Название: Germinal
Автор: Emile Zola
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754175019
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»Kommt ihr endlich?« rief sie zornig. »Ich hätte schon fort sein sollen.«
Als Alzire und die kleineren Kinder da waren, verteilte sie die Nudeln auf drei kleine Teller. Sie seihst habe keinen Hunger, sagte sie. Obgleich Katharina den Kaffeesatz von gestern schon einmal aufgegossen hatte, goß sie noch einmal Wasser darüber und trank zwei große Gläser voll von diesem Kaffee, der so dünn war, daß er Rostwasser glich. Es werde ihr schon Leib und Seele zusammenhalten, meinte sie.
»Höre,« sagte sie wiederholt zu Alzire, »du läßt deinen Großvater schlafen und gibst acht, daß Estelle nicht aus dem Bette fällt; wenn sie erwachen und zu stark schreien sollte, hast du da ein Stück Zucker, das du im Wasser lösest; davon gibst du ihr einige Löffel voll... Ich weiß, du bist klug und wirst den Zucker nicht essen.«
»Und die Schule, Mama?«
»Die Schule bleibt für einen andern Tag... Ich brauche dich heute.«
»Soll ich die Suppe machen, wenn du spät kommst?«
»Die Suppe, die Suppe ... Warte damit, bis ich komme.«
Mit der Altklugheit eines gebrechlichen Mädchens begabt, verstand Alzire sehr gut, die Suppe zu bereiten. Sie schien indes die Mutter zu verstehen und drängte nicht weiter in sie. Jetzt war das ganze Arbeiterdorf erwacht; die Kinder gingen scharenweise zur Schule, man hörte das schleppende Geklapper ihrer Überschuhe. Es schlug acht Uhr; bei den Levaque, den linksseitigen Nachbarn, ward das Geplauder immer lauter. Der Werktag der Frauen begann; sie standen bei ihren Kaffeetöpfen, die Fäuste auf die Hüften gestemmt, die Zungen in ewiger Bewegung wie die Mühlsteine einer Mühle. Ein welker Kopf mit dicken Lippen und platter Nase erschien draußen am Fenster und rief:
»Hör' einmal, es gibt was Neues!«
»Nein, nein, später!« erwiderte Frau Maheu. »Ich habe einen Gang zu machen.«
In der Angst, dem Anerbieten, ein Glas heißen Kaffees zu nehmen, nicht widerstehen zu können, trieb sie Leonore und Heinrich zur Eile an und brach mit ihnen auf. Der Vater Bonnemort oben schnarchte weiter; sein gleichmäßiges Schnarchen hallte durch das Haus.
Draußen sah Frau Maheu mit Überraschung, daß der Wind aufgehört hatte. Plötzliches Tauwetter war eingetreten; der Himmel war erdfahl, auf den Mauern lag eine grünliche, klebrige Feuchtigkeit, die Straßen waren mit Schmutz bedeckt, mit einem dieser Kohlengegend eigentümlichen Schmutz, so schwarz wie flüssiger Ruß, dick und zäh, daß die Schuhe darin stecken blieben. Sie mußte sogleich Leonore ohrfeigen, die sich den Spaß machte, mit ihren Schuhen den Schmutz aufzuheben wie mit der Spitze einer Schaufel. Als sie aus dem Dorfe waren, ging sie längs des Kohlenlagers und des Kanals dahin und, um den Weg abzukürzen, quer durch aufgelassene Wege zwischen allerlei wüstem Terrain, das mit alten, moosbedeckten Planken eingefriedet war. Es folgten dann Schuppen, langgestreckte Fabrikgebäude, hohe Schlote, die Ruß spien und dadurch diese ganze wüste Landschaft, diese Fabrikumgebung beschmutzten. Hinter einem Pappeldickicht sah man die Ruinen des alten, aufgelassenen Réquillartschachtes mit dem eingestürzten Aufzugsturm, dessen roh gezimmertes Gebälk allein aufrecht geblieben war. Frau Maheu wandte sich jetzt rechts und betrat die Heerstraße.
»Wart', schmutziges Schwein, ich werde dich lehren Kugeln machen!« rief sie.
Dies galt Heinrich, der eine Hand voll Schmutz aufgehoben hatte, den er knetete. Die beiden Kinder, von der Mutter gleichmäßig gezüchtigt, hielten nun Ordnung und begnügten sich, nach den runden Löchern zu schielen, die sie mit ihren Tritten im Schmutze zurückließen. So trotteten sie dahin, schon müde von den Anstrengungen, die sie machen mußten, um ihre Schuhe aus dem klebrigen Schmutz loszukriegen.
Die Straße nach Marchiennes zog sich zwischen rötlichen Feldern zwei Meilen lang dahin, geradeaus wie ein in Wagenschmiere getränktes Band. Auf der andern Seite schlängelte sich der Weg durch Montsou, das auf dem Rücken einer breiten Erhöhung in der Ebene lag. Diese Straßen im Norden, wie mit der Schnur zwischen den Industriestädten gezogen, in sanften Krümmungen und leichten Steigungen sich hinziehend, wurden nach und nach gebaut, gleichsam um aus einem Bezirk eine einzige Arbeiterstadt zu machen. Kleine Häuschen, aus Ziegeln erbaut und zur Aufheiterung der reizlosen Umgebung bemalt -- die einen gelb, die andern blau, wieder andere schwarz, die letzteren ohne Zweifel deshalb, um sogleich bei dem schließlich unvermeidlichen Schwarz anzulangen -- schlängelten sich rechts und links den Abhang hinunter. Einige größere, zweistöckige Häuser, Wohnungen von Fabriksleitern, unterbrachen die gedrängte Zeile schmaler Häuserfronten. Eine Kirche, gleichfalls aus Ziegeln erbaut, glich einem neuartigen Hochofen mit ihrem viereckigen Turm, den der fliegende Kohlenstaub schon schwarz gefärbt hatte. Zwischen allen Zuckerfabriken, Seilereien und Mühlen herrschten Tanzböden, Schenken, Bierstuben; auf tausend Häuser kamen fünfhundert Schenken.
Als sie dem gesellschaftlichen Werkhofe sich näherte — einem umfangreichen Komplex von Magazinen und Arbeitsstätten —, entschloß sich Frau Maheu, die Kinder rechts und links bei der Hand zu nehmen. Jenseits des Werkplatzes stand die Behausung des Direktors, Herrn Hennebeau; es war eine Art Schweizerhaus, geräumig, nach der Straße hin durch ein Gitter abgeschlossen, mit einem Gärtchen davor, in dem einige Bäume ein kümmerliches Dasein fristeten. Eben hielt ein Wagen vor dem Tore; ein mit einem Orden geschmückter Herr und eine in einen Pelzmantel gehüllte Dame stiegen aus. Sie waren aus Paris zu Besuch gekommen und hatten zu Marchiennes die Eisenbahn verlassen. Frau Hennebeau, die in dem Halbdunkel eines Flurs erschien, stieß einen Ruf der Überraschung und der Freude aus.
»Vorwärts, ihr Schlafmützen!« brummte Frau Maheu und zog die beiden Kleinen mit sich fort, die sich im Straßenschmutz vergafften.
Vor dem Laden Maigrats war sie in großer Aufregung. Maigrat wohnte neben dem Direktor; bloß eine Mauer trennte das Haus des Direktors von dem Häuschen Maigrats. Dieser hatte auch ein Magazin, ein langes Gebäude, das sich in einem Laden ohne Fenster unmittelbar auf die Straße öffnete. Er hielt da alles, Gewürze, Würste und Fleisch, Früchte, Brot, Bier, Küchengeräte. Als ehemaliger Aufseher im Voreuxschachte hatte er mit einer kleinen Kantine den Anfang gemacht; dank dem Schutze seiner Vorgesetzten hatte sein Handel zugenommen und nach und nach alle Kleinkrämer in Montsou erdrückt. Er zentralisierte die Waren; die bedeutende Kundschaft der Arbeiterdörfer gestattete ihm, wohlfeiler zu verkaufen und größere Kredite zu gewähren. Übrigens war er in der Hand der Gesellschaft geblieben, die ihm sein Häuschen und sein Magazin erbaut hatte.
»Ich bin wieder da, Herr Maigrat«, sagte die Maheu untertänig, als sie ihn auf der Türschwelle erblickte.
Er schaute sie an, ohne zu antworten. Er war dick, von kühler Höflichkeit und bildete sich etwas darauf ein, seinen einmal gefaßten Entschluß niemals zu ändern.
»Sie können mich unmöglich abweisen wie gestern«, fuhr die Maheu fort. »Wir müssen Brot zu essen haben von jetzt bis Samstag .... Allerdings schulden wir Ihnen sechzig Franken seit zwei Jahren ....«
Sie erklärte die Sache in kurzen, mühsam vorgebrachten Sätzen. Es war eine alte Schuld, die sie während des letzten Arbeitsausstandes gemacht hatten. Zwanzigmal hatten sie versprochen, die Schuld zu begleichen, aber sie konnten es nicht; sie waren nicht imstande, ihm zwei Franken alle vierzehn Tage zu geben. Überdies sei vorgestern ein Unglück dazwischen gekommen: sie habe einem Schuhmacher, der ihnen mit der Pfändung drohte, zwanzig Franken bezahlen müssen. Darum seien sie jetzt ohne einen Sou; wäre dieser Zwischenfall nicht gewesen, sie hätten bis zum Sonnabend das Auslangen gefunden wie die anderen.
Maigrat, СКАЧАТЬ