Название: Mythos, Pathos und Ethos
Автор: Thomas Häring
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783738030754
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20.09.2003: Was wäre Deutschland ohne das Saarland? Zweifellos um so einiges ärmer, man denke nur an so Geistesgrößen wie Oswald Afroträne und Erich Honecker, von Dieter Füller ganz zu schweigen. Nun war es aber so gekommen in den vergangenen Jahren, daß die CDU im einst so roten Lande ganz allein regierte und da sie das scheinbar nicht gar so schlecht machte, stand zu befürchten, daß sie auch bei den Wahlen 2004 wieder reüssieren würde. Was konnte man dagegen tun? Vielleicht wieder mal das alte Schlachtroß ins Getümmel schicken, denn auch alte Besen kehrten manchmal gut, zumindest wirbelten sie zunächst jede Menge Staub auf. Oswald Afroträne war wieder im Gespräch und das freute alle, die mit jener Personalie irgendwas zu tun hatten. Immerhin war der ja ziemlich lange der Ministerpräsident des Saarlandes gewesen, von daher war es doch schon irgendwie naheliegend, eventuell auf den alten Siegertypen zurückzugreifen. Andererseits, gab es da überhaupt etwas zu gewinnen oder stand die erneute Niederlage nicht schon im Vornherein fest? Schließlich war die rot-grüne Bundesregierung dermaßen unbeliebt, daß jede Landtagswahl zu einem Plebiszit gegen sie mutierte. Nun ja, wenn die Gegenwart nicht gar so rosig erschien, dann erinnerte man sich halt überall immer gerne an die guten alten Zeiten, verklärte massiv die Vergangenheit und sehnte sich danach zurück. Wie aber mit Afroträne nun umgehen, der immer noch sehr populär im Lande war und dem die Basis seine Flucht aus allen Ämtern im Jahre 1999 wohl verziehen zu haben schien? Gute Wahlkämpfer konnte man immer brauchen, doch würde sich jener Spitzenpolitiker einreihen können und wollen? Das war die Frage aller Fragen, die niemand so recht beantworten konnte. So blieb erst einmal alles offen, die Einen waren tief betroffen, die Anderen dagegen begannen zu hoffen.
Die bayerische SPD taumelte derweil dem Abgrund entgegen. Hans Magnet freute sich über das bevorstehende Ende des aussichtslosen Wahlkampfs und die CSU bereitete sich auf eine gigantische Siegesfeier vor, eventuell würde Egmont Sträuber die Partei hinauf in himmlische Sphären führen, denn die mögliche Zweidrittelmehrheit bedeutete ja im Grunde so etwas wie die göttliche Allmacht, schließlich konnte man mit der eigenhändig die Bayerische Verfassung ändern. Doch hatte eine Partei, welche die Verfassung ohnehin immer genau so interpretierte, wie sie ihr gerade in den Kram paßte, das überhaupt nötig? Die CSU herself befand sich 2003 in einer exzellenten Verfassung, die Ausgangslage war hervorragend und im Grunde konnte man sich den 21.09.2003, an dem die Bayerische Landtagswahl über die Bühne gehen würde, so vorstellen: Es war genauso, wie wenn der FC Bayern München in der Fußball-Bundesliga zu Hause auf den SC Freiburg traf. Es stand schon von vornherein fest, daß der FC B gewinnen würde, darum stellte sich lediglich die Frage, wie hoch der sichere Sieg ausfallen würde. Für die Wahl hatten die Meinungsforscher also im Falle der CSU einen 5:0 Sieg vorhergesagt, vielleicht würde die Abstimmung auch 6:1 oder 7:0 enden, das war das einzig Spannende bei der ganzen Angelegenheit.
Was aber war das Geheimnis jener tollsten Partei der Welt? Warum liefen ihr die Wählerinnen und Wähler so hinterher, daß man fast schon von Stalking sprechen mußte? Na ja, zum Einen war und ist die CSU einfach einmalig. Sie ist einzigartig, sie ist etwas Besonderes, es gibt sie nur in Bayern, einzig und allein im Freistaat kann sie überhaupt gewählt werden. Sie ist deshalb nicht beliebig und austauschbar, sondern statt dessen beliebt sowie unverwechselbar. Das Brüllen des bayerischen Löwen vernimmt man sowohl in Berlin als auch in Brüssel. Bei der CSU handelt es sich um eine Marke, ein Unikat, einen Mythos. Den Mythos der absoluten Mehrheit, der Unbesiegbarkeit. Die CSU ist landespolitisch unterfordert, deshalb mischt sie auch in der Bundes- und der Europapolitik munter mit. Man muß sich das einmal vorstellen: Ihr Wahlergebnis bei der Bundestagswahl in Bayern reicht dieser phantastischen Partei locker aus, um über die bundesweite Fünf-Prozent-Hürde zu springen und somit in den Deutschen Bundestag einzuziehen. Außerdem bekommt sie seit Jahrzehnten so viele Direktmandate, daß sie es ohnehin immer in den Reichstag schaffen würde. CSU und Bayern, dabei handelt es sich um eine Symbiose, vielleicht sogar um eine Liebesbeziehung. Die meisten Wähler vertrauen der CSU, weil sie wissen, daß es sich dabei um ihre Bayernpartei handelt. Würde die CSU auch noch in anderen Bundesländern zur Wahl stehen, was sie ja einst ernsthaft erwogen hatte, dann würde sie in Bayern an Reiz und damit auch ihren ureigenen Charme verlieren. So aber kann sie immer und für alle Zeiten so tun, als wäre für sie nur Bayern und damit selbstverständlich auch die Bayern wichtig. Die CSU ist ein Gesamtkunstwerk, daran besteht kein Zweifel.
21.09.2003: "Sehr geehrter Herr Doktor Sträuber, Sie haben mit Ihrer CSU die Zweidrittelmehrheit geschafft. Was sagen Sie dazu?" forschte der Journalist. "Also, ich bin natürlich begeistert, unheimlich stolz und dankbar. Hierbei handelt es sich um einen großartigen Vertrauensbeweis von Seiten der Menschen in Bayern und ich verspreche Ihnen allen, daß ich alles dafür tun werde, um dieses Vertrauen zu rechtfertigen." "Was fällt Ihnen denn zum Ergebnis der SPD ein?" "Äh, also, na ja, wie soll ich das am klügsten ausdrücken, die bayerische SPD hat ja schon immer schlechtere Ergebnisse abgeliefert als die Bundespartei, aber in diesem Fall sind die Fehler natürlich in allererster Linie in Berlin und ganz besonders bei Bundeskanzler Schräder zu suchen." "Werden Sie 2006 noch einmal als Kanzlerkandidat der Union antreten?" "Also, na ja, diese Frage entscheiden wir Ende 2005 oder Anfang 2006, das steht heute Abend nun wirklich nicht zur Debatte. Fest steht jedenfalls, daß die CSU sowohl in Bayern als auch im Bund mit diesem Ergebnis natürlich unheimlich gestärkt worden ist." "Die Zweidrittelmehrheit im bayerischen Landtag, das ist ja nicht nur sensationell, sondern auch schon historisch. Hat man da als CSU und insbesondere Sie als überall beliebter und hochangesehener Ministerpräsident überhaupt noch Ziele?" "Aber selbstverständlich. Unser nächstes Ziel wird die Erringung der Dreiviertelmehrheit sein, danach streben wir die Vierfünftelmehrheit an und irgendwann möchten wir verständlicherweise die Fünfsechstelmehrheit erreichen." "Donnerwetter, da haben Sie sich ja ganz schön was vorgenommen. Wollen Sie etwa die Opposition aus dem Landtag jagen?" "Langfristig schon. Wir brauchen in Bayern keine Opposition, das erledigen wir notfalls auch selbst. Natürlich wird es schwierig werden, die SPD unter die Fünf-Prozent-Hürde zu bringen, aber wir arbeiten daran." "Na wenn das so ist, dann viel Erfolg!" "Vielen Dank! Ich träume davon, in einem Parlament zu sitzen, in dem sich nur Parteifreunde von mir befinden. Stellen Sie sich mal den Bayerischen Landtag mit 180 oder meinetwegen auch 200 Sitzen vor und die werden alle von CSU-Politikern besetzt." "Oh mein Gott, mir wird ganz schwarz vor Augen."
Die SPD hatte ein Waterloo erlebt. 19,6 Prozent, nicht einmal die 2 stand mehr vorne, daß man so tief sinken könnte, hatten sich nicht mal die düstersten Pessimisten vorstellen können. Klar, die Wahlbeteiligung war genauso eingebrochen wie die SPD, aber was half es zu wissen, daß womöglich viele von den eigenen Anhängern aus Frust oder Enttäuschung daheim geblieben waren? Man war es ja gewohnt, seit Jahrzehnten gegen die CSU zu verlieren, aber so eine Schlappe hatte es noch nie zuvor gegeben. Mehr als 40 Prozent lagen nun zwischen CSU und SPD, das war wirklich historisch. Wieder gab es Diskussionen, ob man sich nicht von der Bundes-SPD lösen und eine spezifische bayerische SPD gründen sollte, aber auch solche Überlegungen wurden schnell wieder verworfen. Wie tief würde man als SPD noch in den Keller rutschen?
Andererseits waren das Probleme, die Andere bestimmt gerne gehabt hätten. Klar, die Grünen waren zufrieden, sie hatten zwei Prozent dazu gewonnen und mußten dieses Mal nicht um den Einzug in den Landtag bangen. Aber die Freien Wähler und die FDP hatten es wieder nicht ins Parlament geschafft, genauso wenig wie die Republikaner, die ÖDP und alle anderen kleinen Parteien. Es blieb also bei gerade mal drei Parteien, welche über fünf Prozent der Wählerstimmen gekommen waren und das zeigte mehr als deutlich, wie schwer es war, in Bayern auf einen grünen Zweig zu kommen. Sträuber und die CSU freuten sich, die SPD war am Boden zerstört und die Grünen sahen sich im Aufwind. Kein Wunder, daß der SPD-Landesvorsitzende Haderlein mitsamt seiner Generalsekretärin Dielefeld am Tag nach der Wahl zurücktrat, aber ob das langfristig etwas nützen würde? Erstmals hatte die CSU alle Direktmandate gewonnen, schlimmer konnte es nun wirklich nicht mehr werden, ganz Bayern war tiefschwarz und würde es wohl auch bleiben.
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