Les Misérables / Die Elenden. Victor Hugo
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Название: Les Misérables / Die Elenden

Автор: Victor Hugo

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783754173206

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СКАЧАТЬ war ein alter unverheiratheter Mathematiklehrer, der noch Privatstunden gab. Dieser Lehrer hatte in seiner Jugend eines Tages zugesehen, wie das Kleid einer Kammerjungfer an einem Kaminvorsetzer hängen blieb, und dieser Vorfall hatte in ihm Gefühle der Liebe geweckt, deren Ergebniß Favourite war. Sie begegnete hin und wieder ihrem Vater und sie sagten sich guten Tag. Eines Morgens war eine alte Frau zu ihr gekommen und hatte gefragt: »Fräulein, Sie kennen mich wohl nicht, Fräulein?« »Nein!« »Ich bin Deine Mutter.« Darauf war die Alte über den Speiseschrank hergefallen, hatte gegessen und getrunken, eine Matratze kommen lassen und sich bei ihr einlogiert. Diese griesgrämige und bigotte Alte redete nie ein gemüthliches Wort mit Favourite, aß für Vier und beklatschte beim Portier ihre eigene Tochter.

      Was Dahlia in Listoliers Arme und in die Arme des Müßiggangs geführt hatte, war der Umstand, daß sie allerliebste rosa Nägel hatte, die durch zu viel Arbeit entstellt worden wären. Wenn man tugendhaft bleiben will, darf man mit seinen Händen kein Erbarmen haben. Sephine hatte es Fameuil angethan mit dem schelmischen Ausdruck, den sie in die Worte: »Ja, mein Herr!« zu legen wußte.

      Die jungen Männer waren Kameraden, die jungen Mädchen Freundinnen. Dergleichen Liebe paart sich immer mit solcher Freundschaft.

      Tugend und Philosophie sind zwei verschiedene Dinge, denn Favourite, Sephine und Dahlia waren Philosophinnen, aber Fantine tugendlich.

      Tugendhaft, wenn sie ihren Tholomyès hatte? Salomo würde sagen, daß die Liebe ein Bestandtheil der Tugend ist. Wir beschränken uns auf die Bemerkung, daß Fantinens Liebe ihre erste, einzige und eine treue Liebe war.

      Sie war die Einzige von den Vieren, die nur von Einem geduzt wurde.

      Fantine gehörte zu den Wesen, die so zu sagen aus den untersten Schichten der Gesellschaft hervorwachsen. Sie trug den Stempel der Anonymität und des Unbekannten an der Stirne. In Montreuil-sur-Mer geboren, hatte sie nie Vater und Mutter gekannt. Sie nannte sich Fantine. Warum Fantine? Einen andern Namen hatte sie nie gehabt. Damals regierte noch das Direktorium. Kein Familienname, denn sie hatte keine Familie; kein Taufname, denn getauft wurde damals nicht. Sie bekam den Namen, den ihr der erste Beste beizulegen beliebte, als sie sich barfüßig auf der Straße herumtrieb. Ein Name fiel auf sie, wie die Regentropfen auf ihren Kopf. Sie hieß die kleine Fantine und damit basta! Das Geschöpfchen war nun einmal so auf die Welt gekommen. Im Alter von zehn Jahren verließ sie die Stadt und trat bei einem Bauern in Dienst. Als sie fünfzehn Jahre alt war, kam sie nach Paris, um ihr Glück zu machen. Sie war schön, bewahrte aber ihre Unschuld, so lange sie konnte. Die niedliche Blondine mit den hübschen Zähnchen besaß Gold und Perlen, das Gold trug sie auf ihrem Kopf, die Perlen im Munde.

      Sie verdiente sich ihr Brot mit ihrer Hände Arbeit; aber die Liebe gehört auch zum Leben, und das Herz kennt auch einen Hunger. Daher geschah es, daß sie Liebe zu Tholomyès faßte.

      Für ihn war dies Verhältniß ein Zeitvertreib, für sie eine Leidenschaft. Die von dem Gewimmel der Studenten und Grisetten belebten Straßen des Quartier latin sahen den Anfang dieses Liebesbundes. In jenem Straßengewirr auf dem Pantheonhügel, wo so viel Abenteuer sich abspielen, war Fantine manches Mal vor Tholomyès geflohen, hatte es aber immer so eingerichtet, daß er ihr wieder begegnen konnte. Kurz, die Idylle fand statt.

      Blachevelle, Listolier und Fameuil bildeten eine Gruppe, die sich Tholomyès unterordnete. Er war der Klugkopf, der Gescheidteste von den Vieren.

      Tholomyès war ein bemoostes Haupt mit einem üppigen Wechsel, denn ein Student mit viertausend Franken jährlich, galt damals für einen reichen Herrn. Obschon erst – oder schon – dreißig Jahre alt, hatte dieser Lebemann sich schlecht konserviert. Mit seinen Zähnen konnte er keinen Staat mehr machen, sein Gesicht wies Runzeln auf, und das Haupthaar war schon bedenklich gelichtet. Seine Verdauung ließ viel zu wünschen übrig, und das eine Auge litt an einem Thränenfluß. Aber sein körperlicher Verfall schien ihm wenig Kummer zu machen. Im Gegentheil. In dem Maße, wie seine Jugend ihm entschwand, wurde er fideler und witziger. An die Stelle seiner Zähne traten vergnügte Kalauer, den kranken Magen kurierte er mit Ironie, und sein Thränenauge lachte beständig. Floh seine Jugend schon vor der Zeit, so trat sie ihren Rückzug wenigstens in voller Ordnung an. Er dichtete einen Schwank für das Vaudeville, der allerdings abgewiesen wurde. Auch Gedichte verbrach er hin und wieder. Außerdem zweifelte er an allem Möglichen, was ja in den Augen der Schwachen eine große Ueberlegenheit ist. Also, da er ironisch veranlagt und kahl war, galt er für den Ersten unter den Vieren. Iron ist ein englisches Wort, das Eisen bedeutet. Sollte daher »Ironie« kommen?

      Eines Tages nahm Tholomyès die drei Andern bei Seite, setzt eine wichtige Orakelmiene auf und sagte: »Es ist beinah ein Jahr, daß Fantine, Dahlia, Sephine und Favourite uns bitten, wir möchten ihnen eine Ueberraschung bereiten. Wir haben sie ihnen feierlich versprochen. Sie liegen uns damit unausgesetzt in den Ohren, besonders mir. Wie in Neapel die alten Weiber dem heil. Januarius zurufen: »Gelbgesicht, thu Dein Wunder!« so mahnen unsere Schönen unablässig: »Tholomyès, wann rückst Du mit Deiner Ueberraschung heraus?« Zu gleicher Zeit rufen uns unsere Eltern nach Hause. Wir sind also zwischen zwei Feuern, und die Zeit ist gekommen, einen Entschluß zu fassen.«

      Hierauf senkte Tholomyès seine Stimme zu einem leisen Geflüster herab, und alsbald überstrahlte eine ungeheure Heiterkeit alle vier Gesichter zugleich.

      »Das nenne ich eine famose Idee!« rief Blacheville.

      Sie gingen in eine verräucherte Kneipe, die auf ihrem Wege lag, und aus ihrer geheimnisvollen Konferenz ergab sich eine großartige Landpartie, die am folgenden Sonntag die vier Paare zu gemeinsamem Vergnügen vereinigte.

      III. Vier und Vier

      Was vor fünfundvierzig Jahren eine Landpartie zwischen Studenten und Grisetten war, kann man sich heutzutage schwer vorstellen. Die Umgegend von Paris hat sich seit einem halben Jahrhundert beträchtlich erweitert. Wo früher kleine Thorwagen verkehrten, da ertönt jetzt der Pfiff der Lokomotive; wo früher das Postschiff einherschlich, fliegt jetzt ein Dampfer dahin. Für uns ist Fécamp bequemer zu erreichen, als Saint-Cloud für unsere Väter. Das Paris des Jahres 1862 ist eine Stadt, dessen Weichbild ganz Frankreich umfaßt.

      Die vier Paare verübten gewissenhaft alle Thorheiten, die damals bei Spaziergängen üblich und möglich waren. Die Ferien hatten eben begonnen und es war ein warmer, schöner Sommertag. Am Tage vorher hatte Favourite, die Einzige, die schreiben gelernt, im Namen der vier Damen, in einem, aller Orthographie hohnsprechenden Schreibebrief Tholomyès auf die Annehmlichkeiten des Frühaufstehens nachdrücklichst aufmerksam gemacht und infolge dessen war man schon um fünf Uhr aufgebrochen. Sie fuhren per Landkutsche nach Saint-Cloud, bewunderten den großen Wasserfall, der gerade trocken lag, und meinten: »Das muß sehr schön sein, wenn Wasser da ist!« Darauf frühstückten sie in der Tête-Noire, genehmigten sich eine Fahrt auf dem Karussel bei dem großen Bassin, stiegen zur Laterne des Diogenes empor, spielten Roulett in Sèvres und gewannen Makronen, pflückten Blumen in Puteaux, kauften sich Pfeifen in Neuilly. aßen überall Apfelkuchen und amüsirten sich überhaupt königlich.

      Die jungen Mädchen plapperten vergnügt, wie Spatzen im Frühjahrssonnenschein. Es war ein Freudentaumel. Vor Uebermuth gaben sie ihren Verehrern kleine Klappse. O selige Trunkenheit der Jugend! Schöne Jahre! Wer denkt nicht gern an sie zurück! Hast du, Leser, nicht auch im Walde die Zweige und Sträucher aus dem Wege gebogen, um Platz zu machen für ein hübsches Köpfchen hinter dir? Bist du nicht auch ausgeglitten auf einem feuchten Rasen und gehalten worden von einem lieben Wesen, das reizend jammerte: »Oh meine neuen Stiefeletten! Wie die aussehen!«

      Indessen fehlte doch eine kleine Widerwärtigkeit, die den Reiz jeder Landpartie erhöht, eine Regenhusche. Eigentlich hätte sie kommen müssen, denn Favourite hatte mit mutterhafter Fürsorge eine Wetterprognose gestellt und СКАЧАТЬ