In dem Augenblick trat Favourite mit verschränkten Armen und zurückgeworfenem Kopfe vor Tholomyès hin und fragte mit energischem Ton:
»Wo bleibt denn die versprochene Ueberraschung?«
»Ja richtig. Der Augenblick ist gekommen. Meine Herren, die Stunde der Ueberraschung hat geschlagen. Meine Damen, warten Sie einige Minuten auf uns.«
»Zuerst ein Kuß!« erklärte Blachevelle.
»Auf die Stirn«, ergänzte Tholomyès.
Jeder drückte feierlich seiner Geliebten einen Kuß auf die Stirn; dann gingen sie im Gänsemarsch der Thür zu, indem sie den Zeigefinger auf den Mund hielten.
Favourite klatschte in die Hände.
»Das fängt ja spaßhaft an«, sagte sie.
»Bleibt nicht zu lange!« mahnte Fantine. »Wir warten auf Euch.«
IX. Das lustige Ende der Lustigkeit
Als die jungen Mädchen allein waren, stellten sie sich zu zweien an die Fenster und neigten sich hinaus.
Die jungen Leute kamen aus dem Restaurant Bombardo Arm in Arm, wandten sich zu ihren Damen um, grüßten sie lachend und verschwanden in der Menge, die auf den Champs-Elysés hin- und herwogte.
»Bleibt nicht zu lange!« rief ihnen Fantine zu.
»Was werden sie uns wohl mitbringen?« fragte Sephine.
»Doch gewiß etwas recht Hübsches!« bestimmte Dahlia.
»Es muß etwas Goldenes sein!« sagte Favourite.
Ihre Aufmerksamkeit wurde bald in Anspruch genommen durch das rege Treiben, das sich jetzt an dem Ufer des Flusses einwickelte. Es war die Stunde, wo die Postkutschen ihre Fahrt antraten. Damals waren die Champs-Elysée der wichtigste Ausgangspunkt für den Postverkehr mit dem Osten und Westen und die meisten Deligencen fuhren an dem Fluß entlang zu dem Thor von Passy hinaus. Eins nach dem andern von diesen gelb und schwarz angestrichenen, gewaltigen, schwerfälligen, mit Gepäck überladenen, mit Menschen vollgestopften Fuhrwerke rasselte in rasendem Galopp, Funken sprühend und Staub aufwirbelnd durch das Menschengewirr. Dieser Lärm machte unsern jungen Mädchen Spaß. Favourite rief:
»Ein Lärm, als wenn Ketten auseinander gerissen werden!«
Eine Deligence, die man durch die Ulmenkronen schwer erkennen konnte, hielt plötzlich an und setzte sich dann wieder in Bewegung.
»Sonderbar!« meinte Fantine. »Ich glaubte, die Deligencen hielten nicht an.«
Favourite zuckte die Achseln.
»Die Fantine ist komisch. Ich besuche sie aus Neugierde, – weil sie mir Spaß macht. Ueber die einfachsten Dinge staunt sie. Gesetzt ich will mitfahren und sage: Ich gehe voraus. In der und der Straße steige ich ein. Gut. Ich warte also an der betreffenden Stelle, die Deligence kommt, hält an und ich steige ein. Das passiert alltäglich. Aber Du weißt nicht, wie's in der Welt zugeht, kleine Fantine.«
So verging СКАЧАТЬ