Название: Germinal
Автор: Emile Zola
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754175019
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»Gib sie her«, sagte die Mutter, als sie ihr Bündel abgelegt hatte. »Wir können sonst bei dem Geschrei kein Wort reden.«
Als sie aus dem Mieder eine Brust hervorgeholt hatte, die schwer war wie ein Euter und der Schreihals -- plötzlich verstummend -- sich gierig an den Zutzel machte, konnte man endlich ein Wort reden. Übrigens war alles in Ordnung; die kleine Hauswirtin hatte das Feuer unterhalten, die Wohnstube ausgekehrt und aufgeräumt. In der Stille hörte man oben den Großvater schnarchen; es war dasselbe gleichmäßige Schnarchen, das nicht einen Augenblick aufgehört hatte.
»Sind das feine Sachen!« sagte Alzire, indem sie die mitgebrachten Vorräte lächelnd musterte. »Wenn du willst, Mutter, mache ich die Suppe.«
Der Tisch war voll; ein Bündel Kleider, zwei Brote, Kartoffeln, Butter, Kaffee, Zichorie und ein halbes Pfund Fleischkäse.
»0h, die Suppe!« sagte die Maheu mit müder Miene; »da müßte man erst Sauerampfer und Lauch pflücken ... Nein, ich werde nachher für die Mannsleute Suppe kochen ... Setze Kartoffeln ans Feuer; wir essen sie mit ein wenig Butter ... Und Kaffee: vergiß den Kaffee nicht!«
Doch plötzlich erinnerte sie sich des Kuchens. Sie schaute auf die leeren Hände Leonores und Heinrichs, die schon wieder wohlgemut waren und sich am Boden wälzten und prügelten. Die naschhaften Rangen hatten unterwegs heimlich den Kuchen gegessen! Die Mutter ohrfeigte sie, während Alzire, die den Kochtopf ans Feuer setzte, die Mutter zu beruhigen suchte.
»Laß sie, Mama. Wenn es meinethalben ist, so weißt du ja, daß ich den Kuchen nicht mag. Sie haben Hunger bekommen, weil sie soweit gegangen sind.«
Draußen wurde die Mittagsglocke geläutet; man hörte das Geklapper der Überschuhe der heimkehrenden Schulkinder. Die Kartoffeln waren gar; der Kaffee, durch eine Zutat von Zichorie verdichtet, floß in großen Tropfen laut plätschernd durch den Filter. Eine Ecke des Tisches war abgeräumt; doch aß die Mutter allein da, die Kinder nahmen ihre Teller auf die Knie; der kleine Junge in seiner stummen Gefräßigkeit schaute sich -- ohne etwas zu sagen --; immerfort nach dem Fleischkäse um, dessen fette Papierhülle ihm die Ruhe raubte.
Frau Maheu trank ihren Kaffee in kleinen Schlucken und legte die Hände an das Glas, um sie zu erwärmen. Da kam der alte Bonnemort herunter. Sonst stand er später auf; man ließ ihm sein Frühstück am Feuer stehen. Heute begann er zu brummen, weil keine Suppe da war. Als seine Schwiegertochter ihm erklärt hatte, man könne nicht immer so tun, wie man möchte, aß er seine Kartoffeln still für sich hin. Von Zeit zu Zeit erhob er sich und spie in die Asche; er tat dies aus Reinlichkeit, um den Estrich zu schonen; dann hockte er sich wieder auf seinen Sessel hin und kaute sein Essen weiter mit gesenktem Kopfe und erloschenen Augen.
»Ach, ich vergaß, Mutter,« sagte Alzire; »die Nachbarin war da...«
Die Mutter unterbrach sie.
»Sie soll mich in Frieden lassen!«
Sie hatte einen dumpfen Groll gegen die Levaque, die gestern über Not gejammert hatte, um ihr nichts leihen zu müssen; und doch hatte sie Geld, wie die Maheu wohl wußte; der Mieter Bouteloup hatte seinen halben Monat vorausgezahlt. In dem Arbeiterdorfe liehen die Haushaltungen einander nichts.
»Da fällt mir ein,« fuhr die Maheu fort, »nimm eine Mühle voll Kaffee und schlag ihn in ein Papier ... Ich muß ihn der Frau Pierron bringen, der ich ihn seit vorgestern schuldig bin.
Als ihre Tochter das Päckchen fertig hatte, sagte die Maheu, sie werde sogleich zurückkehren, um die Suppe für die Mannsleute ans Feuer zu setzen. Dann ging sie fort mit Estelle auf den Armen. Der alte Bonnemort blieb zurück und mahlte langsam seine Kartoffeln, während Leonore und Heinrich sich um die zu Boden gefallenen Kartoffelschalen prügelten.
Anstatt den Weg über die Straße zu nehmen, schritt Frau Maheu quer durch die Gärten aus Furcht, daß die Levaque sie rufen könne. Ihr Garten stieß eben an den der Familie Pierron und in dem verfallenen Zaun, der sie trennte, war ein Loch, durch das die Nachbarn miteinander verkehrten. Da war auch der gemeinsame Brunnen, der vier Familien diente. Nebenan lag hinter einem verkümmerten Fliederstrauch die Scheuer, wo man die alten Geräte aufbewahrte und dann und wann ein Kaninchen züchtete, um an einem Feiertag einen Braten zu haben. Es war ein Uhr, die Kaffeestunde; keine Seele zeigte sich an den Türen und Fenstern. Bloß ein Arbeiter arbeitete, ohne aufzublicken, in seinem Gärtchen, um die Zeit zu nützen, bis seine Stunde kam, zur Grube anzufahren. Als die Maheu auf der Straße gegenüber ankam, sah sie zu ihrer Überraschung vor der Kirche einen Herrn und zwei Damen. Sie blieb einen Augenblick stehen und erkannte die Fremden: es war Frau Hennebeau mit ihren Gästen, dem dekorierten Herrn und der Dame im Pelzmantel. Sie zeigte ihnen das Arbeiterdorf.
»Ach, wozu die Mühe? Es hatte keine Eile!« rief Frau Pierron, als Frau Maheu ihr den Kaffee zurückerstattete.
Sie war achtundzwanzig Jahre alt und galt für die Schöne im Dorfe. Sie hatte eine braune Gesichtsfarbe, große Augen, einen kleinen Mund: sie war überdies kokett, und reinlich wie eine Katze; ihr Busen hatte sich schön erhalten, denn sie hatte kein Kind. Ihre Mutter, die Brulé, Witwe eines Grubenarbeiters, der in der Mine seinen Tod gefunden, hatte aus ihrer Tochter eine Fabrikarbeiterin gemacht und geschworen, daß sie niemals einen Grubenarbeiter heiraten solle. Sie kam denn auch aus dem Zorn nicht mehr heraus, seitdem ihre Tochter schon als reifes Mädchen sich mit Pierron verheiratet hatte, einem Witwer, der eine achtjährige Tochter hatte. Das Ehepaar lebte indes sehr zufrieden, unbekümmert um den Klatsch, der in Umlauf war über die Gefälligkeit des Gatten und die Liebhaber der Frau. Sie hatten keine Schulden, aßen zweimal wöchentlich Fleisch, und ihr Haus war so sauber gehalten, daß man sich in den Schüsseln hätte spiegeln können. Um ihr Glück zu vervollständigen, hatte sie dank ihren Beschützern von der Gesellschaft die Erlaubnis erhalten, Bonbons und Zwieback zu verkaufen; auf zwei Brettern hinter den Scheiben ihres Fensters waren diese Süßigkeiten in gläsernen Behältern zur Schau gestellt. Sie verdiente dabei sechs bis sieben Sous täglich, an manchem Sonntag sogar zwölf. Diese glückliche Häuslichkeit ward nur durch das Geschrei der Brulé gestört, die in der Wut einer alten Aufrührerin immer den Tod ihres Mannes an den Herren rächen wollte; der zweite Störenfried war die kleine Lydia, die als Sündenbock für die ganze Familie sehr viele Maulschellen einzustecken hatte.
»Wie groß Estelle schon ist!« sagte Frau Pierron und spielte mit dem Kinde.
»Laß es gut sein, die macht Mühe genug«, erwiderte die Maheu. »Du kannst froh sein, daß du keines hast. Da kann man wenigstens sein Haus sauber halten.«
Obgleich auch bei ihr alles in Ordnung gehalten wurde und sie jeden Sonnabend wusch und scheuerte, betrachtete sie doch mit den Blicken einer neidischen Hausfrau diese helle Stube, wo es sogar einigen Zierat gab, vergoldete Vasen auf dem Eßschrank, einen Spiegel und drei eingerahmte Kupferstiche.
Die Pierron trank eben ihren Kaffee allein; alle ihre Leute waren in der Grube.
»Trinke ein Täßchen mit mir«, sagte sie.
»Nein, danke, ich habe soeben Kaffee getrunken.«
»Was tut das?«
Freilich, das tat nichts. Beide tranken nun langsam ihren Kaffee. Zwischen den Zwieback- und Bonbongläsern hindurch waren ihre Blicke auf den gegenüberstehenden Häusern haften geblieben, wo sich Fenster an Fenster reihten mit ihren Vorhängen, deren Reinlichkeit ein Gradmesser der häuslichen Tugenden der betreffenden Hausfrauen war. Die Vorhänge der Levaque waren sehr schmutzig, wahre Wischlappen, die aussahen, als habe man damit die Kochtöpfe gereinigt.
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