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Revolutionäre. David sprach man sein Malertalent, Arnault allen Witz, Carnot alle Rechtschaffenheit ab. Soult, hieß es, habe nie eine Schlacht gewonnen. Und so gehörte es sich! Beschloß man doch, daß Napoleon kein genialer Mann sei. Bekanntlich bekommen Verbannte selten ihre Briefe von der Post, da die Polizei sie mit sorgsamer Gewissenhaftigkeit unterschlägt. Und dies ist nichts Neues, denn schon Descartes klagte darüber. Auch David beschwerte sich in einer belgischen Zeitung, daß er die an ihn adressierten Briefe nicht bekomme, forderte aber damit nur den Spott der königlich gesinnten Blätter heraus. An den Stichwörtern »Königsmörder« oder »Die dafür stimmten«, »die Feinde« oder unsre »Alliirten«, »Napoleon«, oder »Bonaparte« erkannte man zwei himmelweit verschiedene, politische Parteien. Alle sogenannten »gescheidten« Leute stimmten darin überein, daß die Aera der Revolutionen für immer geschlossen worden sei durch Ludwig XVIII, den »unsterblichen Urheber der Verfassungsurkunde.« An dem Sockel, der die Bildsäule Heinrichs IV. aufnehmen sollte, wurde das Wort Redivivus eingemeißelt. Piet stiftete in der Rue Therese Nr. 4 seinen Verein zur Befestigung der Monarchie. Canuel, O'Mahony und de Chappedelaine konspirirten und die Epingle Noire gleichfalls. Delaverderie knüpfte Unterhandlungen an mit Trogoff. Der in einem gewissen Grade liberale Decazes hatte eine leitende Rolle. Chateaubriand stand jeden Morgen vor seinem Fenster in der Rue Dominique Nr. 27 in Strumpfhosen und Pantoffeln, ein Madrastuch auf dem grauen Kopfe, die Augen auf einen Spiegel gerichtet, vor sich ein vollständiges Zahnarztbesteck und reinigte sich seine – sehr hübschen – Zähne, wobei er seinem Sekretär Pilorge Abänderungen zu der Monarchie selon la Charte diktierte. Die maßgebliche Kritik zog Lason dem Lieblingsschauspieler Napoleons, Talma, vor. Von Féletz unterzeichnete seine Schriften mit A, und Hoffmann mit Z. Die Ehescheidung war abgeschafft. Die Gymnasiasten, deren Rockkragen mit einer goldnen Lilie geschmückt war, keilten sich zu Ehren des Königs von Rom, Napoleons Sohn. Die Gegenpolizei des Schlosses denunzirte den gewichtigen Uebelstand, daß der Herzog von Orleans auf seinem überall ausgehängten Porträt, in seiner Uniform als Generaloberst der Husaren, sich besser ausnehme, als der Herzog von Berry in der Uniform eines Generaloberst der Dragoner. Die Stadt Paris ließ auf ihre Kosten den Dom der Invaliden von Neuem vergolden. Gesetzte Leute fragten sich, was wohl in der und der Lage Herr von Trinquelague thun würde; Clausel von Montal stimmte nicht in allen Punkten mit Clausel von Coussergues überein; von Salaberry war mißvergnügt. Der Schauspieler Picard, Mitglied der Akademie, die den Schauspieler Moliere nicht aufgenommen hatte, ließ »die beiden Philibert« im Odeon aufführen, an dessen Giebel man noch die Aufschrift ›Theater der Kaiserin‹ erkennen konnte. Man ergriff für oder gegen Cugnet de Montarlot Partei. Fabvier opponierte; Bavoux war Revolutionär. Pélicier gab Voltaires Werke heraus und setzte zu Voltaires Namen »Mitglied der Akademie« hinzu. »Das zieht Käufer an«, meinte der naive Schlaukopf. Allgemein war die Ansicht, Charles Loyson sei das größte Genie des Jahrhunderts; schon bekrittelte ihn der Neid, der alle großen Geister verfolgt. Der Kardinal Fesch weigerte sich abzudanken; de Pins, Erzbischof von Amasie, verwaltete die Diöcese Lyon. Der Streit um das Thal des Dappes zwischen der Schweiz und Frankreich begann mit einer Denkschrift des Hauptmanns Dufour. Saint-Simon, damals noch unbekannt, arbeitete an dem Aufbau seines großartigen Systems. In der Akademie der Wissenschaften gab es einen berühmten Fourier, den die Nachwelt vergessen hat, und in einer Bodenkammer wohnte ein unbekannter Fourier, dessen die Zukunft sich erinnern wird. Byrons Gestirn begann zu strahlen; in Frankreich machte eine Anmerkung zu einem Gedicht von Millevoye auf ihn aufmerksam mit den Worten: »ein gewisser Lord Baron.« David aus Angers versuchte sich in der Bildhauerkunst. Der Abt Caron erwähnte lobend im Seminar, in der Sackgasse des Feuillantines, einen unbekannten Priester Namens Felicite Robert, der später Lamennais genannt worden ist. Auf der Seine fuhr, an den Tuilerien vorbei, vom Pont Royal bis zum Pont Louis XV. ein Ding, das rauchte und im Wasser wie ein schwimmender Hund patschte, eine Maschine, mit der nicht viel los war, eine Art Spielzeug, das ein Träumer, ein Utopist erfunden hatte, ein Dampfboot. Die Pariser betrachteten das unnütze Ding mit Gleichgiltigkeit. De Vaublanc, der Reformator der Akademie, Schöpfer mehrerer Akademiker, konnte mit allen seinen Ukasen es nicht zu Wege bringen, daß er selber in das Institut aufgenommen wurde. Das Faubourg Saint-Germain und der Pavillon Marsan wünschte Delaveau als Polizeipräfekten, wegen seiner Frömmigkeit. Dupuytren und Récamier kabbelten sich in der Ecole de Medicine und bedrohten einander mit der Faust, um die Frage nach der Göttlichkeit Christi zur Entscheidung zu bringen. Cuvier schielte mit einem Auge nach dem ersten Buch Mose, mit dem andern nach der Natur und bemühte sich der kirchlichen Reaktion zu gefallen, indem er die Uebereinstimmung der Fossilien mit dem Text der Bibel nachwies und Moses von den Mastodonten liebkosen ließ. Francis de Neufchateau verlangte, die Kartoffeln sollten ihrem ersten Anbauer Pannentier zu Ehren Pannentieren genannt werden, hatte aber keinen Erfolg mit seinem Vorschlage. Der Abt Gregoire, ehemals Bischof. Mitglied des Convents und Senator, wurde in der realistischen Polemik der »schändliche Gregoire« tituliert. An dem Pont d'Jéna konnte man noch an seiner helleren Farbe den neuen Stein erkennen, mit dem man das, von Blücher gebohrte, Sprengloch zugestopft hatte. Ein Mann wurde vor Gericht gefordert, weil er beim Eintritt des Grafen von Artois in die Kirche Notre-Dame laut gesagt hatte: Hol's der Teufel! Da lobe ich mir die Zeit, wo ich Bonaparte und Talma Arm in Arm in den Bal-Sauvage gehen sah. Natürlich sechs Monat Gefängniß für die aufrührerische Rede. Verräther, die vor einer Schlacht zum Feinde übergegangen waren, brüsteten sich frech mit den Orden, mit den Würden, Aemtern, Reichthümern, die sie zum Lohn für ihre Nichtswürdigkeit empfangen hatten.
Dies sind die hervorragendsten Thatsachen des Jahres 1817. Die Geschichte bekümmert sich um dergleichen nicht und kann es auch nicht, weil sie sich durch ihre unendliche Menge nicht hindurchzuarbeiten vermag. Aber diese Einzelheiten, die man mit Unrecht Kleinigkeiten nennt, – nichts Menschliches ist klein, so wenig, wie es kleine Blätter an den Bäumen giebt, – diese Einzelheiten haben ihren Werth. Besteht doch aus der Physiognomie seiner Jahre das Antlitz eines Jahrhunderts.
In dem Jahre 1817 leisteten sich vier junge Pariser »einen famosen Witz«.
II. Ein Doppelquartett
Von diesen Parisern war der eine aus Toulouse, der andere aus Limoges, der dritte aus Cahors und der vierte aus Montauban; aber sie waren Studenten, und wer in Paris studiert, wird zum echten Pariser.
Die Vier waren unbedeutende junge Menschen, Gesichter, wie sie Jedermann zu sehen bekommt, weder gut, noch schlecht; weder gelehrt, noch unwissend, weder Genies, noch Schafsköpfe; hübsch, denn sie erfreuten sich jenes Lenzes, den man die Jugend nennt. Vier Oskare, denn zu jener Zeit war der Vorname Arthur noch nicht Mode. Man schwärmte für Ossian, für die skandinavischen und kaledonischen Namen, die englischen gelangten erst später zur Herrschaft und der erste aller Arthurs, Wellington, hatte die Schlacht bei Waterloo erst vor Kurzem gewonnen.
Diese Oskare hießen Felix Tholomyès, Listolier, Fameuil und Blachevelle. Selbstredend hatte Jeder eine Geliebte. Blachevelle liebte eine Favourite, so genannt, weil sie in England gewesen war, Listolier verehrte Dahlia, Fameuil vergötterte Sephine, Abkürzung von Josephine, und Tholomyès betete Fantine, die Blonde, an.
Favourite, Dahlia, Sephine und Fantine waren vier reizende, frische, lebenslustige Mädchen, Arbeiterinnen, die ihre Nähnadel noch nicht weggeworfen hatten, die durch die Liebe wohl vom rechten Wege abgelenkt waren, aber auf dem Gesicht und im Herzen noch nicht den Stempel des Lasters trugen. Eine von den Vieren, die Jüngste, wurde die Junge genannt, eine andere die Alte: diese war dreiundzwanzig Jahr alt. Um nichts zu verschweigen, so waren drei von ihnen erfahrener, sorgloser, leichtsinniger, als Fantine, die Blonde, die sich noch mit ihrer ersten Illusion trug. Dahlia, Sephine und besonders Favourite dagegen, waren in ihrem Lebensroman weiter vorgeschritten; der Liebhaber, der im ersten Kapitel Adolf hieß, war im zweiten ein Alfons und im dritten ein Gustav. Armuth und Eitelkeit sind verderbliche Rathgeber; der eine schilt, der andere schmeichelt, und die hübschen Mädchen aus dem Volke leihen Jedem gern ein Ohr. Daher die Fehltritte, die sie begehen, und die Steine, mit denen man nach ihnen wirft. Man verweist sie auf die Herrlichkeit der unzugänglichen Tugend und Unschuld. Du lieber Himmel! Wer weiß, ob die Jungfrau in der Schweiz nicht weniger unnahbar wäre, wenn sie Hunger hätte?!